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Jobs & Karriere: „Der Markt ruft nach Charakteren“

Stephan Jansen, Präsident der privaten Friedrichshafener Zeppelin University, über die mangelnde Kreativität der Unis und die Vorteile des Scheiterns.

Die Gerüste sind abgebaut. Keine Planen verdecken mehr den gläsernen Neubau der Zeppelin University (ZU) in Friedrichshafen. Im dritten Stock hat der 36-jährige Präsident Stephan Jansen sein Büro: ein Regal voller Bücher steht an der einen, der Schreibtisch an der anderen Seite, dazwischen: Wände aus Glas, der Blick ins Gebäude – und auf den Bodensee. So arbeitet er also, der Universitätsreformer, der neben Fußball-Manager Uli Hoeneß, SAP-Gründer Hasso Plattner oder Schauspieler Hannes Jaenicke zum Beraterstab von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück zählt.

Herr Jansen, Bewerber für die Zeppelin University müssen praxisbezogene Lösungsvorschläge für ein konkretes Problem erarbeiten. Unsere Aufgabe an Sie: Wie bringt man mehr Kreativität an deutsche Universitäten?

Da muss man sich zuerst die Frage stellen: Warum gibt es Universitäten? Das sind ja Orte, die nicht dazu erfunden wurden, um sich Wissen anzueignen, sondern um bestehendem Wissen zu misstrauen. Man kann auch der Meinung sein, dass Universitäten Orte zur Nachwuchsrekrutierung von Unternehmen sind, aber kreativ werden sie erst dann, wenn man es zulässt, Glaubensgrundsätze in Frage zu stellen.

Geben Sie mal einen Befund ab: Wie frei kann man an deutschen Universitäten denken?

Ich bin an einer Privatuniversität und kann daher nicht wirklich generalisierend über das deutsche Hochschulsystem reden. Aber ich glaube, dass sich die Universitäten von zwei gerade erlernten Aspekten gleich wieder verabschieden müssten: Studenten sollte man nicht als Kunden begreifen, da Bildung nicht konsumierbar ist.

Und der zweite Punkt?

Wir müssen von einer Angebotsorientierung einer Universität auf eine Nachfrageorientierung umstellen. Das heißt, dass der Student im Dialog mit den Professoren definieren sollte, was relevant ist und was nicht. Dazu müsste man Lernpartnerschaften unter Erwachsenen akzeptieren und den Studenten als eigenständigen Forscher mit einer eigenen Neugierde begreifen. Diese Humboldtsche Erkenntnis ist interessanterweise in Deutschland nur schwach entwickelt.

Woran liegt das?

Wir glauben in Deutschland an Größe – und die Kapazitätsverordnung. Universitäten glauben, Zahlen von 45 000 oder 80 000 Studenten seien eine Qualität an sich. Bei uns werden es 900 Studenten sein, und jeder fragt uns, wenn es so gut läuft, warum vergrößert ihr dann nicht? Weil ich glaube, dass große Unis keine große Zukunft haben.

Wieso? Bisher hat es doch auch funktioniert.

Die Nabelschnur des Studierenden an seine Alma Mater ist – wie Friedrich Nietzsche bereits 1872 feststellte – das Ohr: Es gibt ein Audimax für die Vorlesungen, in dem ein Professor zu einigen Hundert Studenten spricht, und eine Sprechstunde, die nur wenige Minuten dauert. Das widerspricht allen neurobiologischen, erziehungs- und kommunikationswissenschaftlichen Erkenntnissen. Man muss sagen, im Moment entsteht Kreativität höchstens trotz der Organisation der Universitäten.

Wo kommt sie denn vor?

Wenn Studierende sich selbst organisieren. Dies ist aber an kleinen Unis wesentlich wahrscheinlicher, weil man andauernd dazu gezwungen wird, sich für seine sichtbaren Positionen zu rechtfertigen. Wenn man einen Menschen kennenlernen will, muss man ihm nicht-wissbare Fragen stellen, denn bei der Beobachtung und individuellen Begleitung dieser Gedankenkonstruktion kann ein richtiger Dialog entstehen. Dies ist an größeren Hochschulen nicht mehr möglich.

Was müsste man aus Ihrer Sicht also ändern, um das Studium zu verbessern?

