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Immer höher: Im Hotel- und Geschäftsviertel West Bay ist Katars Wachstum sichtbar. Gebaut werden die Hochhäuser von Ausländern – oft unter schlechten Bedingungen.

© Marco Urban

Katar: Der Emir gibt Gas

Kein Land ist so reich wie Katar. Damit das so bleibt, will sich der Wüstenstaat neu erfinden und baut dabei auf Hilfe aus Berlin.

Zwangsstopp auf dem Weg zum Schatz des reichsten Landes der Erde. Die schnurgerade Schnellstraße zum Industriekomplex Ras Laffan im Emirat Katar endet an einer Grenzstation: Ausstieg, Passkontrolle, Weiterfahrt nur in Begleitung, Foto-Verbot. An der Kontrollhalle hängt ein meterhohes Bild des Emirs, Scheich Hamad bin Khalifa Al-Thani. Er hält lächelnd einen fußballgroßen, strahlenden Tropfen in den Händen: flüssiges Erdgas. Das ist der Stoff, der ihm und seinen Untertanen großen Reichtum, aber auch Probleme beschert.

Seit bald 20 Jahren ziehen Firmen im Auftrag des kleinen Staates Erdgas aus dem 80 Kilometer vor der Küste liegenden größten, reinen Gasfeld der Welt. Von den Bohrinseln im Meer wird es nach Ras Laffan gepumpt. Anstatt es, wie meist üblich, über Pipelines in Nachbarländer zu bringen, wird das Gas in gigantischen Anlagen gereinigt und auf minus 162 Grad Celsius herabgekühlt. So schrumpft es auf ein 900-stel des Volumens, wird flüssig und lässt sich in Schiffen zu Häfen in aller Welt bringen. Der erste Tanker legte 1996 gen Japan ab. Heute unterhalten Katars Staatsfirmen eine Flotte von 54 Tankern.

Erdgas, von dem Katar laut Geologen genug für die nächsten 200 Jahre hat, ist der Hauptgrund für den Aufstieg des Emirats zum Land mit dem größten durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Die Bevölkerung hat sich binnen zehn Jahren auf knapp zwei Millionen fast verdoppelt. In den ersten zehn Jahren des Jahrtausends wuchs die Wirtschaft jährlich im Schnitt um 16 Prozent, 2012 immerhin noch um sechs. Öl und Gas bringen Katar jährlich hohe zweistellige Milliardenbeträge.

Wer das Land aufbaut

Von der Schatzkammer Ras Laffan aus geht es 80 Kilometer südlich auf der Halbinsel durch die Wüste zur Hauptstadt Doha. Alle paar Kilometer werkeln Bauarbeiter an Häusern, Brücken oder Straßen. Viele haben die Gesichter mit Skimasken oder Tüchern verhüllt, die Augen durch Sonnenbrillen geschützt. Jetzt, Mitte April, herrschen bis zu 35 Grad – „Traumwetter“, wie Einheimische und Zugezogene sagen, die sich meist zwischen klimatisierten Hochhäusern und ihren Autos bewegen. Im Sommer steigen die Temperaturen auf bis zu 50 Grad im Schatten. Die Barackenlager der Männer aus Indien, Bangladesch, Nepal und den Philippinen liegen hinter Zäunen am Straßenrand im Niemandsland. Diese Männer gießen Katars Geld in Beton. Jeden Morgen werden sie von ihren Firmen in Bussen zu Baustellen gefahren – etwa ins Hotel-Viertel West Bay der Hauptstadt Doha, wo immer neue Glitzer-Wolkenkratzer entstehen. Vor dem Turm einer US-Hotelkette fahren Geländewagen, Porsches und Ferraris vor. Wenige Meter weiter ziehen 30 Maskenmänner ein Gerüst hoch. Der breitschultrige Engländer John Harris steht an der Einfahrt und raunzt einen schmächtigen Arbeiter an, der mit einer Stange gegen ein Schild gestoßen ist. „Unseren Leuten geht es gut“, behauptet der Aufseher dennoch. Ja, sie würden in solchen Camps leben. Aber seine Firma zahle jedem Arbeiter umgerechnet rund 1000 Euro im Monat. Alle zwei Jahre hätten sie zudem gesetzlichen Anspruch auf 45 Tage Heimaturlaub. „In ihren Dörfern gelten sie dann als wohlhabend“, sagt er. Harris gibt aber zu, dass es in der Branche viele schwarze Schafe gebe, die ihr Personal mit falschen Versprechen locken würden.

