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Existenzgründer: Kurs aufs Big Business

Zahlenverständnis plus unternehmerisches Denken machen aus Wirtschaftswissenschaftlern ideale Existenzgründer. Aber auch wer aufs Big Business steht, hat derzeit beste Aussichten auf einen spannenden Job: Banken, Beratungsgesellschaften oder Behörden brauchen unternehmungslustige Verstärkung.

„Ganz schön volatil diese Woche“ seufzt Wahl-Londoner Valentin von Amsberg. Heute Morgen war bei ihm in der St. John's Street nichts los, jetzt stehen Fondsmanager, Börsenmakler und Banker plötzlich Schlange. Im Herzen von Londons Finanzdistrikt leistet der 36-jährige Volkswirt seinen persönlichen Beitrag zur deutsch-britischen Handelsbilanz: Der studierte Finanzprofi betreibt seit einem Jahr den ersten Bratwurstimbiss in der City of London. „Ich habe schon im ersten Semester davon geträumt, eine Geschäftsidee zu entwickeln und irgendwann vor einer Goldgrube zu stehen", sagt von Amsberg augenzwinkernd.

Bis es jedoch soweit war, legte der Gründer in spe den klassischen Karrierestart hin. Nach seinem VWL-Studium an der Universität Frankfurt heuerte er 1998 bei American Express in Frankfurt als Leiter der deutschen Versicherungssparte an. 2003 schickte ihn sein Chef los, um das britische Versicherungsgeschäft aufzubauen.

Nach zwei Jahren begann von Amsberg sich zu langweilen: „Ich wollte etwas auf eigene Faust unternehmen“. Die passende Geschäftsidee kam ihm 2005 bei einem Business-Lunch im Londoner Bankenviertel. Zwischen Chicken-Sandwich und DreiGänge-Menü klaffte auf der legendären „Squaremile“ ernährungstechnisch eine große Lücke. Die stopft von Amsberg jetzt mit frischer Bratwurst – Direktimport aus Deutschland – und Sauerkraut. Nach einem Jahr intensiver Vorbereitung eröffnete er im Juni 2006 gemeinsam mit seiner Geschäftspartnerin Ina Bergmann die Grillstube „Kurz & Lang“.

Zur Wurstzange greift von Amsberg zwar nicht selbst, doch freitags, wenn viel los ist, sitzt er oft an der Kasse und knöpft seinen ehemaligen Kollegen umgerechnet 7,40 Euro für eine Wurst mit Kraut oder 3,70 Euro für ein Flensburger Bier ab. Stolze Preise für Gutbürgerliches made in Germany, aber angesichts seines einzigartigen Angebots – für das friesische Flens ist Kurz & Lang die einzige Quelle in ganz London – offenbar angemessen. In von Amsbergs Kasse klingelt's ordentlich.

Auch wenn wohl nicht jeder britische Banker von der eigenen Bratwurst-Bude träumt, herrscht zumindest unter Deutschlands jungen Wirtschaftswissenschaftlern Gründerstimmung. Rund jeder vierte FH-Absolvent und immerhin jeder fünfte Uni-Abgänger kann sich gut vorstellen, mikroökonomische Theorien früher oder später im eigenen Unternehmen zu erproben.

Mit dieser Quote sind Wiwis deutlich unternehmungslustiger als beispielsweise Ingenieure oder Naturwissenschaftler. Trotz Börsen-Crash und Dot.com-Sterben lodere der Gründergeist der 90er Jahre unter ihnen weiter „wie eine kräftige Glut“, bestätigt Wirtschaftsprofessor Lambert Koch vom Lehrstuhl für Unternehmensgründung und Wirtschaftsentwicklung der Bergischen Universität in Wuppertal. An immer mehr wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, beispielsweise in Wuppertal oder an der renommierten WHU in Vallendar, haben Gründung und Unternehmertum in den letzten Jahren Einzug in die Lehrpläne gehalten.

Neben ihrer Ausbildung bringen die neuen Gründer oft wertvolle Berufserfahrung aus großen Unternehmen mit. Dort haben sie gut verdient und finanzieren den Start in die Selbstständigkeit aus ihrem Sparstrumpf. Doch die Trumpfkarte der Wiwis: Sie haben ihre Zahlen im Griff und verhandeln mit Bankern und Investoren auf Augenhöhe. „Wenn ich sage, ich bin Wurstverkäufer, dann aber meinen strukturierten Businessplan vorlege, staunen die immer“, grinst Valentin von Amsberg. Über kurz oder lang will er expandieren und sucht bereits nach Finanziers und Standorten.

Der Chefsessel muss es für junge Wirtschaftswissenschaftler nicht sofort sein, eigenverantwortlich zu arbeiten dagegen schon. Bei einer Online-Umfrage des Hochschulinformationssystems HIS im Oktober 2006 stuften nahezu 100 Prozent dieses Berufsziel als wichtig ein. Allerdings sind im Vergleich zu Absolventen anderer Fachrichtungen Wiwis auch berufliches Prestige und ein hohes Gehalt überdurchschnittlich wichtig.

