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Fachkräftemangel in Berlin: Neuer Job

Nicht nur für Techniker und IT-Spezialisten, sondern auch in vielen anderen Branchen sind Experten gefragt. Die schnelle Fortbildung reicht aber längst nicht aus, um sich dafür fit zu machen.

nternehmen suchen händeringend nach Ingenieuren, Maschinenbauern und IT-Spezialisten. Kliniken und Altenheime brauchen mehr qualifizierte Pflegekräfte. Und auch im Handwerk sind Fachkräfte rar. Auf der anderen Seite sind in Deutschland 3 188 000 Menschen ohne Arbeit, darunter gut ausgebildete Experten. Mangel auf der einen und Überschuss auf der anderen Seite: Gibt es da keine Schnittmenge? Oder lassen sich die vorhandenen Potenziale nutzen und, wie jüngst von der Kanzlerin Angela Merkel vorgeschlagen, aus Hartz-IV-Empfängern Pfleger machen?

Schon heute ist der Fachkräftemangel ein latentes Problem für viele Unternehmen und im Zuge der alternden Gesellschaft wird sich das noch verschärfen: Nach Vorhersagen einer gemeinsamen Fachkräftestudie der Länder Berlin und Brandenburg werden in zehn Jahren in der Region 362 000 Fachkräfte fehlen. Über ein Viertel der Berliner Firmen hat laut Industrie- und Handelskammer (IHK) bereits jetzt Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Das gilt auch für jeden zweiten Handwerksbetrieb. Besonders betroffen sind kleine und mittelständische Unternehmen. Und nicht nur technikorientierte und produzierende Firmen haben damit zu kämpfen. Fachpersonal fehlt auch andernorts. Die Liste gefragter Berufe reicht von Altenpflegern über Elektroinstallateure bis zu Frisören.

Zwar kann man einen Ingenieursposten nicht mit einem arbeitslosen Germanisten besetzen und ein Einzelhandelskaufmann kann kaum IT-Spezialist werden: Dennoch haben durch die fehlenden Fachkräfte auch Arbeitssuchende generell bessere Karten. „Der wachsende Bedarf bietet für Arbeitslose und Ältere durchaus Chancen“, sagt der Sprecher der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg, Olaf Möller. „So wächst bei Betrieben die Bereitschaft, Personal einzustellen, das zuvor länger arbeitslos war oder älter ist“, stellt er fest.

Gefragte Kompetenzen. Gute Chancen hat man unter anderem mit einer Ausbildung als Erzieher/in, Lebensmittelverkäufer/in, Altenpfleger/in, Medizinisch-Technischer-Angestellte/r, Anlagenmechaniker/in und Ingenieur/in (siehe Kasten).Fotos: ddp (5), dpa (1)
Gefragte Kompetenzen. Gute Chancen hat man unter anderem mit einer Ausbildung als Erzieher/in, Lebensmittelverkäufer/in, Altenpfleger/in, Medizinisch-Technischer-Angestellte/r, Anlagenmechaniker/in und Ingenieur/in (siehe Kasten).Fotos: ddp (5), dpa (1)

© ddp

Arbeitslose könnten den Mangel bis zu einem bestimmten Grad für sich nutzen, meint auch die Leiterin der Berliner Niederlassung der Personalberatung Rundstedt HR Partners, Beate Krenzer. Sie rät: „Sie sollten schauen, welches Packet an fachlichen und persönlichen Qualifikationen bringe ich mit und was ist derzeit gesucht. Daraus ergibt sich eine Schnittmenge.“ Dann gelte es festzustellen, welche Lücken man für in Frage kommende Jobs habe – und wie man sie schließen könne. „Da kann eine gezielte Weiterbildung helfen“, sagt sie. Olaf Möller von der Arbeitsagentur weiß: „Besonders gut klappt ein Wechsel, wenn jemand bereits eine gute Grundausbildung hat und jetzt nur noch eine moderne Anpassungsfortbildung in einer speziellen Fachrichtung benötigt“. So hat etwa ein ausgebildeter Elektriker sehr gute Chancen, auch wenn ihm spezielle Fähigkeiten fehlen. Denn Firmen nehmen jetzt eher in Kauf, nötiges Zusatzwissen selbst zu vermitteln – wenn die Voraussetzungen ansonsten mit den Anforderungen übereinstimmen.

Auch im sozialen Bereich ist die Nachfrage an Fachpersonal groß und man hat auch als Berufsumsteiger Chancen. Ein guter Einstieg sei die zweijährige Ausbildung zum Sozialassistenten, erklärt Möller. Damit könne man im Gesundheitswesen als Hilfskraft anfangen. Auch Ausbildungen in der Altenpflege sind möglich. Ein weiterer Bereich, der sich für Umsteiger anbietet, ist die Touristikbranche. Mit einer zusätzlichen Ausbildung im Bereich Hotel- und Gastgewerbe hat man gute Beschäftigungs- und auch Aufstiegschancen. Voraussetzung ist hier allerdings oft, dass man mobil und bereit ist, sich stetig weiterzuqualifizieren.

Der Berliner IHK-Arbeitsmarktexperte Malte Behmer sieht die Lage eher kritisch. Den Fachkräftemangel durch Weiterbildung zu kompensieren, sei eine Chance, die aber nicht überbewertet werden dürfe. „Wer lange Zeit arbeitslos ist, kann die in dieser Zeit verloren gegangene Übung nicht von heute auf morgen durch Zusatzqualifikationen ersetzen“, sagt er.

Die Karriereberaterin Svenja Hofert warnt: Es sei ein Trugschluss zu glauben, dass man sich mal schnell schulen und weiterbilden könne. „Soll eine Weiterbildung etwas bringen, muss man auch Zeit mitbringen“, meint sie. Zudem sollte man darauf achten, keinen Weiterbildungstrends zu folgen, die morgen für die Firmen schon wieder uninteressant sein könnten.

Rundstedt-Beraterin Krenzer rät gerade Langzeitarbeitslosen zu Praktika oder „Probearbeiten“ für einige Wochen. Das biete sich auch für Ältere an. Zudem sollten sich Bewerber nicht so schnell von den Anforderungen und dem zu engen Jobprofil in Stellenausschreibungen abschrecken lassen. Anja Kettner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wiederum plädiert für lebenslanges Lernen. Sie weiß: Deutsche Arbeitgeber legen auf eine abgeschlossene Ausbildung wert. Deshalb müsse es auch Älteren zunehmend ermöglicht werden, noch einmal eine komplett neue Ausbildung zu durchlaufen. Ihr Bild der Zukunft: 50-Jährige Arbeitslose lernen neben 16-jährigen Schulabgängern einen neuen Beruf, zum Beispiel Altenpfleger oder Mechatroniker, erhalten einen Abschluss – und könne sich gleichberechtigt um einen Job bewerben.

Laura Gitschier

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