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Jobs & Karriere: Aus der zweiten Reihe ganz nach vorn

Hochschulabsolventen sind begehrt wie nie: Unternehmen buhlen nicht nur um Überflieger, sondern stürzen sich auch auf gute Kandidaten, die nicht Spitze sind – wenn sie auf die richtige Karte gesetzt haben

Das Gespräch dauerte keine halbe Stunde, da hatte Carolin Franz ein konkretes Jobangebot. Dabei wollte sich die 24-Jährige, die kurz vor Abschluss ihres BWL-Studiums stand, auf der Firmenkontaktmesse eigentlich nur unverbindlich informieren. Dass ihr die Personalerin eines großen Mittelständlers sofort eine feste Stelle versprach, hat sie überrascht. „Das war schon ein gutes Gefühl, so umworben zu werden", sagt die Frau aus Erlangen. Zugesagt hat sie trotzdem nicht. Denn auch Siemens, wo Franz schon ein Praktikum gemacht hat, wollte sie gern einstellen – als Trainee im Personalwesen. „Die Entscheidung war nicht einfach. Aber der obligatorische Auslandsaufenthalt im Traineeprogramm hat mich dann einfach überzeugt.“

Auch Mareike Kienast hatte mehrere lukrative Angebote zur Auswahl. Skandinavische Ölfirmen haben sich um die Geophysikerin der Uni Karlsruhe bemüht: „Sie hatten sich bei meinem Professor nach Leuten erkundigt, die bald mit dem Studium fertig werden.“ Um sie nach Norwegen zu locken, wollte ein Arbeitgeber sogar ihrem Freund dort einen Job besorgen. Auch aus Deutschland hatte Kienast Angebote von großen Technik- und Energieunternehmen. Die 27-Jährige entschied sich für Eon, weil der Düsseldorfer Konzern ihr die meisten Freiheiten bietet: „Die Angst, nach der Uni keinen guten Job zu finden, habe ich zum Glück nie kennengelernt.“

Unternehmen, die sich bei Absolventen bewerben müssen – und nicht umgekehrt –, das ist Ende 2007 keine Ausnahme. Denn vom aktuellen Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt profitieren vor allem Akademiker. Mehrere Zehntausend Ingenieurstellen können nicht besetzt werden, weil geeignete Kandidaten fehlen. Vor allem Elektrotechniker, aber auch Maschinenbauer, Verfahrenstechniker und Wirtschaftsingenieure werden händeringend gesucht. Laut einer aktuellen Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom klagen 62 Prozent der Unternehmen über Fachkräftemangel. Vor drei Jahren waren es nur 16 Prozent. Auch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Unternehmensberatungen wollen ihr Personal kräftig aufstocken. Die Liste lässt sich für viele Branchen fortsetzen. Absolventenkongresse sind für Studenten so attraktiv wie selten zuvor. Bei der Messe in Köln Ende November haben die 300 Unternehmen 24 000 Jobs zu vergeben. Vor einem Jahr waren es nur 15 000 Stellen.

Was für Absolventen goldene Zeiten sind, bedeutet für viele Unternehmen „War for Talents“. Diesen Ausdruck hat der amerikanische McKinsey-Direktor Ed Michaels geprägt. Zurzeit gibt es kaum eine Personalabteilung, bei der der martialische Begriff nicht ganz oben auf der Tagesordnung steht. Lange tobte der Kampf um die Köpfe nur um die besten fünf bis zehn Prozent der Hochschulabsolventen. Weil die aber den gestiegenen Bedarf längst nicht mehr decken, werden die Absolventen aus der zweiten Reihe immer interessanter. Obwohl die Rhetorik mancher Stellenanzeigen noch immer suggeriert, dass nur 23-jährige Einserkandidaten von Elite-Universitäten mit mindestens fünf Praktika und drei Auslandssemestern überhaupt Chancen haben, können sich die Unternehmen oft keine allzu übertriebenen Ansprüche mehr leisten. Gestiegen sind die Chancen vor allem für Kandidaten, die vielleicht nicht den passenden Studienschwerpunkt oder Top-Noten mitbringen, dafür aber mit ihrer Persönlichkeit und ihren außerfachlichen Qualifikationen in ein Unternehmen passen.

