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Weiterbildung: "Den Job auf Lebenszeit gibt es nicht mehr"

Weiterbildungen gibt es unzählige. Die Stiftung Warentest prüft – und legt notfalls den Finger in die Wunde

Frau Engel, warum testet die Stiftung Warentest Weiterbildungen?

Die Weiterbildungstests sind 2002 im Auftrag des Bundesbildungsministeriums entstanden. Unsere Aufgabe ist es, die berufliche Weiterbildung unter die Lupe zu nehmen, die jedem Endverbraucher offen steht.

Warum ist Weiterbildung so wichtig?

Den Job auf Lebenszeit gibt es nicht mehr. Jeder muss sein Wissen anpassen, um am Ball zu bleiben und den Anforderungen am Arbeitsmarkt gerecht werden zu können. Das muss gar nicht immer organisierte Weiterbildung mit einem Zertifikatsabschluss sein. Lernen bedeutet auch, von Freunden und Kollegen zu lernen – und das tun wir ja alle eigentlich ständig.

Der Weiterbildungsmarkt ist kaum zu überschauen. Wie entscheiden Sie, welche Kurse und welche Anbieter demnächst getestet werden sollen?

Es ist unsere Aufgabe, für Transparenz zu sorgen und für den Verbraucher den Überblick behalten. Aber wir können natürlich nicht alles testen, es gibt 600 000 Kursangebote, 17 000 Anbieter, das schaffen wir auch in 100 Jahren nicht. Aktualität und die Relevanz für den Verbraucher sind für uns im ersten Schritt wichtig bei der Auswahl eines Themas. Da spielen natürlich arbeitsmarktpolitische Dinge eine Rolle. Englisch zum Beispiel braucht heutzutage fast jeder im Job, damit ist es ein wichtiges Thema. Wir lesen viel, informieren uns in den Medien und schauen, welche Themen zurzeit interessant sind oder sein könnten. Die Auswahl hat auch ökonomische Gründe. Dabei orientieren wir uns bei der Marktauswahl an Preisen, von denen wir annehmen, dass sie ein ganz normaler Verbraucher auch zahlen könnte. Das heißt aber nicht, dass wir grundsätzlich sehr teure Kurse ausschließen. Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel hochpreisige Zeitmanagement- und Konfliktmanagementkurse getestet, weil sie für Führungskräfte interessant sind. Außerdem wollen wir möglichst viele Verbraucher erreichen, deswegen wählen wir häufig Kurse in großen Städten wie Berlin, Hamburg, München, Dresden und Leipzig aus.

Und wie geht es dann weiter?

Der zweite Schritt ist die Marktanalyse. Die Abteilung hat stets die Datenbanken und Entwicklungen in der Branche im Blick und prüft, ob es einen Weiterbildungsmarkt für unser favorisiertes Thema gibt. Entscheidend ist dabei auch, dass es genügend vergleichbare Angebote gibt. Die Marktanalyse macht schließlich eine Liste oder Tabelle mit den Kursen, die in Frage kommen könnten für den Test. Die Auswahlkriterien werden dann gesondert festgelegt, dass kann man nicht verallgemeinern.

Wie legen Sie die Testkriterien fest ?

Die Projektleiter führen die Tests durch und beziehen unabhängige Prüfinstitute von Anfang an mit ein. Sie entwickeln das Untersuchungsdesign und legen die Anforderungen fest, die ein Kurs zu erfüllen hat. Also welche Inhalte muss ein Angebot bieten, was muss didaktisch geleistet werden. Auch die Räumlichkeiten, der Service und die Vertragsbedingungen sind Kriterien. Außerdem erstellt der Projektleiter gemeinsam mit externen Fachleuten den Fragebogen, den die Testpersonen in den Kursen für uns ausfüllen müssen.

Waren Sie selbst schon mal Testperson?

Nein, wir Mitarbeiter testen gar nicht. Meine Arbeit beginnt, wenn das Gutachten vorliegt, dann schreibe ich den Beitrag für das Heft. Wir arbeiten mit Menschen, die passend zu den Tests ausgewählt werden. Wir haben uns mittlerweile einen Pool an Testpersonen aufgebaut. Bei der Auswahl achten wir natürlich darauf, dass diese keine Verbindung zu Weiterbildungsanbietern haben. Die Anbieter dürfen schließlich keinen Wind davon bekommen, dass wir vorhaben, in einem bestimmten Segment zu testen. Die Ausgewählten gehen zwar unter ihrem Namen in die Kurse, bleiben aber als Tester anonym. Vorher bekommen sie eine Schulung, damit sie wissen, wie sich verhalten sollen – nämlich ganz normal. Also nicht extra kritische Fragen stellen zum Beispiel. Sie dokumentieren für uns dann sehr detailliert den Seminarverlauf mit so genannten Verlaufsprotokollen. Das ist wie Tagebuchschreiben.

Ist schon mal eine Testperson von Ihnen aufgeflogen?

