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Berufswahl: Mit Mut zum Job

Auch wenn die gewünschte Ausbildung zunächst keine guten Zukunftschancen verspricht: Man sollte einen Beruf wählen, in dem man gut wird, raten Experten – und am besten besser als andere.

Sven Jansen weiß, was der so genannte Schweinezyklus ist. Er hat ihn am eigenen Leibe zu spüren bekommen. „Als ich anfing zu studieren, wurde uns immer wieder gesagt: Studiert doch auf Lehramt, dann habt ihr später einen sicheren Job“, erzählt der 38-jährige Berliner. Ein Irrtum, wie sich nun herausstellte. Im Februar hat er das Referendariat abgeschlossen. Er ist jetzt ausgebildeter Lehrer – und findet wie viele ehemalige Kommilitonen keine Stelle.

Dass an Berliner Schulen kaum Lehrer eingestellt werden, ist eine politische Entscheidung des Senats, sagt Matthias Jähne von der Berliner Bildungsgewerkschaft GEW. Zum anderen hat Sven Jansen aber auch Pech, denn er hat eine überdurchschnittlich populäre Fächerkombination, Sozialkunde und Kunst. Es gibt zu viele, die die gleiche Qualifikation haben wie er und auf den Arbeitsmarkt drängen.

Das Phänomen ist bekannt: Herrscht in einem bestimmten Marktsegment Arbeitskräftemangel, werden die gefragten Mitarbeiter nicht nur gut bezahlt, auch die Zukunftschancen für den Beruf werden in Arbeitsmarktprognosen kräftig nach oben gedeutet. Das macht die Ausbildung attraktiv. Viele junge Menschen streben in den Job. Sind sie aber mit der Ausbildung fertig, gibt es plötzlich ein Überangebot an Fachkräften, zu wenig Arbeit für die Bewerber – und der Trend kehrt sich um: Der Job verliert an Attraktivität, weniger Menschen entscheiden sich für den Beruf – und es kommt erneut zum Arbeitskräftemangel. Das Auf und Ab von Angebot und Nachfrage kann Ingenieure genauso wie Lehrer, Informatiker oder Chemiker betreffen. Und: Immer wieder wirft es die Frage auf: Wie sinnvoll ist es, sich bei der Berufswahl nach Arbeitsmarktprognosen zu richten?

Nicht allzu sehr, meint Beate Raabe, Arbeitsmarktexpertin der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung in Bonn. „Solche Prognosen sind meist nicht mehr als Kaffeesatzleserei.“ Verlässliche Daten seien höchstens mittelfristig möglich. Wie sehr sich zum Beispiel der Computer auf die tägliche Arbeit ausgewirkt habe, sei Anfang der neunziger Jahre nicht zu erkennen gewesen. Indessen gilt als sicher: „Einfach qualifizierte Arbeit wird in Deutschland immer weniger werden und höher qualifizierte immer wichtiger,“ so Raabe. Auszumachen sei dies an einem einfachen Beispiel: Ein Lagerarbeiter muss heute nicht mehr nur mit handschriftlichen Listen umgehen können, sondern benötige zumindest ein gewisses EDV-Grundwissen. Und: Wer studiert – gleich welches Studienfach – verbessert seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich: Weniger als fünf Prozent der Akademiker sind arbeitslos.

Viel wichtiger als auf irgendwelche Arbeitsmarktprognosen zu schauen, sei es, in sich hineinzuhorchen. „Hat man zwei linke Hände und wenig technisches Verständnis, so bringt einem das beste Ingenieurdiplom wahrscheinlich nicht besonders viel,“ meint Raabe. Und nach dem Studium oder der Ausbildung nochmal „umzusatteln“ koste Zeit und Geld. Außerdem sei es sinnvoll, spätestens im zweiten Teil der Ausbildung auf seine sozialen Kompetenzen wie Team- und Kommunikationsfähigkeit, Engagement, Ehrgeiz oder Führungsqualitäten zu achten.