„Personaler schauen sich immer häufiger auch die Bewerber an, die auf dem B-Stapel gelandet sind“, sagt Elmar Kronz, Deutschland-Chef der Personalberatung DDI. Langsam reife die Erkenntnis, dass auch motivierte Leute mit durchschnittlichem Examen sehr erfolgreich im Unternehmen sein können. „Bei der fachlichen Qualifikation werden am ehesten Abstriche gemacht“, hat Jens Ohle, Vorstandsmitglied des Kölner Recruiting-Dienstleisters Access, festgestellt. „Die Persönlichkeit muss aber stimmen.“ Weil interkulturelle Kompetenz im Job immer wichtiger würde, könne man mit interessanten Jobs, Praktika und Studienaufenthalten im Ausland besonders punkten.

Auch Heinrich Wottawa, Professor für Arbeitspsychologie an der Universität Bochum bemerkt den Wandel: „Die Ansprüche sind realistischer geworden. Bei den Ingenieuren und Informatikern haben die Unternehmen kaum eine Chance, wenn sie sich nicht jede Bewerbung sehr genau anschauen.“ In einigen anderen Bereichen wie etwa im Vertrieb oder im Controlling sei die Verzweiflung der Unternehmen zwar noch nicht ganz so groß, aber deutlich verschärft. Wer jetzt noch alles glaube, was in Stellenanzeigen steht, sei selber schuld. „Waren die Unternehmen bislang bereit zu akzeptieren, dass 30 Prozent der Anforderungen in der Stellenausschreibung nicht erfüllt werden, dann laden sie den Bewerber mittlerweile schon ein, wenn er 50 Prozent nicht erfüllt.“

Allerdings, gäbe es immer noch Unternehmen mit speziellen Wünschen, berichtet Access-Vorstand Jens Ohle. Da werde zum Beispiel ein Controller gesucht, der seine Diplomarbeit über das Beteiligungsmanagement geschrieben haben muss. „Doch wenn der einzige Kandidat absagt, überlegen sie es sich beim nächsten Mal anders“, sagt Ohle. In bestimmten Branchen kassieren Unternehmen heute im Schnitt zwei Absagen, bevor sie eine Stelle besetzen können.

Die Managementberatung Kienbaum hat in ihrer neu aufgelegten „High Potential“-Studie die Gründe für die Misserfolge bei der Rekrutierung analysiert. Die Personaler räumen aber ein, dass sie Bewerbern oft keine ausreichenden Karriereperspektiven bieten konnten. Als zweitwichtigster Grund wird ein schlechtes Unternehmensimage angegeben. Erst dann folgt das Gehalt.

Da verwundert es nicht, dass die Verbesserung ihres Images von vielen Unternehmen als die neue Wunderwaffe im Wettstreit um gute Köpfe gesehen wird. Spektakuläre Recruiting-Events erleben eine Renaissance: Bosch hat im Oktober angehende Ingenieure zur Deutschen Tourenwagen Meisterschaft an den Hockenheimring eingeladen, bei der Commerzbank konnten ausgewählte Studenten zusammen mit Vorstandsmitgliedern über den Rhein schippern, KPMG ist mit zehn Studenten sogar bis nach Schanghai geflogen. Doch den Unternehmen ist klar, dass sie mit solchen Einzelmaßnahmen den neuen Kampf um die Talente nicht gewinnen können. Ein klares Markenversprechen soll den potenziellen Kandidaten vermitteln, wie es sich anfühlt, in einem Unternehmen zu arbeiten.

Die Zauberformel heißt „Employer Branding“ und meint den strategischen Aufbau einer Arbeitgebermarke. Für 83 Prozent der von Kienbaum befragten Unternehmen wird das in den kommenden Jahren sehr wichtig. „Hier haben viele Unternehmen geschlafen“, kritisiert DDI-Chef Kronz, „sie hätten viel früher auf sich aufmerksam machen müssen." Vor allem Unternehmen, die in den vergangenen Jahren Personal entlassen haben, kämpfen heute mit Imageschäden. Wer nicht wie BMW mit besonders spannenden Produkten werben kann – der Automobilhersteller führt seit Jahren alle Arbeitgeberrankings an –, muss sich etwas einfallen lassen.

