zum Hauptinhalt
326515_0_1d64b112.jpg

© ddp

Weiterbildungen: Hartz IV: Abgekoppelt, ausgegrenzt und abgeschrieben

Weiterbildungen sind für Arbeitslosengeld-II-Empfänger schwer zu bekommen. Stattdessen sitzen sie in Bewerbungstrainings fest

In großen Buchstaben hat sie das Wort „Hilfe“ in ihren Block gekritzelt. Eigentlich sollte sie eine Liste erstellen mit Firmen rund um den Berliner Alexanderplatz – um sie später am Nachmittag nach Jobs zu fragen. Die 30-Jährige ist eine von zwölf Erwerbslosen, die an einer sechsmonatigen Trainingsmaßnahme für Hartz-IV-Empfänger teilnehmen: „Kompetenz und Perspektive“. Sie sitzt mit verschränkten Armen in der hinteren Reihe. Es ist das fünfte Mal, dass ihr jemand erklärt, wie man sich bewirbt und einen Lebenslauf schreibt. Seit dem ersten Januar dieses Jahres ist sie schon wieder arbeitslos, ihre Stelle als Reinigungskraft wurde wegrationalisiert. Sie würde gerne wieder arbeiten. Nun sitzt sie in einem Seminarraum in der Sydelstraße, Nahe U-Bahnhof Spittelmarkt in Berlin.

„Die meisten lassen diese Maßnahmen einfach über sich ergehen“, sagt Volker Gaida, der Geschäftsführer des Bildungsträgers GMS. Es sei schwierig, zu den Teilnehmern durchzudringen – „man muss die knacken“. Sie fühlten sich abgeschrieben und seien erstmal misstrauisch. Kein Wunder: „Weit über 70 Prozent der Dinge, die ihnen verordnet wurden, waren sinnlos“, sagt Gaida. Dies bestätigt auch ein Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vom November 2009. Darin wurde die Wirkung von Trainingsmaßnahmen für Arbeitslosengeld-II-Bezieher untersucht. Das Ergebnis: Bewerbungstrainings und Eingnungsfeststellungen brächten keine nachhaltige Integration der Teilnehmer in ungeförderte Beschäftigungen. Doch genau jene Maßnahmen seien das am häufigsten eingesetzte Aktivierungsinstrument. Das IAB ist eine Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit.

„Wir sehen die Bewerbungstrainings nicht als Integrationsmaßnahme“, sagt Anja Huth, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit. Es gehe dabei mehr um die Aktivierung der Erwerbslosen. „Diese Menschen sind sehr weit weg vom ersten Arbeitsmarkt“. 2009 hätten 256 000 der rund 6,5 Millionen Hartz-IV-Bezieher an Trainingsmaßnahmen teilgenommen, darunter auch betriebliche Maßnahmen. Letztere hätten den größten Eingliederungseffekt: die Quote läge bei 30 Prozent. Gerade wegen dieser Zahlen kann Joachim Wolff, Leiter des Forschungsbereichs Grundsicherung und Aktivierung im IAB, die Praxis nicht verstehen.