Vergangene Woche legte die Arbeitsorganisation ILO eine Studie vor, wonach von den zwölf Millionen Arbeitern, die in den Staaten der arabischen Halbinsel schuften, rund 600 000 de facto Zwangsarbeiter seien. Die ILO forderte eine Reform des am Golf praktizierten Systems der Kafala, bei dem einheimische Auftraggeber für die rekrutierten Arbeitskräfte bürgen, ihnen aber mitunter für die Vertragsdauer Pässe abnehmen und sie um den Lohn prellen. Katarische Würden- und Funktionsträger reagieren ausweichend bis verschnupft auf derartige Kritik. Im Umfeld der Industrie- und Handelskammer Katars, die den Tagesspiegel eingeladen hatte, verweist man auf gescheiterte Versuche, das Leben der Arbeiter zu verbessern. So habe man mehr Essensgeld gezahlt. Die Arbeiter hätten das Geld aber in ihre Heimat überwiesen.

„Das Land bewegt sich“, beteuert Remy Rowhani, Geschäftsführer der Kammer. Es gelte die „National Vision 2030“ des Emirs, in der dieser Katars Weg zum fortschrittlichsten und nachhaltigsten Staat der Erde skizziert. „Gott hat uns so reich mit Ressourcen beschenkt, dass wir in der Pflicht stehen, sie zum Wohle der Menschheit einzusetzen“, sagt Rowhani. Tatsächlich gilt das konservative Emirat als großzügiger Sponsor für einige der ärmsten Länder der Welt. Unlängst pumpte Katar zwei Milliarden Euro in einen Fonds zum Aufbau der griechischen Infrastruktur, für Italien gab es eine Milliarde. Am Mittwoch versprach Katars Regierung den Ägyptern den Kauf von weiteren Anleihen im Wert von drei Milliarden Dollar (2,2 Milliarden Euro). Zugleich pflegen die Scheichs solide Investments: Ihr Staatsfonds hält etwa 17,5 Prozent an VW und ist auch bei Siemens mächtiger Großaktionär.

Neue Städte, neuer Flughafen, neue Bahnen

Das meiste Geld geht gleichwohl ins eigene Land. Aktuell hat allein der Staat Projekte mit einem Volumen von knapp 118 Milliarden Dollar bis 2020 fest budgetiert. Inklusive privater Investoren sind derzeit 223 Milliarden fest verplant. Das mit 45 Milliarden Dollar größte Vorhaben ist der Bau des Stadtviertels Lusail in Doha für rund 80 000 Menschen. Dort rollen erste Bagger. Den Auftrag zur Planung erhielt das Düsseldorfer Beratungsunternehmen Dorsch. 185 Architekten und Ingenieure sind bereits vor Ort, 400 sollen es am Jahresende sein. Auch die Deutsche Bahn kam im Dezember 2011 scheinbar groß ins Geschäft. Der Konzern erhielt den Auftrag zur Entwicklung von 325 Kilometern Eisenbahn und einer Metro mit 60 Stationen in Doha. Als sich aber abzeichnete, dass der Konzern das 35-Milliarden-Dollar-Vorhaben im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 allein nicht wird durchplanen können, wurde die Bahn auf eine Beraterrolle reduziert. Heute sitzen nur noch rund 50 Bahn-Mitarbeiter auf einer Etage im Hochhaus der Qatar Railways Company.

Gleichwohl suchen die Kataris weiter in Deutschland nach Investments und Investoren, Technologielieferanten und Partnern. Einige Vertreter Berliner Mittelständler waren im Februar mit der IHK nach Doha gereist. Und am morgigen Montag kommt Regierungschef Scheich Hamad bin Jassim bin Jabor al-Thani mit Firmenlenkern und den Managern der Fifa-WM nach Berlin zum Qatar Business and Investment Forum. Dort wird auch Kanzlerin Angela Merkel erwartet.

Katar wächst – und spürt Wachstumsschmerzen. Die natürlichen Grundwasservorräte sind aufgebraucht, das Land muss 93 Prozent der Lebensmittel importieren. Auch reiche Katarer ernähren sich zunehmend schlecht. Fettleibigkeit und Diabetes sind verbreitet. Deshalb rief der Emir vor vier Jahren das „National Food Security Programme“ aus. Es sieht vor, dass Katar bis 2025 auf klimafreundlichem Weg so viel Meerwasser entsalzen kann, dass damit 50 Prozent der Lebensmittel im Land und 50 Prozent auf Pachtflächen im Ausland erzeugt werden. Die Wüste soll grün werden. Dazu schloss man ein Joint Venture mit der Bonner Solarworld zum Bau einer Siliziumfabrik als Basis für die Solarmodulfertigung.

Weitere Deutsche hat man beim Ausbau des neuen Flughafens Hamad International Airport angeheuert. Der sollte am 1. April eröffnet werden und den überlasteten Hauptstadtflughafen ersetzen. Mit dabei ist die Inneneinrichtungsfirma Lindner aus Bayern. Sie soll die Lounges nicht fristgerecht fertiggestellt haben, heißt es in Katar. Die Firma fühlt sich aber zu Unrecht beschuldigt. Nun wurde die Eröffnung auf 2014 verlegt. Ob das zu voreilig war? Auch darüber kann sich Katars Regierungschef ab morgen bei seinem Besuch in Berlin informieren.

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