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Eine Frau arbeitet an einem Computer im Büro.

© Getty Images

Quereinstieg: Was Führungskräfte im öffentlichen Dienst erwartet

Der öffentliche Dienst sucht Führungskräfte, gern auch aus der freien Wirtschaft. Umsteiger sollten allerdings wissen, was sie in Sachen Bewerbung, Arbeitsweise und Gehalt erwartet.

Von Claudia Obmann

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Zu wenige Wohnungen, marode Straßen, hohe Aktenstapel: Der Staat muss sanieren, bauen, digitalisieren. Steuern muss all diese Prozesse geeignetes Führungspersonal – das dem Staat schon heute fehlt.

Und die Lage wird sich verschärfen. Tausende Beschäftigte im öffentlichen Dienst und in staatlichen Beteiligungsgesellschaften werden in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand gehen. Manager aus der Wirtschaft haben deshalb gute Karrierechancen – ob in Stadtwerken oder Landes-Rechenzentren.

41.273 offene Stellen meldete die Bundesagentur für Arbeit allein im Bereich Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung für Oktober – darunter 700 Führungs- und Aufsichtspositionen.

 5,4
Millionen Beschäftigte zählt der öffentliche Dienst

Bernhard Walter, Director Executive Search bei der Personalberatung Kienbaum, sagt: „Wer Erfahrung in Transformation, Digitalisierung und Kulturwandel mitbringt, hat gute Karten – vor allem in öffentlichen Beteiligungsgesellschaften.“

Rund 5,4 Millionen Beschäftigte zählt der öffentliche Dienst laut Statistischem Bundesamt. Auf einen Beamten kommen dabei zwei Angestellte.

Neben dem klassischen Staatsdienst in Ministerien und Behörden gibt es eine zweite Ebene: die 1,56 Millionen Beschäftigten in öffentlich-rechtlichen oder öffentlich bestimmten Einrichtungen. Dazu zählen die staatlich kontrollierten Krankenkassen, Rundfunkanstalten und die Bundesagentur für Arbeit sowie Wohnungsbaugesellschaften, Verkehrsbetriebe oder Messegesellschaften, an denen der Staat die Mehrheit hält.

Was bringt Manager dazu, in den Staatsdienst zu wechseln? Und was erwartet sie dort?

Von der CIO zur Amtsleiterin

Entsprechende Einblicke kann Silke Lehnhardt geben. Sie fühlte sich von der Zeitungsannonce der Stadt Wiesbaden im Jahr 2021 „persönlich angesprochen“. Die hessische Landeshauptstadt suchte damals eine Leitung für das neue Amt für Innovation, Organisation und Digitalisierung.

Jahrzehntelang hatte Lehnhardt in Top-Führungspositionen verschiedener Konzerne gearbeitet, unter anderem als Chief Information Officer (CIO) bei Lufthansa Cargo. Später half sie als selbstständige Interimsmanagerin Unternehmen dabei, ihre IT zu modernisieren.

Lehnhardts Motivation für den Schritt in den Staatsdienst: „Zu digitalisieren, wo noch Papier die Regel ist, und der Stadtverwaltung Strukturen zu geben, um bürgerfreundliche Onlineservices zu ermöglichen – das hat mich gereizt.“

Mit Ende 50 ergriff sie die Chance, „gesellschaftlich Sinnvolles zu tun und meine Komfortzone zu erweitern“. Damit entsprach Lehnhardt genau dem Profil, nach dem Personalberater für den Staat suchen: gestandene Führungskraft mit Transformationserfahrung, die sich in den letzten sieben bis zehn Berufsjahren fürs Gemeinwohl engagieren will.

Dabei müssen sich die Manager auf einen Gehaltsrückgang einstellen – oft im „deutlich zweistelligen Prozentbereich“, sagt Florian Koenen. Er ist Geschäftsführer für öffentliche Wirtschaft der Topos Personalberatung und spricht oft gezielt Führungskräfte 55 plus an. Meist seien diese finanziell abgesichert, sodass es ihnen nicht darauf ankomme, ihr Einkommen weiter zu maximieren.

