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© Kitty Kleist-Heinrich

Kundenbetreuung: Auf den zweiten Blick

Kunden werden on- und offline intensiver denn je umgarnt. Für kommunikationsstarke Wirtschaftswissenschaftler sind Vertrieb und Marketing eine echte Alternative

Die erste Woche bei ihrem neuen Arbeitgeber verbrachte Sonja Siepen, 35, mit einem beheizbaren Mixer. Morgens, mittags und abends schmiss sie das Gerät an und ernährte sich ausschließlich durch Gerichte, die der „Thermomix“ zubereiten konnte. Es gab Kartoffelcremesuppe, Schaschlik-Spieße und Piña Colada, und nach sieben Tagen Schulung im Hotel, in dem sie mit anderen Nachwuchsmanagern lebte, war sie bereit, die flexible Küchenhilfe Hausfrauen vorführen und verkaufen zu können.

Der Aufwand, den das Direktvertriebsunternehmen Vorwerk in seinem Einführungskurs betrieb, ist ungewöhnlich aber notwendig. 900 Euro kostet der Thermomix, da sollten Siepens Argumente schon überzeugen, wenn sie Kunden begeistern will. Und das musste die Düsseldorfer Betriebswirtin dann auch gleich üben. Drei Monate lang hieß es: verkaufen, verkaufen, verkaufen. 50 Kundentermine, davon 25 mit Geschäftsabschluss sollten es sein – die Vorgabe ihres Chefs war ambitioniert. „Ich habe alle meine Freunde und Bekannten angerufen und gesagt: ,So, ihr dürft jetzt mal lachen, aber ich will euch einen Mixer andrehen''“, erzählt sie.

Anders als ihre Kollegen mit den Staubsaugern musste sie aber nicht bei fremden Leuten an der Tür klingeln. Thermomix-Repräsentantinnen kochen ihre 4-Gänge-Menüs im privaten Kreis auf Einladung, ähnlich wie bei einer Tupper-Party. Für die Gastgeberin gibt es anschließend einen Dankeschön-Rabatt. Sonja Siepen meisterte ihre Feuertaufe mit Bravour. Erst wurde sie zur Gruppenleiterin ernannt und stellte eine Verkaufstruppe für den Thermomix zusammen. Dann stieg sie zur Bezirksleiterin auf und übernahm schließlich, keine zwölf Monate nach ihrem Uni-Abschluss, ein Team von acht Gruppenleiterinnen mit 90 Repräsentantinnen.

Für BWL-Absolventen ist es ein Traum, früh Verantwortung zu übernehmen. Eine Karriere im Vertrieb dagegen kommt für die meisten nicht infrage. Wer als Wirtschaftswissenschaftler den Schwerpunkt Marketing wählt – und das trifft auf über ein Viertel der gut 44 000 Absolventen jährlich zu – möchte meist lieber bei einer weltbekannten Marke wie Porsche, L''Oréal oder Coca Cola arbeiten und dort an kreativen Marketingstrategien feilen. Das zeigt eine aktuelle Umfrage unter Marketing-Studenten des Berliner Trendence Instituts.

Beim Stichwort Vertrieb denken Berufseinsteiger noch immer überwiegend ans Klinkenputzen und an Staubsaugervertreter. Auch Sonja Siepen ging es so. „Um Verkaufs-Jobs habe ich früher immer einen großen Bogen gemacht“, sagt sie. Als man ihr zum Beispiel als Werkstudentin bei einem großen Verlag anbot, vom Kundenservice in den provisionsträchtigen Abo-Verkauf zu wechseln, lehnte sie dankend ab. „Und nun bin ich sogar in der Königsdisziplin, nämlich im Direktvertrieb gelandet“, sagt sie lachend.

Der Schritt hat sich ausgezahlt. Bei Vorwerk, das auch Kosmetik, Finanz- und Gebäudedienstleistungen anbietet und jährlich rund 2,3 Milliarden Euro umsetzt, ist die junge Vertriebsmanagerin seit ihrem Einstieg vor sechs Jahren weit gekommen. Vor knapp zwei Jahren wurde Siepen eine von bundesweit 20 Gebietsleitern – bei Vorwerk „Area Manager“ genannt. Über ihr stehen nur noch drei Regionalmanager, dann kommt schon die Geschäftsführung. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen mehr als eine halbe Million freier Handelsvertreter.

Neben der Chance auf eine frühe Führungsposition sprechen gerade in schwierigen Zeiten auch die besseren Job-Chancen für einen Einstieg im Vertrieb. Rund 15 Prozent aller Stellen für Wirtschaftswissenschaftler, die von Januar bis Mai 2009 in großen deutschen Tageszeitungen ausgeschrieben wurden, bezogen sich nach Angaben der Personalvermittlung Adecco auf Positionen im Vertrieb oder Kundenservice. Damit gibt es in diesem Bereich derzeit fast so viele Stellen für Betriebswirtschaftler wie im Finanz- und Rechnungswesen und sogar mehr als im Controlling.

In vielen Industriebranchen ist die Nachfrage nach Vertriebs- und Marketingprofis im Vergleich zum Vorjahr stark eingebrochen. Besonders betroffen sind der Fahrzeug- und Maschinenbau, die Elektroindustrie und auch Zeitarbeitsfirmen, bei denen die Zahl der offenen Stellen im Marketing und Vertrieb gegenüber den ersten fünf Monaten 2008 um 50 bis 70 Prozent geschrumpft ist.

