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Wirtschaft: Katja Nick

(Geb. 1918)||Sie sang nicht besonders schön, aber vorwärts so gut wie rückwärts.

Sie sang nicht besonders schön, aber vorwärts so gut wie rückwärts. Sie war einer der wenigen Weltstars aus den Reihen der Bundesanstalt für Angestellte mit Sitz in Wilmersdorf. Ihr oberster Dienstherr, der BfA-Präsident, erkannte das imagefördernde Potenzial seiner flotten polyglotten Stenotypistin und Maschineschreiberin und bewilligte immer wieder Sonderurlaube für Flüge nach Japan zum Fuji-Fernsehen.

Dort trat das Fräulein Denicke unter ihrem Pseudonym Katja Nick auf und sang das Volkslied „Am Brunnen vor dem Tore“. Sie sang nicht besonders schön, aber vorwärts so gut wie rückwärts. Also meistens erst rückwärts und dann vorwärts. Darin eben bestand ihre weltweit unerreichte Meisterschaft. Katja Nick sprach Wörter und Sätze von hinten nach vorn, fließend und flott, auf Japanisch, Chinesisch, Kantonesisch, Englisch, Französisch oder Deutsch. Sie drehte die Sätze im Mund herum. Das hörte sich an wie eine entfernte Turksprache – oder wie komplett durchgeknallt.

Viele Jahre über musste Katja Nick durch mühsames Langsamrückwärtssprechen nachweisen, dass sie nicht einfach nur dummes Zeug redete. Dann wurde endlich das Tonband erfunden, das Beweisgerät mit Vorwärts-Rückwärts-Lauf. Damit war der Weg frei ins Fernsehen, zu einem Millionenpublikum an der Seite von Wim Thoelke, Chris Howland, David Letterman, Stefan Raab (zweimal gewann sie den „Goldenen Raab der Woche“, da war sie 82) und natürlich Harald Schmidt.

„Durch rückwärts vorwärts!“, lautete ihr Wahlspruch. Es gibt zahlreiche Beweisfotos mit den Fernsehgrößen. Nur Mutter Teresa aus Kalkutta, die Frau Nick sehr verehrte, reagierte etwas barsch auf den Wunsch, an ihrer Seite in die Kamera zu lächeln. Sie soll gesagt haben: „Ich bin doch kein Affe.“

Man mag einwenden: Rückwärtssprechen, so ein Blödsinn. Stimmt. Rückwärtssprechen ist aber auch ein extrem schwieriger Kopfsport. Der Verlag des Guinness-Buchs der Rekorde wollte den besten Rückwärtssprecher der Welt ermitteln und musste den Wettbewerb absagen, weil niemand gegen Katja Nick antreten konnte. Nun ist sie gestorben, ganz plötzlich, und das Rückwärtssprechen mit ihr.

Der magische Moment ihrer Berufung geschah im Alter von zehn Jahren im KaDeWe. Ein kleiner Junge mit buntem Käppchen sprach Worte, die Katja nicht verstehen konnte, wohl aber die elegante Frau an seiner Seite, offenbar seine Mutter. Katja war wie vom Donner gerührt, lauschte staunend den rollenden Rrrs, den Zisch- und Kehllauten der beiden Ausländer und beschloss, auch so eine Geheimsprache zu lernen. Das Einfachste war, die Wörter einfach herumzudrehen. Nach einem halben Jahr beherrschte sie das rückwärtige Deutsch beinahe fließend. Um an geeignete Gesprächspartner zu kommen, polte Katja ihre beiden Lieblingsschwestern um, die sich ebenfalls als talentiert erwiesen. Nun konnten sie prächtig über das Mittagessen mäkeln, ohne sich Ärger einzuhandeln. Als sie einmal bei Rot über die Joachimstaler Straße gingen, verlangte ein Polizist ein Bußgeld von einer Mark. Die Schwestern tauschten sich kurz in ihrer Geheimsprache aus, um eine passende Ausrede zu finden, da war die Sache schon erledigt. „Ach, Se sind Ausländer, na denn jehnse ma weita, denn konntense’t ja ooch nich’ wissen.“

Ihren ersten Auftritt hat Katja Nick im „Kabarett der Komiker“ im Oktober 1940. Die Presse ist da, und am nächsten Tag ist „das drollige Mädel“ berühmt. Die Journalisten mutmaßen einen „Rückprojektionsapparat“ in ihrem Kopf. Auch höhere Stellen im Auswärtigen Amt, wo das Fräulein Denicke damals stenografiert, werden aufmerksam.

Sie erhält eine Einladung ins „Kameradschaftshaus der Deutschen Künstler“. Dort verkehren Parteifunktionäre und Prominente. Auch Max Schmeling ist da. Er möchte von Katja Nick einen Satz ins Verkehrte übersetzt haben: „Mutta, komm mit runta in’n Kella; is Alarm.“ Auch das klappt gut. Die Sprechkünstlerin wird vom Fleck weg für eine Wehrmachtstournee gebucht.

In der Neujahrsnacht 1941/42 kommt ein Anruf aus dem Büro des Außenministers von Ribbentrop. Seine Mitarbeiter möchten zur Erheiterung ihres Chefs ein paar rückwärts gesprochene Neujahrswünsche hören. Katja Nick, die Nachtschicht hat, läuft aufgeregt ins Palais des Ministers. Im Empfangssalon warten die Adjutanten schon. Der Außenminister sei leider verhindert, im Sonderzug an die Front, aber man würde sie trotzdem gerne hören. Als Gage erbittet Katja Nick zwölf Zigarren aus der Privatschatulle des Hausherrn. Die sind für ihren Vater.

