zum Hauptinhalt
Ort für künftige Führungskräfte. Die Hertie-School of Governance hat ihren Sitz in der Friedrichstraße.

© Doris Spiekermann-Klaas

Governance-Schools in Berlin: Regieren lernen: Master für künftige Führungskräfte

Im angloamerikanischen Raum hat die Ausbildung von Führungskräften an Governance-Schools Tradition. Jetzt gibt es sie auch in Deutschland. Für wen sie sich anbieten – und zu welchen Jobs sie führen.

Kofi Annan begegnen die Studenten in der Wilhelmstraße höchst selten. Etwa einmal im Jahr taucht der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen in der Humboldt-Viadrina School of Governance auf. Er gehört zum Beirat der Hochschule. Zuletzt war er beim Africa Progress Panel zu Gast, bei dem im letzten Mai der Bundesentwicklungsminister und die Ex-Präsidenten von Nigeria und Botswan über die Zukunft Afrikas debattierten.

In diesen Tagen ist es dagegen still in dem Gebäude mit den hohen Fenstern. Es ist veranstaltungsfreie Zeit. Nur die Mitarbeiter laufen durch die leeren Flure.

Die Studenten sitzen irgendwo in Deutschland, Venezuela, der Ukraine oder der Schweiz an ihrem Arbeitsplatz. Oder daheim vor dem Computer, wo sie sich durch dicke Ordner lesen, um zu lernen, wie man Projekte auf den Weg bringt, mit denen sich drängende politische und soziale Krisen der Gesellschaft lösen lassen. Sie sind für den Master-Studiengang Public Policy eingeschrieben, was sich mit Öffentliche Ordnung übersetzen lässt. Der Unterricht findet zum Teil im Fernstudium statt.

Auch Laura Haverkamp sitzt zuhause in ihrer Wohnung in Berlin. Sie schreibt gerade an ihrer Masterarbeit. Der zweiten. Ihren ersten Master hat die 26-Jährige in Kommunikationswissenschaften absolviert. Anschließend begann sie in einer PR-Agentur zu arbeiten, die Projekte an der Schnittstelle von Politik, Ökonomie und gemeinnützigen Einrichtungen durchführt. Bald wollte sie als Beraterin besser werden und größere Projekte umsetzen können. „Kommunikationswissen ist viel Prozesswissen. Ich wollte auch inhaltlich in die Sphäre der Politik einsteigen, verstehen, wie das System tickt“, erklärt sie. Deshalb hat sie sich an der Humboldt-Viadrina eingeschrieben.

Wäre sie bereit gewesen, Berlin zu verlassen, hätte sie die Wahl zwischen mehr als einer handvoll Anbietern von Master-Programmen gehabt, die seit Anfang 2000 nach angloamerikanischem und französischem Vorbild in Deutschland gegründet wurden. Von Erfurt über Duisburg bis Potsdam werden Studenten für Regierungsaufgaben ausgebildet.

Alle Programme haben einen ähnlichen Ansatz. Die gesellschaftspolitischen Herausforderungen von heute – zum Beispiel soziale Verantwortung von Firmen, nachhaltige Energiepolitik, Zertifizierungssysteme für bessere Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern – lassen sich nur im Zusammenwirken von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft lösen, so die Idee. Entsprechend interdisziplinär und anwendungsorientiert sind die Lehrpläne ausgerichtet. Die Absolventen sollen als Generalisten zwischen den Bereichen vermitteln.

Berlin hat zwei solcher Schulen. Vor fast zwei Jahren eröffnete die Humboldt- Viadrina, ein Projekt der Humboldt-Universität und der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Laura Haverkamp gehört zum ersten Jahrgang. Heute sind dort 50 Studenten eingeschrieben.

Im September 2005 nahm die Hertie School of Governance die ersten Studenten auf, damals noch im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR. Inzwischen hat die private Hochschule ihren Sitz gegenüber den Galeries Lafayette in der Friedrichstraße. 170 Studenten nehmen dort zur Zeit an dem Master-Programm teil.

Auf Seite 2 geht es weiter mit Erfahrungsberichten aus der Hertie-School

Berliner Schulen. Die Hertie School (oben) befindet sich in der Friedrichstraße, die Humboldt-Viadrina in der Wilhelmstraße. Fotos: Doris Spiekermann-Klaas, Promo
Berliner Schulen. Die Hertie School (oben) befindet sich in der Friedrichstraße, die Humboldt-Viadrina in der Wilhelmstraße. Fotos: Doris Spiekermann-Klaas, Promo

© noltepicture

DIE HERTIE-SCHOOL

Die Absolventen sind auf dem Arbeitsmarkt offensichtlich begehrt. „Sechs bis acht Monate nach dem Abschluss haben so gut wie alle einen Job“, schätzt der Rektor der Hertie-School, Helmut Anheier. Sie werden von Verwaltungen, Unternehmen oder Nichtregierungsorganisationen eingestellt. Ein Absolvent ist Referent in einem EU-Abgeordnetenbüro, ein anderer Consultant der Weltbank, der nächste Referent im Auswärtigen Amt.

