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Mama macht den Master – und manchmal muss der Nachwuchs eben mit. Familienfreundlichkeit ist ein Pluspunkt im Wettbewerb um kluge Köpfe.

© Ralf Hirschberger/p-a/ZB

Studieren mit Kind: Gasthörer in Himmelblau

Ein Studium mit Kind will gut organisiert sein. Die Unis müssten helfen. Viele tun aber noch zu wenig.

Ausgerechnet an diesem Tag fällt der Babysitter aus, der die vierjährige Tochter aus der Kita abholen soll. Ersatz ist nicht in Sicht, und im Berliner Berufsverkehr pünktlich zum Kita-Schluss anzukommen, würde an ein Wunder grenzen. Doch Jenny Stiebitz kann es sich nicht leisten, das Seminar an der Universität zu schwänzen. Seit Wochen steht fest, dass die Studentin der Wirtschaftskommunikation eine Präsentation halten muss. Ohne den Leistungsnachweis wird ihr der Kurs nicht anerkannt, die Arbeit eines ganzen Semesters wäre verloren. Stiebitz überlegt nicht lange, sondern entscheidet: Mein Kind muss mit in den Hörsaal.

Die 31-Jährige macht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) den Master in Wirtschaftskommunikation. Sie gehört zu den wenigen Eltern, die an der HTW studieren. Neben Seminaren, Vorlesungen oder Praxisprojekten stehen Basteln, Fußballspielen und Hausaufgabenbetreuung auf ihrem Wochenplan. Dazu kommen Nebenjobs und Ehrenämter.

Für Michaela Volkmann, Beraterin im Familienbüro der Freien Universität Berlin, steht fest: „Ohne Kinderbetreuung während der Seminarzeiten ist kein Studium möglich.“ Vor allem, wenn die Kleinen krank sind und nicht in die Kita können oder Kinderladen und Hort gerade Ferien machen. „Die Studierenden brauchen viel Organisationstalent, Energie und Disziplin, um Studium, Kind und häufig noch einen Job unter einen Hut zu bringen“, sagt Volkmann. Sie erstellt mit den Eltern Pläne, wie das Studium am besten organisiert wird, wie Leistungen auf Elternzeit oder Schwangerschaft angerechnet werden oder welche alternativen Prüfungsmöglichkeiten es gibt.

Am Tag der Präsentation packt Studentin Stiebitz Bücher, Stifte und Papier für ihre Tochter ein. So soll sie sich die Zeit vertreiben. Doch als die Mutter mit ihrem Vortrag an der Reihe ist, springt die Kleine nach vorn. Gelächter, ein verständnisvolles Nicken vom Dozenten, dann setzt Stiebitz mit ihrer Tochter auf dem Arm ihren Beitrag fort. „Mit Kind an der Uni musst du selbstbewusst sein“, sagt sie. Während Eltern oder Freunde ihre Entscheidung mit viel Respekt unterstützten, erfuhr sie am Anfang wenig Verständnis von Studierenden ohne Kind. „Als ich hochschwanger einen Vortrag hielt, wurde bemängelt, dass ich so kurzatmig sprach“, erinnert sie sich und lacht. Der Dozent musste die Mitstudenten erst darauf aufmerksam machen, dass das an der Schwangerschaft liegen könnte.

Eltern an der Uni müssen Normalität werden

Beim Lernen hat sich Stiebitz vor allem mit anderen Eltern zusammengeschlossen. Sie wissen, dass Treffen am besten zwischen 9 Uhr und 16 Uhr klappen oder die Besprechung am Abend per Skype laufen muss. Sogar eine Elterninitiative haben sie an der HTW gegründet. Sie wollen die Betreuung verbessern und haben spezielle Räume durchgesetzt, die Mütter zum Stillen oder Spielen mit den Kindern nutzen können. Die Uni sorgt seit Kurzem sogar für einen Notfall-Babysitter. Und in der Mensa können Kinder bis sechs Jahre kostenlos mitessen.

„Studentinnen-Mütter, aber auch studierende Väter sind im Alltag sehr gut organisiert“, sagt Beraterin Volkmann von der FU. „Sie zeigen Engagement und Disziplin im Studium und damit auch Verantwortung gegenüber ihrem Kind.“ In den Beratungsgesprächen zeige sich eindeutig, dass sie eben nicht – wie die Mehrheit – studierende Kinder ihrer Eltern seien, sondern eben selbst Eltern.

Wie viele Lernende mit Kind es an den Hochschulen gibt, ist nur schwer zu erfassen, da die meisten Universitäten nicht nach dem Familienstand ihrer Studierenden fragen. Die FU geht davon aus, dass fünf bis sechs Prozent der rund 35 000 Studenten ein oder mehrere Kinder haben. Auch an der HTW gibt es keine genauen Zahlen. Beraterin Volkmann sieht die Unis in der Pflicht, mehr für die Vereinbarkeit von Familie, Studium und Job zu tun. Stimmen die Angebote, entscheiden sich angehende studierende Eltern wohl eher für eine familiengerechte Hochschule, vermutet sie.

In eineinhalb Jahren will Jenny Stiebitz ihr Studium beenden. Die meisten ihrer Kommilitonen sind dann längst im Arbeitsleben angekommen. Trotz Zeitstress und etlichen schlaflosen Nächten würde Stiebitz sich jederzeit wieder für Studium und Kind entscheiden. „Eltern an der Uni müssen Normalität werden“, sagt sie. Sie wünscht sich, dass Studierende keine Angst vor dem Wagnis Lernen mit Kind haben. Aber sie sieht auch die Professoren und Professorinnen in der Pflicht. „Wir brauchen Vorbilder“, fordert sie. Dozentinnen, die hochschwanger ihre Vorlesung halten, sind noch immer eine Seltenheit. Und auch männliche Lehrkräfte könnten ein Zeichen setzen: Damit der Papa seine Kinder von der Kita abholen kann, muss mit der Vorlesung eben um 16 Uhr Schluss sein.

Einige Unis haben ein Familienbüro, bei anderen Hochschulen gibt es Infos zur Vereinbarkeit von Studium und Familie bei der Sozialberatung.

Beratung und eine Broschüre zum Studium mit Kind bietet auch das Berliner Studentenwerk: www.studentenwerk-berlin.de/bub/sozialberatung/studieren_mit_ kind.

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