Für Politik und Frontverläufe interessiert sie sich nur am Rande, ihr geht es um Bezugsscheine zum Erwerb eines Schallplattenschneidegerätes, um endlich ihre Kunst durch eine Maschine beweisen zu können. Deshalb lässt sie sich erneut für die Truppenbetreuung anheuern, diesmal in Norwegen. Ein wenig traumverloren und wohl auch naiv fotografiert sie dort vom Ruderboot aus ein paar Schafe, die unter der Schneedecke nach Futter scharren. Das strenge Fotoverbot der Militärs hatte sie schon auf der Anreise missachtet. Nun steht sie unter Spionageverdacht und wird nach Tromsö zur Gestapo gebracht. Stundenlanges Verhör, das Gepäck wird durchsucht. Sie erhält den Marschbefehl in die Heimat. Bei einem Zwischenaufenthalt in Oslo will Katja Nick nur ein paar Andenken kaufen, dann sieht sie diese hübsche Garnitur norwegischer Bauernmöbel. Sie überlegt kurz, ob das klug ist, bei all den Bomben, die auf Berlin fallen, neue Möbel anzuschaffen. Wie soll man die überhaupt transportieren? Dann wischt sie alle Bedenken weg und bezahlt.

In den restlichen Kriegsjahren und der schweren Zeit danach muss das Rückwärtssprechen ruhen. Katja Nick organisiert das Überleben ihrer Familie vorwiegend mit der Fertigung von Pantoffeln für Amerikaner. 1949 bekommt sie wieder eine feste Arbeit als Stenotypistin. 1953 meldet sich der Rundfunk. Sie tritt in der „Rias-Kaffeetafel“ auf. Der Applaus ist anständig, das Honorar auch, aber die Sprechkünstlerin schlägt weitere Angebote aus. Die Arbeit geht vor. Außerdem muss sie ihre Mutter pflegen.

Zur Funkausstellung 1963 kommt ein Anruf aus Fürth. Die Firma Grundig möchte Katja Nick für die Präsentation des neuen Tonbandgeräts „TK 830“ verpflichten. Auf der „Bunten Bühne“ am Firmenstand tritt sie zwei Mal täglich auf. Besonders gerne hören die Grundig-Leute ihren Werbespruch „Gidnufp tsi gidnurg“. Am Ende bekommt sie 3000 Mark Honorar und lässt sich dafür mit Firmenrabatt das beste Tonband von Grundig, den „TK 47“, aushändigen.

Zuschauer der Bunten Bühne ist auch Peter Frankenfeld, damals noch beim Radio. Er lädt die Nick in seine SFB-Sendung ein: „Der Berliner liebt Musike“. Vier Jahre später hat Frankenfeld eine Hobby-Show beim Fernsehen, sie trägt den schönen Titel „Und Ihr Steckenpferd?“ Das Lampenfieber ist mörderisch, die Hitze im Studio unerträglich, aber die kleine Berliner Stenotypistin meistert ihre Fernsehpremiere mit Bravour. Inzwischen singt sie rückwärts, was noch kniffliger ist, weil auch die Melodie umgedreht werden muss.

Zwei Jahre später ist wieder Frankenfeld am Telefon. Er sagt, das japanische Fuji-Fernsehen suche nach Talenten, um für die Expo 1970 in Osaka zu werben. Dann gibt Frankenfeld den Hörer an Herrn Nückel weiter, den Beauftragten des Fuji-Fernsehens. Der fragt, ob sie sich zutraue, auch Japanisch rückwärts zu sprechen und zu singen. In drei Wochen würde Herr Nakao vom Fuji-Fernsehen vorbeikommen, um sie sich anzuhören. Selbstverständlich traut sie sich das zu.

Am nächsten Tag spricht sie auf der Straße eine japanische Studentin an und lädt sie zu Kaffee und Kuchen ein. Die Japanerin spricht ein paar Sätze und singt Kinderlieder aufs Band und Katja Nick beginnt zu pauken. Drei Wochen später sitzt Herr Nakao bei Frau Nick am Kaffeetisch und nimmt die Prüfung ab. Danach wird gleich der Vertrag unterschrieben.

Das japanische Publikum ist dem Rückwärtssprechen noch zugeneigter als das deutsche. In den kommenden Jahren überbringt Katja Nick – vorwärts wie rückwärts – Grußbotschaften des Regierenden Bürgermeisters, trägt Freiheitsglocken-Imitate nach Fernost. Eine Varieté-Tournee führt sie nach Hongkong und Taipeh. Die BBC meldet sich, die ARD, nur das Mutterland des Showbiz will nichts von ihr wissen. Diese Ignoranz lässt die Berlinerin nicht ruhen.

Sie reist nach New York, geht ins Büro von David Letterman. Der Portier versucht sie abzuwimmeln, doch „Old MacDonald had a farm“ falsch herum, haut ihn um. Er ruft bei Letterman an, spricht von einem Wunder und Katja Nick ist engagiert. In der Sendung singt sie den Sinatra-Hit „Thgin eht ni sregnarts.“

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