Nein. Trotzdem probieren die Anbieter immer wieder, das herauszufinden. Wir äußern uns dazu nicht. Für uns ist es ganz wichtig, dass die Testpersonen anonym bleiben.

Angenommen, jemand möchte sich in seiner Führungskompetenz weiterbilden. In diesem Bereich gibt es alles denkbare, von Seminaren mit Pferden oder Wölfen bis zum persönlichen Coach. Wie findet derjenige das passende Angebot für sich?

Ja, das ist natürlich schwierig. Zuallererst sollte sich derjenige fragen, welche Kompetenzen habe ich, welche fehlen mir und was genau will ich in dem Kurs lernen. Und dann kann man nur den Tipp geben, sich umfassend über das Angebot zu informieren und die Favoriten nach Preis, Leistung und Dauer zu vergleichen. Man sollte auch nicht davor zurückschrecken, den Anbieter anzurufen und nach Kurskonzepten, praktischen Übungen und der Qualifikation der Lehrkräfte zu fragen. Das kann man ruhig machen. Wir haben zum Beispiel kürzlich Buchführungskurse getestet und festgestellt, dass die didaktisch nicht so gut abgeschnitten haben, weil die Dozenten vorwiegend frontal Unterricht gemacht haben. Davon haben die Teilnehmer wirklich nicht so viel. Praktische Übungen helfen viel mehr, sich das theoretische Wissen dauerhaft anzueignen und später im Arbeitsleben anzuwenden.

Was verrät mir der Preis über die Qualität einer Weiterbildung?

Wir stellen immer wieder fest: nicht allzu viel. Der Preis ist kein Maßstab. Die Volkshochschulen zum Beispiel sind meistens die günstigsten. Die leiden zwar an einem verstaubten Image, aber quer durch die Tests liefern die immer wieder gute Ergebnisse zu kleinen Preisen. Die machen modernen Unterricht, haben gut ausgebildete Lehrkräfte und können durchaus mit privaten und teuren Anbietern mithalten. Nachteil sind die häufig hohen Teilnehmerzahlen und der Service ist bei den privaten Anbietern häufig besser.

Was raten Sie Verbrauchern, die an Angebote oder Träger geraten sind, die nicht halten, was sie in Kursbeschreibungen versprechen?

Ich denke, zunächst sollte man bei den anderen Teilnehmern nachfragen, ob sie die Kritik teilen. Und im nächsten Schritt den Dozenten direkt ansprechen und sagen, was einen stört oder dass man anderes erwartet hat. Falls dieser auf stur schaltet, ist eine Beschwerde beim Anbieter, also Geschäftsführer ratsam. Vielleicht kommt der einem entgegen, mit dem Angebot den Kurs zu wechseln zum Beispiel. Wir hatten das kürzlich bei einem Test für Sprachreisen für Wirtschaftsenglisch, da waren einige von unseren Testern sehr unzufrieden. Dabei hat sich eine Testerin beim Anbieter beschwert und hat dann zusätzlich Einzelunterricht erhalten.

Weiterbildungen sind ja auch meist eine Kostenfrage. Wie bekomme ich meinen Arbeitgeber dazu, in meine Weiterbildung zu investieren?

Mit guten Argumenten. Sie müssen versuchen, ihn konkret vom Nutzen der Weiterbildung zu überzeugen. Ihm aufzeigen, welches die Vorteile für die eigene Arbeit und das Unternehmen sind und deutlich machen, wenn Ressourcen eingespart werden können oder ob es vielleicht sogar die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens erhöht. Und betonen, dass Sie ja auch selber Anteil leisten, am Wochenende und nach Feierabend lernen. Wenn der Arbeitgeber sich finanziell nicht direkt beteiligen will, gibt es zum Beispiel in vielen Bundesländern die Möglichkeit des Bildungsurlaubs. Das ist ein guter Ansatz: der Arbeitgeber stellt einen frei und der Arbeitnehmer zahlt den Kurs.

Stichwort Beratungsstellen: Auch hier gibt es eine große Anzahl, wo der Verbraucher sich zurechtfinden muss. Wie sind denn da die Testerfahrungen?

Ja, dazu gehören die Arbeitsagenturen, die Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern, Volkshochschulen und kommunale Stellen. Viele Verbraucher wissen aber gar nicht, dass es so etwas gibt. Bei unseren Tests haben wir gute Erfahrungen mit den Frauenberatungsstellen gemacht. Eher schlecht abgeschnitten haben die Arbeitsagenturen. Sie setzen den Fokus zu sehr auf Arbeitslose, obwohl sich auch normal Berufstätige dort beraten lassen können. Vor allem bei den Handwerkskammern , die ja selbst Weiterbildungen anbieten, gibt es gelegentlich das Problem der Neutralität. Das heißt: sie empfehlen manchmal zu viele Kurse aus dem eigenen Angebot.

Welches sind Ihrer Beobachtung nach die wichtigsten Weiterbildungsthemen derzeit?