Stabiler sind die Marketingbudgets und damit auch die Jobaussichten in weniger konjunkturanfälligen Branchen wie der Pharma- und Nahrungsmittelindustrie oder der Energiewirtschaft. Auch im Handel und bei Banken und Versicherungen sind junge Verkaufstalente nach wie vor gefragt. Vor allem die großen Geldhäuser wie Commerzbank, Deutsche Bank und HypoVereinsbank besinnen sich in der Finanzkrise zurück auf das sichere Geschäft mit solventen Privat- und Geschäftskunden und suchen zahlreiche Juniorberater mit Vertriebswissen, um hier Marktanteile zurückzuerobern.

Allein die Deutsche Bank vergibt 2009 und 2010 jeweils rund 200 Trainee-Plätze. Um den hohen Bedarf an Beraternachwuchs zu decken, lädt der Branchenprimus Bewerber neuerdings sogar zu einer Art Casting ein. Am „Super Day“ treffen bis zu 40 Anwärter auf Führungskräfte und Trainees aus dem Privatkundengeschäft und müssen sich in drei Gesprächsrunden bewähren. Wer weiterkommt, erhält schon am nächsten Tag einen Arbeitsvertrag angeboten.

Bei der Auswahl legt Recruiting-Chefin Kristina Flügel andere Maßstäbe an als beispielsweise im Investmentbanking. „Von angehenden Privat- oder Geschäftskundenberatern erwarten wir nicht unbedingt ein Einser-Diplom einer renommierten Elite-Uni. Wichtiger sind Beratungs- und Vertriebsqualitäten wie Kommunikationstalent und Serviceorientierung“, sagt sie. Auch Bachelor-Absolventen, die immerhin bereits rund zehn Prozent aller Hochschulabgänger der Wirtschaftswissenschaften stellen, sind ihr ausdrücklich willkommen.

Auch die Personalchefs im Handel bevorzugen Wirtschaftswissenschaftler – vor allem bei den rasch expandierenen Discountern. Nach Angaben der Kölner Handelsforscher des EHI Retail Institute stieg allein im Inland die Zahl der Lebensmittel-Discountläden im Krisenjahr 2008 bundesweit von 14 806 auf 15 219. Parallel dazu breiten sich die deutschen Preisbrecher auch im Ausland immer weiter aus. Aldi Süd betreibt beispielsweise bereits mehr als 60 Prozent seiner Läden außerhalb Deutschlands, darunter allein 1000 Märkte in den USA und 200 in Australien. Konkurrent Lidl deckt ganz Europa ab, sogar auf Malta oder Zypern kann man bei den preiswerten Schwaben einkaufen.

Dass Persönlichkeit und Praxisorientierung bei Personalentscheidungen im Vertrieb oft mehr zählen als überragende akademische Leistungen, hat Sonja Siepen selbst erfahren. „Ich habe immer viel nebenbei gearbeitet und dafür nicht so großen Lernehrgeiz entwickelt“, bekennt sie freimütig. Innerlich hatte sie sich deshalb bereits auf eine zähe Jobsuche eingestellt. Doch dann stieß sie gleich zu Beginn ihrer Bewerbungsphase auf eine Vorwerk-Annonce: Für die interne Ausbildung zur Bereichsleiterin wurden explizit Bewerber gesucht, die weniger durch einen aalglatten Lebenslauf als vielmehr durch soziale Kompetenz und Kommunikationsstärke glänzten.

Wenige Tage nach ihrem Vorstellungsgespräch hatte Sonja Siepen ihren Vertrag sicher. So manchen Kommilitonen, der damals über ihre Jobwahl den Kopf schüttelte, hat sie in ihrer Karriere weit hinter sich gelassen. Als Gebietsleiterin für Dortmund und Umgebung verantwortet sie die Umsätze von fünf Bezirken und fast 450 Mitarbeitern. Erstmals bewegt sie sich damit bei Vorwerk auf einer Ebene, wo überwiegend erfahrene Manager von außen eingekauft werden und bisher nur wenige Hausgewächse zum Zuge kamen.

Die zwanzig Gebietsleiter sind vor allem für den Ausbau und die strategische Entwicklung ihrer Gebiete zuständig, zum Beispiel, indem sie ihre Mitarbeiter besser qualifizieren, Marketingstrategien entwickeln und einschreiten, wenn irgendwo der Umsatz einbricht. „Wachstum generieren“, sagt Siepen, darum gehe es.

Dazu muss sie nicht nur mit Menschen, sondern vor allem auch mit Zahlen umgehen können. Ihr Ohr hat sie stets nah am Verkauf. Die Gruppen- und Bezirksleiter müssen regelmäßig von ihren Erfolgen berichten, zudem verbringt Siepen zwei Tage pro Woche mit der Schulung von Mitarbeitern. Das Analysieren und Interpretieren von Verkaufszahlen nimmt ebenfalls einen Großteil ihrer Zeit in Anspruch.

Gerade hat Siepen ein internationales Junior-Management-Programm absolviert. Jetzt wäre es denkbar, ins Ausland zu gehen für ihren Arbeitgeber, nach Italien vielleicht. Ihr Vorteil: Pesto und Risotto aus dem deutschen Thermomix beherrscht sie schon seit ihrem Einführungskurs perfekt.

Den vollständigen Text können Sie in der August-Ausgabe von „Junge Karriere“ lesen

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