An der Zeppelin University wenden wir drei Strategien an: als Erstes konsequente Individualisierung. Wir sind es in Deutschland einfach nicht gewohnt, mit Heterogenität umzugehen. Wir haben aber etwa die Herausforderungen der Migrationshintergründe, der verschiedenen Bildungshintergründe für die Masterstudiengänge. Wir müssen die Betreuungsintensität deutlich erhöhen: von 60 Studierenden pro Professor auf Mann- beziehungsweise Fraudeckung.

Eine so individuelle Betreuung scheint aber wenig realistisch.

Wenn die Universität klein genug ist, geht das. Nicht Personalentwicklung, sondern Persönlichkeitsentwicklung muss im Studium im Vordergrund stehen. Wichtig ist zweitens die Interdisziplinarität. Man bewegt sich ständig an der Grenze zwischen Wissen und Nichtwissen und kommt als Studierender sehr schnell in eine Forscherrolle. Die dritte Strategie ist Internationalität, bei uns gibt es ein dreikontinentales Studium.

Aber können die Studierenden das unter dem Druck des Arbeitsmarktes überhaupt ausleben? Kreativität muss ja auch scheitern dürfen.

Laut Shell-Studie haben wir es mit einer überangepassten Generation zu tun. Auf der linken Schulter hat jeder einen Personalchef sitzen, wozu auch die Berichterstattung von unglaublichen Karrieren beiträgt. Ich halte das für einen Fehler. Der Arbeitsmarkt ruft nach Charakteren, die eigenwillig sind, die mutig sind und Entscheidungen treffen können. Die auch mal auf die Schnauze fliegen, weil sie sich raustrauen.

Aber entscheidet sich der Personalchef im Zweifel nicht doch für den Erfolgreichen ohne Makel im Lebenslauf?

Da frage ich, warum wird eigentlich immer über erfolgreiche Karrieren geredet? Das sind Sonderfälle, die auch noch medial inszeniert werden. Ungefähr 90 Prozent aller Markteinführungen funktionieren nicht. Also muss man das mal ausprobieren im Studium.

Wie sollten denn dann die Professoren das Wissen vermitteln?

Zuerst einmal muss man die Verantwortung des Erlernens, des Erlesens, auf den Studierenden verlagern. Dafür braucht man Diskussionskultur, um Wissen zu misstrauen und Kausalitäten und Autoritäten zu hinterfragen. Das führt zu dem, was ich Humboldt 2.0 nenne, der Einheit von Forschung, Lehre und Beratung. Da binden wir etwa für bestimmte Bereiche Praktiker ein, die ungelöste Realprojekte mitbringen, so dass die Studenten bereits erlernte Theorien in der Praxis überprüfen können.

Wie kann man das konkret umsetzen?

Das funktioniert nur, wenn man Vorlesungen durch das Vorherlesen ersetzt hat. So kann man Studenten selber in die Verantwortung nehmen und mit ihnen gemeinsam das Wissen durch Fragen erarbeiten. Dieses Verhältnis zu Studenten als Lernpartner ist für die meisten Professoren am Anfang sehr schwierig, da sie durch die Studenten auf ihr eigenes Nichtwissen ausgeleuchtet werden.

Noch mal zurück zur Anfangsaufgabe: Was wären Maßnahmen zur Kreativitätssteigerung?

Die erste Botschaft lautet Verkleinern. Für das gemeinsame Lernen mit Kommilitonen, denn das geht nur in kleinen Umfeldern. Personell müsste man dann gleichzeitig aufstocken. Interdisziplinarität ist wichtig. Die Wissenschaft sollte die Freiheit haben, auch mal losgelöst von gesellschaftlichen Ansprüchen für die Gesellschaft zu arbeiten. Außerdem sollte man es Studierenden ermöglichen, sich stärker den eigenen Interessen und Fragen zu widmen, und zwar nicht nur in Form von Wahlpflichtmodulen, sondern durch kreative Seminarerfindungen.

Über Finanzen haben wir bis jetzt gar nicht geredet, aber: das wird teuer.

Da sollten wir ehrgeiziger sein: Schulen und Kindergärten stärker staatlich fördern und mehr privates Geld in die Universitäten investieren. An der Zeppelin University tragen die Studenten ein Drittel der Studienkosten, und 60 Prozent finanzieren ihr Studium über eine zinsgesponserte Vorfinanzierung durch die Sparkasse Bodensee.

Das Gespräch führte Alexander Runte; Beitrag aus dem Magazin „Junge Karriere“

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