Nicht jeden reizt der mitunter hemdsärmelige Mikrokosmos des eigenen Unternehmens. Muss auch gar nicht. Denn die Chancen, einen Job mit besonders viel Renommee oder überdurchschnittlich hoher Vergütung in Unternehmen und internationalen Organisationen zu ergattern, stehen gut wie lang schon nicht mehr. Der Blick über den deutschen Tellerrand lohnt sich.

„In meinem Job erlebe ich hautnah mit, wie Wirtschaftspolitik formuliert und umgesetzt wird“, sagt zum Beispiel Arne Klau. Der promovierte Volkswirt ist einer von rund 15 Deutschen, die für die World Trade Organisation (WTO) in Genf arbeiten. In der „Trade Policy Review Division“ analysiert der 39-Jährige die Handelspolitik afrikanischer WTO-Mitgliedsstaaten. Etwa viermal pro Jahr reist er zu Gesprächen mit Regierungsvertretern auf den schwarzen Kontinent und verfasst detaillierte Berichte, die im Allgemeinen Rat der WTO-Mitglieder debattiert werden. Schon als Student hat er Afrika per Rucksack bereist: „Wenn man in Ghana mal neun Stunden auf den Bus gewartet hat, versteht man besser wie es in Afrika läuft“, sagt er.

Nach seinem Studium in Frankfurt, Lyon und Freiburg bewarb er sich 2001 in Genf und meisterte das anspruchsvolle Auswahlgespräch: „Es gab Fragen zur Welthandelsordnung, Außenwirtschaftstheorie, Makroökonomie – und das alles abwechselnd in Englisch, Französisch und Spanisch“, erzählt der VWLer. Dass seine Arbeit schon öfter dazu beigetragen hat, in einem Land Reformprozesse auszulösen, empfindet Klau als „besonders befriedigend“. In Genf einen Wurstgrill zu eröffnen, käme für ihn mit Sicherheit nicht in Frage.

Nicht nur für die Arbeit in internationalen Behörden und Institutionen, die Verstärkung suchen, sind ausgezeichnete Sprachkenntnisse ein Muss. Auch wer als Wiwi in der Wissenschaft oder in der freien Wirtschaft Karriere machen will, muss sich mindestens auf Englisch verständigen können, besser verhandlungssicher sein – und noch eine zweite Fremdsprache in petto haben. Auslandssemester inklusive intensivem Sprachtraining sind daher sinnvoll investierte Zeit. „Unternehmen mit internationalen Beziehungen schätzen Bewerber mit Auslandserfahrung“, weiß Bernhard Hohn vom Arbeitsmarkt-Informationsservice der Bundesagentur für Arbeit: In rund 30 Prozent aller Stellenangebote für Betriebswirte werden Englischkenntnisse explizit gefordert, bei den Volkswirten sind es sogar knapp 40 Prozent. Aus gutem Grund, weiß WTO-Mitarbeiter Arne Klau: „Meine Arbeit erfordert einiges an kommunikativen und sprachlichen Fähigkeiten – egal, ob meine Gesprächspartner Globalisierungskritiker aus Israel oder Ministerialbeamte aus Uganda sind.“

Wen statt des politischen Einflusses eher das dicke Gehalt lockt, sollte sich bei großen Unternehmen umschauen. Hier winkt jungen Wirtschaftswissenschaftlern am ehesten das große Geld. Bei einem Konzern mit über 1000 Mitarbeitern fällt der Gehaltsscheck für Wiwis im Schnitt rund 40 Prozent üppiger aus als bei einem Mittelständler, die wiederum damit locken, Frischlingen schneller Verantwortung zu übertragen. Zu den Branchen mit Top-Gehältern zählen Banken, Beratungsgesellschaften, IT und Telekommunikation.

Akademisches Stehvermögen zahlt sich für Newcomer extra aus. „Eine Promotion kostet zwar reichlich Lebenszeit und Nerven, bringt aber ein deutlich höheres Einstiegsgehalt“, bestätigt Tim Böger, Geschäftsführer der Vergütungsberatung Personalmarkt. Doktoren ergattern weitaus häufiger lukrative Positionen mit Personalverantwortung: Während es von den Promovierten 42 Prozent im Laufe ihrer Karriere auf den Chefsessel schaffen, steigt nur rund jeder fünfte Bachelor oder FH-Absolvent zur Führungskraft auf.

Wer berufsbegleitend promovieren möchte, findet bei Beratungsgesellschaften wie der Boston Consulting Group (BCG) ideale Voraussetzungen. Und das funktioniert so: Die Teilnehmer sparen zwei bis drei Jahre lang einen Teil ihres Gehaltes an. Anschließend werden sie zum Promovieren von ihrem Beraterjob freigestellt. Neben den Ersparnissen erhalten sie dann von BCG noch einen Bonus obendrauf. Ähnliche Angebote gibt es auch bei anderen Unternehmensberatungen wie McKinsey oder Roland Berger.

