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Praxis-Studium: Nimm zwei

Erst Vorlesung in der Uni, dann Arbeit im Betrieb: Mit einer solchen Ausbildung findet man schnell den Einstieg ins Berufsleben. Doch nicht für jeden ist sie das Richtige.

In den ersten Reihen des Hörsaals der Beuth-Hochschule verteilen sich 15 angehende Ingenieure für Elektronische Systeme. Sie hören zu, wie zwei Studenten einen Vortrag über Softwareentwicklung halten. Nur das Kritzeln von Stiften ist zu hören, als die Referenten über die Modellierung von Datenstrukturen und Systemdesign sprechen. Mitdenken ist ein Muss, die Zeit knapp, der Stoff straff strukturiert. In dem dualen Studium wechseln sich Theorie und Praxis in Blöcken ab. „Bis Anfang April haben wir in Betrieben gearbeitet“, berichtet der Student Józek Wurmus. Jetzt ist Vorlesungszeit.

Sieben Semester dauert das Studium. Dann hat er den Abschluss „Bachelor of Engeneering“ in der Tasche – und weit mehr Arbeitserfahrung als ein Hochschulabsolvent in der Regel vorweisen kann.

Was früher eher als Karrierebremse galt, bietet heute ein vielversprechenden Start in die Arbeitswelt. Zuviel Praxis, zu wenig Theorie hieß es lange. Doch inzwischen schätzen Arbeitgeber die Berufserfahrung, die die Absolventen neben dem Theoriewissen von der Hochschule mitbringen. Hochschulen, Wirtschafts- und Verwaltungsakademien, Berufsakademien, Universitäten und private Einrichtungen bieten duale Studiengänge an, die mit dem Bachelorabschluss enden.

Für die Studenten heißt das duale Studium: viel Einsatz. Wer dual studiert, bekommt meist ein Ausbildungsgehalt, muss aber auf Semesterferien verzichten. Dafür sind die Übernahmechancen nach dem Studium überdurchschnittlich gut.

An der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin beginnen jährlich 720 Studenten ein duales Studium. „Die Nachfrage ist groß“, sagt die Dekanin des Fachbereichs, Dorle Linz. Rund 480 Berliner Betriebe bilden Studenten im Verbund mit der HWR aus. Die Bandbreite der Abschlüsse reicht vom Bachelor in Steuer- und Prüfungswesen über Informatik bis Bauwirtschaftsingenieurwesen.

Wer an der HWR dual studiert, muss einen Ausbildungsvertrag mit einem der Partnerunternehmen abschließen. Die Hochschule stellt sicher, dass die Firmen ihren Studenten einen Mindestbetrag an Ausbildungsentgelt zahlen. Im klassischen Sinne sei ein solches Berufsakademiestudium für Posten im mittleren Management gedacht, sagt die Dekanin. „Aber die besten schaffen es auch in die Topetage“. Ein Absolvent leite etwa für Daimler den Bereich Financial Services für ganz Asien. Wegen hoher Nachfrage bietet die HWR ab Herbst einen dualen Master in Prozess- und Projektmanagement und einen komplett in englischer Sprache organisierten Bachelor für Logistik und Transport an.

Letztlich sei die Frage, ob ein duales Studium eine Karriere bis in die Führungsetage ermöglicht, auch abhängig von der Personalstrategie eines Unternehmens, sagt Susanne Rausch von der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung. Noch müsse das duale Studium bekannter werden: „Internationale Firmen wissen oft nicht, was das ist.“ Auch bei Mittelständlern sei das praxisorientierte Studium oft noch unbekannt, weiß Dekanin Dorle Linz. Große Firmen hingegen würden das Konzept oft nutzen, um gleich mehrere Studenten parallel für das Unternehmen auszubilden.

Aurélie Bergen studiert im vierten Semester an der privaten Internationalen Berufsakademie der F+U-Unternehmensgruppe. Ihr Ziel: Sie arbeitet auf den Bachelorabschluss in Betriebswirtschaftslehre in der Fachrichtung Event-, Messe- und Kongressmanagement hin.

Die finanzielle Belastung an der privaten Hochschule sind für die Studenten oft weit höher. Die Schulen kosten, und nicht alle Unternehmen zahlen die Studiengebühren. Auch das Ausbildungsentgelt in den Betrieben ist nicht festgeschrieben und kann stark variieren. Manche Studenten erhalten nicht mehr als einige hundert Euro im Monat. Bafög kann nicht beantragt werden.

Diese Aussicht hat Aurélie Bergen aber nicht abgeschreckt. „Die Kombination aus Theorie und Praxis ist unschlagbar“, sagt sie. Die 28-Jährige hat vorher Jura studiert, die trockene Materie lag ihr nicht. Jetzt schätzt sie das Lernen in kleinen Gruppen. „Es herrscht ein großer Zusammenhalt in meiner Klasse, so habe ich das an der Uni nicht erlebt“, sagt sie. An der Internationalen Berufsakademie wechseln die Studenten innerhalb einer Woche zwischen Theorie und Praxis. „Da muss man seinen Lebensalltag gut durchorganisieren“, sagt Aurélie Bergen. Das duale Studium sei definitiv ihr Ding: „Man kann netzwerken, sicheres Auftreten und Routine entwickeln, und wenn man geschickt ist, hat man gute Chancen, übernommen zu werden.“

Wenn Unternehmen das duale Studium kennengelernt haben, bleiben sie meist dabei. „Sie schätzen die Praxisnähe und die Möglichkeit, sich den Nachwuchs systematisch aufzubauen“, sagt Karriereberaterin Rausch.

Das Duale Studium ist genau das Richtige für Studenten, die gerne in festen Strukturen arbeiten, sagt Norbert Giesen von Siemens Berlin. Seit einigen Jahren bildet Siemens in der Hauptstadt jährlich 120 Studenten dual aus. „Wir wollen die Nobelpreisträger dafür gar nicht haben“, sagt er. Wichtiger sei, dass die Absolventen früh mit einer Ausbildung „verheiratet“ werden und sich am Ende des Studiums gut im Unternehmen auskennen. Siemens investiere 80 000 bis 100 000 Euro pro dualem Student, rechnet Giesen vor. „Da wird sich die Abteilung gut überlegen, ob sie einen Absolventen ablehnt.“

Giesen wünscht sich mehr Werbung für das duale Studium: „Die Lehrer kennen es nicht. Außerdem ist das Studienangebot für Außenstehende unübersichtlich“, sagt er. Gerade sucht Giesen händeringend Bewerber für den Studiengang Maschinenbau – liebend gern auch Frauen. Die sind in naturwissenschaftlich-technischen Berufen nach wie vor wenig vertreten.

Das ist auch in der Bachelor-Klasse der Beuth-Hochschule so. Dort sitzen nur Männer. Sie mögen den Praxisbezug im Studium, sagen sie, und dass sie sich bewusst auf den Wechsel von Arbeits- und Studienalltag eingelassen haben: „Man lernt, sich in viele Gegebenheiten einzuarbeiten, und das schnell“, erklärt Józek Wurmus. Einige wollen nach dem Bachelor dann doch noch mehr Theorie lernen – und einen Master anhängen.

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