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Wirtschaft: Kaufrausch im Wohnzimmer

Das TV-Shopping trotzt der Krise im Einzelhandel: 2005 soll der Umsatz eine Milliarde Euro überschreiten

Berlin - So schön kann Einkaufen sein: Die deutschen Fernsehzuschauer werden 2005 zum ersten Mal mehr als eine Milliarde Euro beim TV-Shopping umsetzen. „Die Milliardengrenze wird in diesem Jahr überschritten“, sagte Thomas Steinmark, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes des Deutschen Versandhandels (BVH), dem „Tagesspiegel am Sonntag“. Paradox: Während der klassische Einzelhandel unter der anhaltenden Konsummüdigkeit der Verbraucher leidet, breitet sich in deutschen Wohnzimmern ein neuer Kaufrausch aus.

Schon 2004 machten allein die drei großen Fernseh-Einzelhändler QVC, HSE24 und RTL Shop in Deutschland einen Netto-Umsatz von mehr als 940 Millionen Euro. Ob Kosmetik, Schmuck, Haushaltswaren oder Fitnessprodukte – die steigende Nachfrage nach den via Mattscheibe angebotenen Produkten erklären sich Experten nicht nur mit der Bequemlichkeit der Sofa-Konsumenten. „Die Sender zielen auf immer neue Zielgruppen und entwachsen damit ihren Klischees“, sagt Michael Lessig von der Berliner Marktforschungsfirma Goldmedia. Er schätzt, dass sich der Umsatz im T-Commerce – dazu zählen auch Angebote von Bezahlsendern, Reiseshopping oder TV- basierte Telefondienste – bis 2009 vervielfachen wird: auf 5,1 Milliarden Euro.

Die Anbieter werden dabei immer professioneller. Die Zeiten, als US-Sender ihre Shopping-Formate einfach im deutschen Fernsehen wiederholten – meist schlecht und marktschreierisch synchronisiert – sind vorbei. Der deutsche Markt ist nach Großbritannien, wo mehr als 40 Einkaufskanäle über den Bildschirm flimmern, der größte Europas. „Das ist ein ganz toller Wachstumsmarkt“, schwärmt Thomas Steinmark vom BVH.

Das weiß auch der US-Medienmogul Barry Diller. Sein Home Shopping Netzwerk HSN – eine Tochter von Dillers InterActive Corporation – kaufte am vergangenen Mittwoch für zehn Millionen Euro die restlichen 10,1 Prozent an HSE24. Verkäufer war der Karstadt-Quelle-Konzern, den die Krise des deutschen Einzelhandels an den Rand der Pleite geführt hat.

HSE24 liegt mit einem Jahresumsatz von 308 Millionen Euro (2003) hinter Marktführer QVC (378 Millionen Euro) – einer Tochterfirma des US-Medienkonzerns Liberty Media – und vor RTL Shop (91 Millionen Euro). Während der 2001 gegründete RTL-Ableger erst in diesem Jahr die Gewinnzone erreichen will, verdienen die beiden Marktführer schon glänzend. „Verglichen mit den Renditen des klassischen Einzelhandels präsentieren QVC oder HSE Traumergebnisse“, sagt Michael Lessig. 2004 erreichte QVC mit 2800 Mitarbeitern schon in den ersten neun Monaten den gesamten Vorjahresumsatz und verdoppelte den Gewinn auf fast 60 Millionen Euro.

Die Masche, mit der die Sender ihre TV-Zielgruppe zum Kauf animieren, ist dabei häufig die gleiche. „Alle Anbieter suggerieren, dass sie besonders exklusive Waren in nur sehr kleiner Stückzahl verkaufen“, sagt Martin Fabel von der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Häufig handele es sich tatsächlich aber um Billigprodukte, die nur deshalb in geringer Menge vorrätig seien, weil die Shopping-Veranstalter Lagerrisiken vermeiden wollten. „Tchibo verfolgt eine ähnliche Strategie, wenn es seine Produkte nur für eine Woche in die Regale stellt“, sagt Bettina Höfner vom Deutschen Direct-Marketing-Verband.

Ziel der TV-Händler: Beim Konsumenten einen Impulskauf provozieren – also den spontanen Griff zum Telefonhörer. Bei QVC tun dies in Spitzenzeiten 86000 Kunden am Tag, 2003 waren es insgesamt 14,9 Millionen. 7,8 Millionen Pakete versandte der Marktführer an seine Kundschaft – vor allem Frauen. „Die Zielgruppe setzt sich überwiegend noch aus Hausfrauen über 40 aus ländlichen Regionen zusammen“, sagt Marktforscher Lessig. Die Damen seien empfänglich für die Annehmlichkeiten des Versandhandels und die Sender wüssten, dass sich mit ihnen die besten Umsätze machen lassen. „Wer die Mittelschicht anspricht, hat die Basis für ein solides Geschäft.“

Doch die TV-Kanäle sind dabei, neue Kundengruppen zu erschließen. Besonders gut gelingt das beim Verkauf von Reisen. Sie eignen sich für das TV-Shopping gut , weil sie genau erklärt werden müssen und effektvoll präsentiert werden können. Im deutschen TV-Reiseshopping wurden 2003 nach Goldmedia-Schätzung fast 300 Millionen Euro umgesetzt, im vergangenen Jahr waren es fast 400 Millionen Euro. Trotz kleiner Margen werden „die drei größten Anbieter Sonnenklar TV, Travel Shop und Neckermann Urlaubswelt 2005 wohl alle die Gewinnschwelle erreichen“, sagt Michael Lessig. Ein Geschäft, von dem auch die Tourismuskonzerne profitieren. So ist die Tui mit 50,1 Prozent an TV Travel Shop beteiligt, FTI wiederum verkauft über Flugbörse TV, das auch in einem Fenster des Berliner Senders FAB läuft.

Ob Dienstleistungen oder Produkte: Die Kundschaft sollte genau hinsehen – und nachrechnen. „Viele übersehen, dass zum TV-Preis, der üblicherweise nicht unter dem Ladenpreis liegt, noch Telefongebühren zu erhöhten Servicetarifen sowie Versandkosten kommen“, warnt Falk Murko von der Stiftung Warentest. Von Abzockmethoden, bei denen Zuschauer in Endloswarteschleifen kräftig Gebühren zahlen, ohne durchgestellt zu werden, scheinen die professionellen TV-Händler aber inzwischen Abstand zu nehmen. „In der Praxis gibt es kaum Probleme“, sagt ein Sprecher des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Auch beim Sofa-Shopping gilt inzwischen: Der Kunde ist König.

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