Für Silke Lehnhardt war das kein Problem. In den öffentlichen Dienst wechselte sie in einer Phase, „in der Gehalt zweitrangig ist“, sagt die heute 61-Jährige.

Eigenverantwortung in Führungskultur verankern

Auch für Peter Leweke waren die deutlichen Vergütungseinbußen kein Ausschlusskriterium, als ihm 2019 angeboten wurde, IT-Abteilungsleiter bei der Polizei NRW zu werden. Zwar fragte der Manager, der zuvor in der Privatwirtschaft Gehälter von bis zu 180.000 Euro jährlich erzielt hatte, zunächst irritiert: „Handelt es sich um einen Halbtagsjob?“ Denn die Vollzeitstelle bei der Behörde in Düsseldorf war mit rund 85.000 Euro dotiert. Selbst mit höchster Eingruppierung sowie Orts- und Familienzulagen kam Leweke nur auf 92.000 Euro.

Ich machte einen Zeitsprung fünf bis zehn Jahre zurück – technisch, aber auch in der Führungskultur.

Peter Leweke
Manager

Den 52-jährigen Informatiker motivierte vor allem die Aussicht, Dienst an der Gesellschaft tun zu können. „Ich habe in Deutschland viel Gutes erfahren, ich wollte etwas zurückgeben“, sagt Leweke rückblickend.

400 Beschäftigte zählte sein neuer Bereich, davon war jeder fünfte ein Beamter. Lewekes Aufgabe: die IT zukunftsfähig machen, mit mobilen Geräten für Polizisten, Cloud-Lösungen und einem Ausbau des Rechenzentrums.

Er erinnert sich gern an die Anfangszeit, in der er viel gestalten durfte und Dankbarkeit erntete. Leweke sagt aber auch: „Ich machte einen Zeitsprung fünf bis zehn Jahre zurück – technisch wie in der Führungskultur.“

Um die Modernisierung zu beschleunigen, setzte Leweke auf mehr Eigenverantwortung: „Ich habe allen Führungskräften vom Teamleiter an einen Vertrauensvorschuss gegeben. Damit ich nicht – gefühlt – jede gekaufte Briefmarke absegnen musste.“

Ein Führungsstil, der in seinem neuen beruflichen Umfeld nicht überall praktiziert wurde. Leweke selbst war in seinen Entscheidungen weniger frei, erzählt er, musste häufig das NRW-Innenministerium einbinden.

Und als Minister Herbert Reul das Geld kürzte, waren seine Pläne Makulatur. Bei Leweke entstand der Eindruck, „Mangel zu verwalten“. Nach viereinhalb Jahren entschied er sich deswegen für den Schritt zurück in die freie Wirtschaft – in dem Wissen, dass er bei der Polizei wichtige Transformationsimpulse setzen konnte.

Zwischen Interessen und Instanzen

Politiker, Personal, Öffentlichkeit: Um mit unterschiedlichsten Interessensvertretern umzugehen, „ist Fingerspitzengefühl gefragt“, sagt Personalberaterin Sabine Hansen. Für die Chefin der Beratung She4Her Leadership Consulting ist entscheidend, wie gut Bewerber strategische Beziehungsarbeit beherrschen.

Wem es etwa in vergangenen Jobs schon gelungen sei, durch kluge Kompromisse etwa Personalkosten zu senken, beweise diese Fähigkeit.

Man muss die Instanzen kennen, die mitentscheiden – und ganz oben auch die politischen Zusammenhänge verstehen.

Bernhard Walter
Director Executive Search bei der Personalberatung Kienbaum

Gute Chancen hat auch, wer mit Gremienarbeit vertraut ist. Beliebt seien Bewerber aus Konzernen mit kommunalen Beteiligungen. Sabine Hansen nennt ein Beispiel: „Wer etwa für Eon oder RWE als Aufsichtsrat in Stadtwerke entsendet wurde, kennt die Spielregeln der Lokalpolitik – und oft auch die Entscheider.“

Je höher die Position, desto komplexer das Terrain. „Man muss die Instanzen kennen, die mitentscheiden – und ganz oben auch die politischen Zusammenhänge verstehen“, sagt Kienbaum-Berater Walter.

