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Wirtschaft: Kaufrausch im Netz

Trotz Dotcom-Crash und Konsumflaute blüht der Handel im Internet wie nie zuvor. Vorreiter ist die Reisebranche

Konsumflaute? Welche Konsumflaute? Die Händler melden Rekord auf Rekord, die Kassen klingeln lauter von Jahr zu Jahr und der Strom neuer Kunden reißt nicht ab. 23 Millionen Deutsche, ein Drittel der Bevölkerung ab 14 Jahren, haben die Lust am Einkauf nicht verloren und gehen munter Shoppen – im Internet.

„E-Commerce takes off“ – der elektronische Handel hebt ab. Das britische Magazin „The Economist“ titelt wie zu den besten Zeiten der New Economy. Und tatsächlich: Ungeachtet des Dotcom-Crashs und trotz eines nur schwachen Aufschwungs in der traditionellen Wirtschaft hat die Internet-Ökonomie das Fliegen gelernt. Dabei profitieren die virtuellen Warenhäuser und Dienstleister von der wachsenden Zahl der Internet-Nutzer in Deutschland. Im ersten Quartal 2004 hatten 57 Prozent der Deutschen Zugang zum World Wide Web, wie die Forschungsgruppe Wahlen Online berichtet.

In der besonders konsumfreudigen und einkommensstarken Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen waren sogar 78 Prozent online – und ihr Anteil steigt rasant. „Das Vergleichen von Preisen und das Einkaufen im Netz werden von diesen Internet-Usern am häufigsten praktiziert“, hat die Forschungsgruppe ermittelt. Die Hälfte der Deutschen wickelt zudem ihre Bankgeschäfte online ab.

Beste Voraussetzungen für einen Aufschwung, der seinen Namen verdient hat. Die Prognosen der Marktforscher klingen entsprechend märchenhaft: Innerhalb der kommenden fünf Jahre, so sagt Forrester Research voraus, wird sich der Online-Handel in den europäischen Ländern vervierfachen, auf dann 167 Milliarden Euro. Deutschland wird bis 2008 Großbritannien als führende E-Commerce-Nation ablösen. Schon jetzt werden hierzulande 10,6 Milliarden Euro im Netz umgesetzt.

Ganz oben auf der Einkaufsliste stehen laut einer Studie der Marktforscher TNS Infratest und Enigma GfK Bücher, Eintrittskarten, Bekleidung, CDs und Software. Waren es bisher überwiegend einfache Produkte und Dienstleistungen, die im Netz gekauft wurden, zeigt sich jetzt ein neuer Trend: „Die im Netz verkauften Waren werden immer hochwertiger und teurer“, sagt Thomas Pauschert, E-Commerce-Experte bei der GfK. „Je erfahrener die Leute im Umgang mit dem Internet sind, desto mehr vertrauen sie dem Medium und desto mehr Geld geben sie dort aus.“ Daher sei das Potenzial des Online-Shoppings noch lange nicht ausgeschöpft.Die höchsten Wachstumsraten verzeichnen nach den Untersuchungen der GfK große Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik, das Buchen von Flügen sowie Autos und Autozubehör.

600000 Deutsche haben laut TNS Infratest/GfK Enigma im Jahr 2003 ein Auto im Internet gekauft – doppelt so viele wie im Jahr davor. Sie gaben dabei im Schnitt 8700 Euro aus, 19 Prozent aller Pkw-Käufe betrafen Neuwagen. Beim Handel mit Autoteilen sieht die Bilanz noch besser aus: Die Ausgaben der inzwischen drei Millionen Netz-Kunden sind 2003 um 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Wohin die Reise im E-Commerce gehen kann, zeigt die Touristikbranche. Rund 4,92 Milliarden Euro und damit 64 Prozent mehr als im Vorjahr hat die Branche im Jahr 2003 mit dem Online-Vertrieb von Reisedienstleistungen erwirtschaftet. Das zeigt eine Studie der Unternehmensberatung Ulysses in ihrem jährlichen Report zum Web-Tourismus. Der Anteil am Gesamtmarkt beträgt schon 14,6 Prozent. Die höchste Umsatzquote registrierten die Billigflieger im vergangenen Jahr, die von jedem umgesetzten Euro 67 Cent über das Internet erwirtschafteten.

Traditionell stark ist der Online-Buchhandel. Zwar macht der elektronische Verkauf noch immer einen vergleichsweise kleinen Anteil am Gesamtvertrieb aus. Doch die Wachstumsraten sind vielversprechend. Der weltgrößte Online-Buchhändler Amazon ist nach eigenen Angaben inzwischen drittgrößter Anbieter in Deutschland. Ende 2003 wurden in Deutschland für rund 307 Millionen Euro Bücher im Netz gekauft – das waren 8,4 Prozent vom Gesamtmarkt.

Aufschwungssignale kommen auch aus dem elektronischen Textileinzelhandel. Statt in der Umkleidekabine probieren immer mehr Menschen ihre neuen Klamotten ungestört vor dem heimischen Spiegel an. Zu den beliebtesten Anbietern gehören die klassischen Versender Quelle, Otto und Neckermann, die nach der Allensbacher Computer- und Technikanalyse 2003 zu den zehn größten deutschen Anbietern im Internet gehören. Bei Otto – nach eigener Aussage zweitgrößter Webshop der Welt – betrug der E-Commerce-Anteil 2003 „deutlich über zehn Prozent am Gesamtgeschäft“, was einem Plus von 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Bei Quelle gehen bereits mehr als zwölf Prozent aller Bestellungen per Internet ein.

Noch ist der Anteil des E-Commerce am Gesamtumsatz des Handels mit zwei Prozent verschwindend gering. In manchen Branchen hat der Online-Handel aber bereits Jahrzehnte alte Strukturen nachhaltig verändert. Beispiel Tageszeitungen: „Der klassische Rubrikenmarkt verlagert sich mehr und mehr ins Internet“, schreiben die GfK-Marktforscher. In Zeiten schwacher Nachfrage und Konsumunlust zeige sich, „dass E-Commerce die größten Wachstumsraten aller Vertriebskanäle für Waren und Dienstleistungen erbringt“.

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