Die Probleme sind vielschichtig. Für Hartz-IV-Empfänger sei die Genehmigung einer Weiterbildung oder sonstigen Förderung schwieriger als für Arbeitslosengeld-I-Empfänger, sagt Gisela Schön, Leiterin der offenen Beratungseinrichtung des Bildungsmarkt e.V. Doch wenn man es gut begründe und sich dem Fallmanager erkläre, dann steigten die Chancen auf die passende Förderung. Das Servicezentrum Mitte ist eines von unzähligen Bildungsträgern, die sich jedes Jahr auf die Ausschreibungen der Jobcenter bewerben. Mittlerweile sind es die Bildungsträger, die die Erwerbslosen in Einzelberatung unterstützen und die Integration in den Arbeitsmarkt individuell befördern. Allerdings gibt es auch viele schwarze Schafe, die es auf die Förderungen abgesehen haben. Um Bildung gehe es dabei doch schon lange nicht mehr, „man hat die Hartz-IV-Empfänger aufgegeben“, sagt Bernhard Jirku, zuständig für den Bereich Erwerbslose bei Verdi. Von den angebotenen Trainingsmaßnahmen für Hartz-IV-Empfänger hält er wenig, die Dozenten seien vielfach Psychologen – ohne Kenntnisse über den Arbeitsmarkt. Die Qualität sei das Problem, nicht die Quantität. Eine Erhöhung der Mittel bewirke auch nichts an der Vermittlungspraxis. Im Jahr 2009 wurden 5,9 Milliarden Euro für die Eingliederung ALG-II-Empfänger ausgegeben, 2010 sind 6,6 Milliarden angesetzt, wie es aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales heißt. „Es herrscht ein regelrechter Preiskampf unter den Bildungszentren“, sagt Gaida von GSM. Um diesem zu entgehen, bewerbe sich seine Einrichtung um wenige Ausschreibungen und biete auch Firmenschulungen an.

Teil des Problems, dass sich die Harzt-IV-Empfänger abgeschrieben vorkommen ist, dass auf einen Fallmanager, bis zu 150 Kunden kommen. Und auf der anderen Seite sitzen überdurchschnittlich viele Geringqualifizierte ohne Berufsabschluss, von denen viele nicht wüssten, was sie eigentlich wollen. „Die meisten Fallmanager haben wenig Zeit, sich um ihre Kunden zu kümmern“, sagt Gisela Schön. Daher müssten Arbeitslose sehr konkret formulieren, welche marktgerechte Perspektive sie für sich sehen und den wirtschaftlichen Nutzen ihrer Integration in den Arbeitsmarkt betonen. „Wir sind nicht das Amt, wir haben die Zeit dafür“, sagt sie. Im Gespräch käme oft heraus, was die Erwerbslosen möchten und können.

Die meisten haben „multiple Vermittlungsschwierigkeiten“, wie Volker Gaida es nennt. Hinzu käme, dass die Jobcenter scheinbar wahllos alle Kunden jeglicher Vorbildung in die Trainigsmaßnahmen schickten. Bildungsträger, die Sammelbecken für Hartz-Empfänger? Die Zuführung in die Maßnahmen lässt dies vermuten. Da sitzen ehemalige Obdachlose neben Hochschulabsolventen, dazwischen Menschen mit Migrationshintergrund und nur begrenztem deutschen Wortschatz und Geringqualifizierte. Wo setzt ein Dozent da an? Auch im Spittelmarkt ist die Gruppe alles andere als homogen.

In den ersten drei Monaten der Maßnahme geht es um Bewerbungen und darum, die eigenen Stärken und Wünsche zu benennen. Im zweiten Teil müssen sich die Arbeitslosen entscheiden, in welcher Branche sie Fachqualifikationen erwerben wollen – es soll jeder einen Job bekommen im Anschluss. Zur Auswahl stehen Reinigungsgewerbe, Einzelhandel und Gastronomie. Einer der Teilnehmer kann nur den Kopf schütteln, wenn er sich das Programm vor Augen hält. Er kommt vom Theater, war vorher Regieassistent. Der Integrationscoach des GMS sei schon sehr bemüht, mit ihm eine geeignete Strategie zu entwickeln. Eine andere Teilnehmerin hat schon drei Ausbildungen hinter sich, alle Maßnahmen wurden ihr vom Amt auferlegt, es ist ihr achtes Bewerbungstraining. Das Jobcenter vermittle schon lange keine Jobs mehr.

In erster Linie gehe es darum, sie wieder zu Handelnden zu machen und die eigene Wertschätzung zu aktivieren, so Gaida. „Wir konzentrieren uns nicht auf die Defizite, sondern die Stärken“. „Ich glaube, dass gerade viele Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft nicht verstehen, dass es eines Umdenkens bedarf.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false