„Die Aussichten sind gut“, glaubt auch Isabel Steinweg. Die 26-Jährige sitzt auf einem von vier im Rechteck aufgestellten roten Sofas und diskutiert mit ihren Kommilitonen über Lobbyismus. Mit ihrem Diplom als Übersetzerin ist sie an der Schule eine Exotin und hatte es nicht gerade leicht, sich im ersten Jahr in die wissenschaftlichen Grundlagen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften einzuarbeiten. „Das waren ganz neue Themen für mich“, sagt sie. Die meisten Studenten kommen aus diesen Fachbereichen.

Sehr bereichernd findet sie den interkulturellen Austausch. Fast jeder zweite Student kommt aus dem Ausland. „Da kommen viele Perspektiven zusammen. Immer wieder muss man die eigene Position hinterfragen“, sagt sie. Die 25 000 Euro Studiengebühr finanziert Isabel Steinweg über das Stipendium einer Stiftung, ein Darlehen und einen Nebenjob.

Carlo Drauth steht fest im Berufsleben. Er hat 2009 den Abschluss gemacht und ist nun Referent im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. „Ich hatte Glück“ sagt der 27-Jährige. Nach dem ersten Studienjahr absolvierte er ein praktisches Jahr in dem Ministerium. Im dritten Jahr der Ausbildung, das das zweite Studienjahr war, arbeitete er dort mit reduzierter Stundenzahl weiter. Als er mit dem Master fertig war, wurde dort eine Stelle frei.

Bevor er sich bei der Hertie School bewarb, hat er einen Bachelor in European Studies in Maastricht absolviert. Für die Hertie School entschied er sich, weil ihm die interdisziplinäre, anwendungsorientierte Herangehensweise an gesellschaftliche Themen gefiel. Als zu Beginn des Studiums die Grundlagen vermittelt wurden, hat sich für ihn einiges wiederholt. „Aber dadurch vertieft man den Stoff ja auch“, sagt er. Sehr gut gefallen hat ihm dagegen das Praxisjahr. In dieser Zeit hat er zum ersten Mal „richtige“ Berufserfahrungen gesammelt. „Da hat man im zweiten Studienjahr verstanden, warum man das alles lernt“, sagt er. Das Studium war für ihn ein Türöffner. Die Hertie School arbeitet mit den Bundesministerien zusammen. So kam der Kontakt zustande.

DIE HUMBOLDT-VIADRINA

Ein robuster Holztisch steht in der Mitte des Seminarraums. An der Decke hängt eine aus asymmetrischen Formen zusammengesetzte Lampe. Gewöhnlich debattiert der Leiter des Masterstudiengangs an der Humboldt-Viadrina, Stephan Breidenbach, hier mit den Studenten. Heute erklärt der Juraprofessor, an wen sich das berufsbegleitende Angebot der Schule wendet, für das man 18 000 Euro zahlt.

„Ein Unternehmensberater, der in der Managementberatung Karriere machen will, ist mit einem MBA besser beraten als mit einem Master an der Humboldt-Viadrina“, sagt Breidenbach. Ein Unternehmensberater aber, der sein Denken für Innovationen in der Gesellschaft öffnet, sei dort gefragt. „Wir wollen Menschen anziehen, die den unbedingten Willen haben, Veränderungen in die Welt zu bringen.“ Aus welchem Fachbereich sie kommen, spielt dabei keine Rolle.

So haben die Studenten, in deren Mitte er sich gern setzt, die vielfältigsten Hintergründe. Nur vier der bisher 47 Teilnehmer kommen privat. Es gibt einen Referentin, die für eine Universität arbeitet, eine Diplom-Ernährungswissenschaftlerin, die bei einer Fachgesellschaft tätig ist, einen Offizier der Bundeswehr und einen Legal Specialist eines Verbandes. Die meisten studieren in Absprache mit ihrem Arbeitgeber. Sie haben ihre Arbeitszeit reduziert, ein Teilnehmer hat sich ganz freistellen lassen. Die Kommunikationswissenschaftlerin Laura Haverkamp hat eine halbe Stelle.

Nur international genug ist Breidenbach die Schule noch nicht. Zur Zeit kommen vier von fünf Studenten aus Deutschland. Das mag auch an der Sprachhürde liegen. Der Unterricht findet zum Teil auf Deutsch, zum Teil auf Englisch statt.

Kern des Studiums ist ein praktisches Projekt, das die Studenten im Laufe der vier Semester umsetzen. Alle Seminare nehmen darauf Bezug. „Es handelt sich dabei um eine Art DNS, einen roten Faden, um den sich das Studium dreht“, erklärt der Professor. Immer geht es um Fragen der Nachhaltigkeit oder sozialen Verantwortung. So will ein Unternehmer die Medienkompetenz benachteiligter Jugendlicher fördern, eine Ärztin die Gesundheit von Kindern verbessern und ein Trainee verantwortungsvolle Unternehmensführung zum Prinzip der Firmenstrategie einer Bank machen.

Laura Haverkamp entwickelt für ihren Arbeitgeber eine Kommunikationsplattform für Sozialunternehmer. „Kein leichtes Thema“, sagt sie, schon weil der Begriff sich nicht leicht fassen lasse. Doch nach wie vor begeistert sie das Spannungsfeld von sozialer Verantwortung und ökonomischen Interessen, in dem sie sich dabei bewegt. Fertig ist das Projekt aber noch nicht.

Ab Sommer, nach dem Abschluss, wird sie wieder Vollzeit in der Agentur arbeiten – und dort weiter an der Kommunikationsplattform arbeiten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false