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Wirtschaft: Kay Hutschenreuter

(Geb. 1959)||Geld? Was ist schon Geld? Sein erstes Konto eröffnete er mit 43.

Geld? Was ist schon Geld? Sein erstes Konto eröffnete er mit 43. Kreuzberg im April 91. Sie ruft ein Taxi. Und dann kommt Kay. Mit breitem Grinsen, langen Haaren und lauter Musik. Sie will zum Bahnhof Zoo, ein paar Blumen kaufen. Kurz vor dem Ziel tritt er kräftig auf die Bremse und dreht sich um: „Wir fahren nach Ost-Berlin, da bekommen Sie auch schöne Blumen.“ – „Sind Sie verrückt?“, fragt sie. Und sie vermutet: „Sie sind bestimmt Schütze.“ Weil er so fährt, so aussieht, und dann die Musik. „Sagen Sie bloß, Sie fahren auch noch Ski.“ Kay, der im Winter auch als Skilehrer arbeitet, muss lachen. Bo, die Astrologin ist, gibt ihm ihre Karte. Zwei Monate später steht er vor ihrer Tür. Die nächsten 16 Jahre verbringen sie gemeinsam.

Als Jugendlicher gewann er bei Skirennen viele Preise. Ein Draufgänger, attraktiv, athletisch, extrem beweglich. Ein anderer hätte aus dem Talent vielleicht eine Profikarriere gemacht. Doch Kay war kein Karrieretyp. Er verfolgte die Dinge nur so lange sie Spaß machten, aber dann bis zum Umfallen.

Seine Neugierde trieb ihn immer wieder in neue Hobbys. Plötzlich faszinierten ihn Holzarbeiten. Dann wusste er alles über Holzsorten, Holzdichte, und welches Spezialwerkzeug man zum Bearbeiten braucht. Und alle Freunde sollten an seinem Wissen teilhaben. Aus Kokosnussschalen hat er Handschmeichler gefeilt, bis er eine Sehnenscheidenentzündung hatte. Nächtelang bastelte er Schmuck. Größenverstellbare Armbänder mit eingesetzten Halbedelsteinen. An einem Stück saß er manchmal Monate. Oft wurde er gefragt, warum er das nicht zu Geld mache.

Geld verdiente er nur so viel, wie er gerade zum Leben brauchte, am liebsten im Taxi. Das war seine Welt: in einer Nacht das ganze Berliner Publikum im Auto. Halsbrecherische Fahrten quer durch die Stadt, oft freihändig nur mit den Knien, immer mit Zigarette im Mund. Morgens um fünf dann in einen Club gehen und Leute beobachten: „Da war ein Mädchen, die hat so abgefahren getanzt.“

Er selbst tanzte wie ein Indianer, ein Großstadtindianer. Er hatte seinen ganz eigenen Sinn für Ästhetik. Jemand musste nicht schön sein, um ihm zu gefallen, aber außergewöhnlich und natürlich. „Wow, das ist ja ein Ding, einfach klasse!“, konnte er über eine sehr dicke Frau staunen.

Er sammelte alles, was er gerade bemerkenswert fand, Platten, Figuren aus Überraschungseiern, Dessous, Videomitschnitte von Moderatorinnen. Einmal brachte er eine kaputte Flasche mit nach Hause: „Kuck mal Bo, was für ’ne scharfe Farbe!“ Selbstverständlich hat er die Flasche behalten.

Aufgewachsen ist er gutbürgerlich in Schmargendorf: silberne Serviettenringe, weiße Tischtücher, Segelnachmittage am Wannsee. Er musste geradesitzen und durfte Schätze, die er auf Ruinengrundstücken gefunden hatte, nicht mit nach Hause bringen. Und dennoch liebte er seine Eltern abgöttisch. Auch wenn er mit seinen Schulnoten und den durchgekifften Nächten ihre hohen Erwartungen nicht ganz erfüllte.

Als sein Vater früh starb, erbte er einen großen Teil des Vermögens, die alte Brunnenbaufirma des Großvaters, Grundstücke im Osten. Ihm war das alles egal. Auf den Familiengrundstücken zahlen die Leute noch heute Ostmieten. Erst mit 43, als seine Mutter starb, eröffnete er sein erstes eigenes Bankkonto.

In Kreuzberg lebte er jahrelang in einer einfachen Mietwohnung am Mehringdamm. Anfangs nur mit Außenklo, ohne Dusche und Heizung – „Es ist nicht kalt, man muss sich nur richtig anziehen.“ Einmal die Woche ging er zur Mutter baden, Kalbsfilet essen und quatschen. Das war Ritual. Als die Mutter an Alzheimer erkrankte, verkaufte er einen Teil des Besitzes, um mit Bo ein großes Haus auf Mallorca zu kaufen. Die Mutter nahmen sie zu sich und pflegten sie sieben Jahre lang bis zu ihrem Tod. Wenn er sie fütterte und sie ihn nicht erkannte, brach es ihm das Herz. Das waren die wenigen Momente, in denen Bo ihn traurig sah.

Sie fanden ihn auf dem Boden liegend. Bei glühender Hitze hatte er die Terrassenwand gestrichen, auf einem Geländer stehend. Es war ein Herzinfarkt, sehr heftig. Genauso wie sein Leben.

Sandra Stalinski

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