Ob man diese durch Mitarbeit im Asta, im Studentenwerk oder bei der Fußballmannschaft um die Ecke profiliere, sei letztendlich egal, so Raabe. Hauptsache man wisse mit seinen Neigungen und dem persönlichen Profil zu überzeugen. „Dann ist man auch bei vielleicht ungünstigen Prognosen gut aufgestellt.“

Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat da mehr Vertrauen in die Arbeitsmarktprognosen. „Man muss sich doch nur die demografische Entwicklung und den Aufbau der Studierendenzahlen angucken“, sagt Brenke. Ab 2012 werden sie voraussichtlich rückläufig sein: Gerade Akademiker würden in Zukunft beste Chancen haben.

Eine ganz konkrete Empfehlung hat der Vizepräsident der Technischen Universität Berlin, Jörg Steinbach: Er rät jungen Menschen, antizyklisch zu studieren. „Fächer, die zu Berufen führen, in denen gerade nicht eingestellt wird, haben die große Gewissheit, dass man später einen Job findet“, meint der Chemie-Professor und Beauftragte für Lehre und Studium. Schließlich seien sie so unpopulär, dass es meist zu diesem Zeitpunkt nur wenige Studienanfänger gäbe.

Zwar seien auch Ingenieure immer wieder vom Schweinezyklus betroffen. Zumindest bis 2014 sähen hier die Prognosen jedoch sehr gut aus, sagt Steinbach. „Mit der Immatrikulation gibt es schon so gut wie eine Beschäftigungsgarantie.“ Diese hänge vor allem mit dem großen Ersatzbedarf für ältere Ingenieure und der anziehenden Nachfrage zusammen. Man erwarte einige zehntausend freie Stellen in den kommenden Jahren.

Solche konkreten Zahlen hält Kolja Briedis von der Hochschul-Informations-System GmbH in Hannover wiederum für zu gewagt. „Je spezieller die Fachrichtung, desto schwieriger ist eine seriöse Prognose.“ Wirklich beurteilen könne man die Entwicklung erst im Nachhinein.

Die Wirtschaft erlebt immer wieder Hochs und Tiefs. Zucker- und Rohölpreise, Immobilienwerte oder die Verkaufszahlen elektronischer Waren sind unkalkulierbaren Schwankungen unterworfen – und das spiegelt sich auch auf dem Arbeitsmarkt wieder.

„Wenn ich jemanden finden würde, der die Frage nach der weiteren Preisentwicklung beantworten kann, würde ich ihn sofort mit einem hohen Gehalt einstellen“, zitiert der Branchendienst „Heise“den Infineon-Chef Wolfgang Ziebart. Auch im Technologie-Geschäft seien Prognosen nicht mehr als „ein Blick in die Glaskugel“.

Sven Jansen ist nun seit fast drei Wochen arbeitslos. Wie es weitergehen wird, weiß er noch nicht. Vielleicht wird er vertretungsweise an der Moses-Mendelssohn-Schule in Berlin-Mitte lehren oder nach einem Arbeitsplatz in einer privaten Einrichtung suchen.

Schweinezyklus

Das Phänomen Schweinezyklus ist ein altbekanntes Problem von Angebot und Nachfrage und tritt in den verschiedensten Branchen auf. Der Begriff entstammt der Agrarwirtschaft und hat dort bis heute eine große Bedeutung: Auf günstige Schlachtpreise reagieren Landwirte mit einer verstärkten Nachfrage nach Ferkeln. So erzielen diese hohe Preise.

Darauf reagieren die Zuchtbetriebe mit einer Ausweitung der Saubestände und der Ferkelerzeugung. Zeitliche Verzögerungen treten durch Zeiten bis zur Deckung der Säue, Tragzeit und Wachstum ein. Nach einem guten Jahr steigt das Angebot der Mastschweine und deren Preise sinken.

Das hat zur Folge, dass die Erzeugung wieder gedrosselt wird. Und: Nach einiger Zeit beginnt der Schweinezyklus aufs Neue. (Quelle: Agrarlexikon).

Martin Wohlrabe

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