Neben politischem Gespür gehe es darum, taktisch zu denken. „Wer Ministern, Senatoren oder Oberbürgermeistern die Bühne überlässt, auf der sie sich mit Erfolgen schmücken können, erhöht die eigene Wirksamkeit.“

Wie lange es manchmal dauert, etwa im Stadtrat Mehrheiten für Projekte zu bekommen, weiß auch Amtsleiterin Silke Lehnhardt. Auf das neue Stadtportal, das nun online ist, ist sie stolz: Die Homepage von Wiesbaden ist mehrsprachig, barrierefrei und lässt sich mit dem Smartphone nutzen.

Wer führen will, muss Kurswechsel aushalten

Politik bestimmt den Takt – und manchmal auch den Kurswechsel. Das muss man mögen, weiß Christina Geib aus eigener Erfahrung. Die 53-jährige Immobilienkauffrau ist heute nach verschiedenen Stationen bei Banken, Beratungen und öffentlichen Einrichtungen kaufmännische Geschäftsführerin der Hafencity Hamburg GmbH (HCH). Und verantwortlich für eines der größten innerstädtischen Stadtentwicklungsprojekte Europas.

„Diese Position ist ein Glücksgriff“, sagt Geib. Auch, weil die rot-grüne Regierung der Hansestadt unter dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher verlässlich mitzieht.

Auf Geibs vormaliger Geschäftsführerposition bei der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) in der Bundeshauptstadt erlebte sie das anders: Als 2017 eine neue Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen antrat, kippte diese die fertigen Pläne für ein Hochhaus. Das Immobilienprojekt musste neu geplant werden. Geib war enttäuscht – aber nicht so sehr, dass sie dem Staatsdienst den Rücken kehrte. Sie wechselte nach Hamburg, weil sie dort die Chance sah, die Stadt langfristig mitgestalten zu können.

Bewerbung: Strenge Regeln statt Schnellverfahren

Wer sich wie Geib, Lehnhardt oder Leweke für eine Führungsposition beim Staat bewirbt, muss mehr mitbringen als Führungserfahrung und Kommunikationsgeschick. Ein vollwertiger Universitätsabschluss ist oft Pflicht. Das Entlohnungssystem orientiert sich am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) – und der gibt Kriterien vor.

Drei Monate dauert es bis zur ersten Kandidatenpräsentation. Berater Koenen berichtet von einem 14-köpfigen Besetzungsgremium, um einen neuen Geschäftsführer für eine öffentliche Baugesellschaft auszuwählen – darunter Vertreter der Finanz-, Schul- und Baubehörde. „Das sind keine Recruitingprofis, sondern Fachleute mit eigener Perspektive.“

Hohes Fixum, geringe Boni

Wer dann wie Christina Geib in eine öffentliche Beteiligungsfirma wechselt, wird kein Beamter. Diese Unternehmen sind privatrechtlich organisiert, bieten reguläre Arbeitsverträge – für Geschäftsführer meist drei bis fünf Jahre, darunter unbefristet. Bei Ministerien, Kommunalverwaltungen oder Hochschulen ist eine Verbeamtung möglich.

Die Vergütung in den GmbHs oder AGs richtet sich nach dem TVöD. Geschäftsführer liegen meist zwischen 170.000 und 250.000 Euro Jahresgehalt. „Offiziell gilt die Besoldung des jeweiligen Oberbürgermeisters als Obergrenze, doch bei großen Beteiligungen wie Flughäfen sind bis zu 500.000 Euro Jahressalär möglich“, sagt Kienbaum-Personalberater Walter.

Das Paket: hohes Fixgehalt, geringe Boni, solide Altersvorsorge, kein Dienstwagen. Etwaige Zielvereinbarungen unterscheiden sich deutlich von der Wirtschaft: Statt der konkreten Vorgabe „20 Prozent Kosten senken“ heißt es eher „EDV-Systeme modernisieren“ oder „Verkehrswende einleiten“.

Fazit: Der öffentliche Dienst steht vor großen Herausforderungen. Die nächsten Jahre zeigen, ob der Staat zum modernen Arbeitgeber wird. Führungskräfte aus der Wirtschaft können diesen Wandel prägen – und sind willkommen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Handelsblatt.

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