Wir haben dieses Jahr drei Schwerpunkte gehabt: Wirtschaft, Englisch und IT. Unseren Analysen nach sind das die drei zentralen Aspekte, die immer wichtiger werden auf dem Arbeitsmarkt. Kenntnisse in der Wirtschaft, das Sprechen von Englisch und ein souveräner Umgang mit den modernen Kommunikationsmitteln werden heutzutage von Bewerbern und Arbeitnehmern erwartet. Zu den Themen Englisch und Wirtschaft haben wir schon sehr viel im Internet veröffentlicht. Außerdem arbeiten wir gerade an einer Sonderpublikation, die am 27. November erscheint. Dort bündeln wir die Ergebnisse aus den drei Aspekten.

In welchem Bereich gibt es denn die meiste Nachfrage?

Bei Leserbefragungen kam heraus, dass Sprachkurse auf Platz eins liegen. Dafür sprechen auch die Downloads auf unserer Internetseite: Unsere Tests in diesem Bereich sind im vergangenen Jahr am häufigsten runter geladen worden. Ebenso sind Kurse im Bereich Betriebswirtschaft sehr gefragt. Auch Weiterbildungsdatenbanken und Selbsteinschätzungstests sind ein beliebtes Thema bei unseren Lesern.

Wo sehen Sie Trends im Weiterbildungsbereich?

Web 2.0 und E-Learning werden immer wichtiger. Die sozialen Medien bieten ein ungeheures Potenzial, auch für die Wissensvernetzung in Unternehmen. Viele haben Blogs und Wikis eingeführt, mit denen sie neue Inhalte produzieren und sich über fachliches Austauschen können. Das sehe ich als Trend. Und überhaupt finde ich die Frage spannend, wie wir in zehn Jahren lernen werden. Man kann heute ja schon in virtuellen Klassenräumen lernen oder sich eine Vorlesung auf das Handy runterladen. Das halte ich für die Trends. Und, um noch einen anderen Aspekt zu erwähnen, auch die Durchlässigkeit des Bildungssystems begreife ich als neue und wichtige Entwicklung. Mittlerweile führt der Weg in ein Studium nicht mehr zwangsläufig ausschließlich über das Abitur.

Auch Fernstudien nehmen zu. Worauf sollten Interessierte achten?

Das stößt auch bei unseren Lesern auf ein enormes Interesse. Bei einem Fernstudium muss sich jeder bewusst machen, ob das was für einen ist, denn es erfordert unglaublich viel Disziplin. Man sitzt alleine vor dem Lernmaterial, das ist nicht für jeden etwas. Vom Institut für Berufsbildung gibt es einen Fragebogen, wo man seine Eignung dafür einschätzen kann. Eine Frage ist auch, welcher Lerntyp man ist, ob man diesen mitunter langen Zeitraum wirklich durchhält und ob das persönliche Umfeld entsprechend mitspielt. Dazu ist es ist ein äußerst großer Markt, da muss man sich die Angebote sehr genau anschauen, um das Passende für sich zu finden.

In OECD-Studien schneiden Deutsche nicht sehr gut ab, was die Teilnahme an Weiterbildungsangeboten betrifft. Die Deutschen als Weiterbildungsmuffel – können Sie das bestätigen?

Nein, aus unserer Arbeit heraus kann ich das weder pauschal unterschreiben noch bestätigen. Wir lernen durch unsere redaktionelle Arbeit viele Menschen kennen, die sich viel und gern weiterbilden – auch auf eigene Kosten. Dabei bewundere und staune ich jedes Mal, was manche Menschen auf die Beine stellen und sich neben dem Beruf zusätzlich qualifizieren. Aber wir kennen natürlich die Studien, die besagen, dass die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland im internationalen Vergleich nicht so groß ist. Ich denke, in anderen Ländern herrschen andere Lerntraditionen vor. Bei uns lernt man im Jugendalter und viele denken wahrscheinlich auch heute noch, nach der Berufsausbildung haben sie 40 Jahre Ruhe, aber die Zeiten sind vorbei. Ich denke, da sind andere Länder schon ein bisschen weiter als wir.

Fachkräftemangel und demographischer Wandel sind in diesem Zusammenhang auch ein Thema.

Ja, die Deutschen werden immer älter und weniger, also müssen die Alten weiter und die Jungen gut qualifiziert werden. Das sind die Herausforderungen der Zeit. Da sind sicherlich Politik und Arbeitgeber gefragt, aber eben auch der einzelne Arbeitnehmer.

Was haben sie sich für das kommende Jahr vorgenommen:

Das darf ich Ihnen leider nicht sagen, das ist alles geheim. Wir planen schon für das Jahr 2012, so ein Test dauert von der Idee bis zum Heft gut ein Jahr. Aber der Verbraucher kann sich darauf verlassen, dass wir weiter wichtige Themen anpacken werden und unabhängig, mit wissenschaftlichen Methoden Angebote testen werden. Und wenn es sein muss, legen wir den Finger in die Wunde.

Die Fragen stellte Saskia Weneit

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