Das hat auch Eon erkannt. Deutschlands größter Energiekonzern will bei den Rankings in drei bis fünf Jahren unter den besten zehn Arbeitgebern sein. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Im jüngsten Ranking des Personalmarketinginstituts Trendence dümpelt Eon auf Platz 33 bei Wirtschaftswissenschaftlern und Platz 13 bei Ingenieuren. „Wir haben spannende Aufgaben für Absolventen. Aber wir müssen das in Zukunft viel intensiver an die Öffentlichkeit bringen“, räumt die Leiterin des Personalmarketings Monica Wertheim ein. In Zukunft sollen Bewerber wissen, dass der Konzern stark auf Innovationen setzt und Kandidaten mit Fantasie und Durchhaltevermögen sucht. Gerade werden Instrumente etabliert, mit denen die Personalabteilung sich intensiver um die Karrieren der Bewerber und Mitarbeiter kümmern kann.

Viele Unternehmen müssen auch ihre Internetauftritte verbessern, wenn sie gute Kandidaten zu sich locken wollen. Eine Investition, die sich lohnen könnte: Laut der Studie „Arbeitgebermarken im Internet“ gelingt es nur fünf von 247 analysierten Unternehmen, sich im Netz glaubhaft und überzeugend darzustellen. „Die meisten Karrierewebseiten sind austauschbar und langweilig. Oder sie sind total überfrachtet“, bemängelt der Autor Armin Trost, Professor für Human Resource Management an der Hochschule Furtwangen. Als positive Ausnahmen hebt Trost die Seiten von Lufthansa und McKinsey hervor.

Die tollste Webseite nützt aber natürlich nichts, wenn der Joballtag nicht hält, was Slogans und Eigenwerbung versprechen: Wer Bewerbern viel Verantwortung verspricht, muss Einsteigern auch schnell eigene Projekte geben. Wer flexibles Arbeiten verspricht, darf nicht mehr mit der Stechuhr kommen und muss gerade jungen Frauen erklären, wie sich in ihrem Unternehmen Familie und Beruf verbinden lassen. Die heutige Absolventengeneration lässt sich nicht mehr so schnell vom einem großen Namen und einem Dienstwagen locken. Studien zur Arbeitgeberattraktivität zeigen übereinstimmend, dass den Absolventen 2007 ein hohes Einstiegsgehalt weitaus weniger wert ist als interessante Aufgaben und Investitionen in die persönliche Entwicklung.

Kilian Wimmer beispielsweise hat erst einmal alle lukrativen Job-Angebote fahren lassen. Der Betriebswirt hätte für die Wirtschaftsprüfer Rödl Langford de Kock in die USA gehen oder bei Ernst & Young neben dem Job promovieren können. Doch die Unternehmen mussten sich – zumindest vorläufig – nach einem anderen Mitarbeiter umsehen. Der 28-Jährige entschied sich, an der Uni zu bleiben und erst einmal seine Doktorarbeit zu schreiben. Mit der nötigen Gewissheit, dass der Arbeitsmarkt für ihn in zwei Jahren nicht dicht ist. Im Gegenteil: Wimmer hofft, durch den Doktortitel seinen Marktwert noch einmal deutlich zu steigern.

Einiges spricht dafür, dass der Kampf um Talente diesmal kein kurzfristiger Trend ist. Selbst wenn sich das Wirtschaftswachstum wieder verlangsamt, wird der Bewerber-Pool kleiner. Schuld ist die demografische Entwicklung. Die Unternehmen müssen sich nicht nur mehr anstrengen, um Nachwuchs zu finden. In Zukunft müssen sie auch mehr tun, um diese Leute tatsächlich zu halten.

Beitrag aus „Junge Karriere“

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