Die Chance, als Wiwi-Absolvent einen der attraktiven Beraterjobs an Land zu ziehen, stehen derzeit bestens. Vor allem die großen Namen melden beachtlichen Personalbedarf: BCG wird beispielsweise in diesem und im nächsten Jahr je 200 Berater einstellen. Ähnlich sehen die Pläne von McKinsey aus, Accenture sucht sogar 1000 neue Mitarbeiter für den deutschsprachigen Raum.

Wiwis konkurrieren zunehmend mit kaufmännisch versierten Ingenieuren und Informatikern um einen Platz in den interdisziplinären Beraterteams. Technik-affine Bewerber haben die Nase meist vorn. Das gilt auch für Jobs als Kundenberater in der Informations- und Kommunikationsbranche: „Die Schnittmenge aus BWL und Informationstechnologie ist gefragt“, bringt es Heiko Kern, Personalleiter der Freudenberg IT KG, auf den Punkt. Der Weinheimer IT-Dienstleister hat jährlich etwa 30 offene Positionen zu besetzen.

Unangefochtene Domäne der Wirtschaftswissenschaftler ist und bleibt jedoch der Bereich Rechnungs- und Steuerwesen. Seit Mai 2006 stieg der branchenspezifische Monster-Index um 59 Punkte auf den Rekordstand von 184: „Bereits Einsteiger können sich über eine große Auswahl an gut dotierten Jobs freuen“, sagt Davide Villa. „Wir suchen für das kommende Geschäftsjahr, das zum Juli 2008 endet, insgesamt 600 neue Mitarbeiter, davon 500 Absolventen“, sagt zum Beispiel Annette Glaser, Leiterin Personal der Region Süd bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte. Und die Konkurrenz PricewaterhouseCoopers hat im laufenden Geschäftsjahr sogar 1400 Stellen zu besetzen.

Neben einem Studienschwerpunkt im Bereich Steuern erwarten sie von ihren angehenden Wirtschafts- und Steuerprüfern erste Berufserfahrungen sowie sehr gute Englisch- und PC-Kenntnisse. Die Berater in spe müssen zudem auf das Leben aus dem Koffer eingestellt sein.

Wen das moderne Nomadentum weniger reizt, wird auch in den Finanzabteilungen fündig. „Vor allem im Controlling und in der Bilanzbuchhaltung, aber auch im Kredit- und Risikomanagement haben Unternehmen derzeit einen großen Personalbedarf“, bestätigt Sven Hennige, Deutschland-Chef der Robert Half Financial Services Group. Das Unternehmen ist auf die Vermittlung von Fach- und Führungskräften für die Finanzbranche spezialisiert.

Auch die Banken kaufen nach Jahren des Personalabbaus verlorenes Know-how im großen Stil zurück: „2007 planen wir weltweit mehr als 1000 Hochschulabsolventen einzustellen, ein Fünftel davon in Deutschland. Das sind mehr als je zuvor“, sagt Georg Johann Bachmaier, Leiter Personalrekrutierung bei der Deutschen Bank. Als Firmenkundenberater, Controller, IT-Experte, Kredit- oder Risikoanalyst sind Personalchefs BWLer und VWLer oft gleichermaßen willkommen. „Neben den fachlichen Voraussetzungen spielt die Persönlichkeit eine immer größere Rolle“, weiß Arbeitsmarktexperte Hennige.

Um Job-Kandidaten abseits klassischer Bewerbungsgespräche und Assessment-Center besser kennen zu lernen, nutzen deutsche Unternehmen gerne Praktika und Traineeships. Die richtige Praktikantenstelle kann auch mit dem Master in der Tasche noch attraktiv sein, hat Benjamin Didszuweit festgestellt.

Der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler hat bei der Deutschen Bank gerade ein halbes Jahr als Assistent von Professor Norbert Walter verbracht. An der Seite von Deutschlands bekanntestem Volkswirt sammelte der 29-Jährige spannende Eindrücke: So durfte er in kleinster Runde mit einem Erzbischof über Wirtschaft in der Kirche diskutieren oder eine hochkarätige Diskussionsrunde mit Club-of-Rome-Mitglied Professor Franz-Josef Rademacher und Ex-Minister Klaus Töpfer vorbereiten.

„Ich hatte Bedenken, dass mir jeder andere Job langweilig vorkommen müsste“, lacht Didszuweit. Doch diese Gefahr ist gebannt. Seit Juli ist er im Bereich Global Banking fest angestellt, die nächste Praktikantenstelle bei Norbert Walter wird im Juli 2008 frei.

Ex-Praktikant Didszuweit analysiert jetzt die Geschäfts- und Finanzstrategien von internationalen Unternehmenskunden aus den verschiedensten Branchen. Vielleicht ist eines Tages ja eine neue Franchisekette aus Großbritannien darunter: Erfolgsrezept – deutsche Bratwurst.

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