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Wirtschaft: Keine Panik in der Steueroase hinterm Deich

Den Bürgermeister von Norderfriedrichskoog lässt die geplante Gewerbesteuerreform kalt: „Der Kanzler hat schon viel gesagt.“

Hinrich Thiesen kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. „Was soll ich mir vorher Sorgen machen und graue Haare bekommen – graue Haare hab ich ja sowieso schon.“ Thiesen ist der Bürgermeister von Norderfriedrichskoog, einer kleinen Gemeinde hinterm schleswigholsteinischen Deich. Eigentlich wäre das 47-Einwohner-Dorf nicht weiter erwähnenswert – wäre da nicht die Tatsache, dass in den Bauernhäusern rund 400 Unternehmen residieren – vom Vermögensverwalter über den Energiekonzern bis hin zur Großbank. Der Grund: Firmen, die in Norderfriedrichskoog nachweislich ihren Hauptsitz haben, müssen keine Gewerbesteuer zahlen. Das ist hier schon seit 1696 so. Die kleine Gemeinde verdient dadurch viel Geld – doch dem Fiskus und den Städten und Kommunen entgehen jährlich viele Millionen.

Das soll sich bald ändern. Um die Gewerbesteuerreform zu finanzieren, will die Regierung Steuer-Schlupflöcher für Unternehmen schließen. Den Bürgermeister von Norderfriedrichskoog lässt das kalt. „Der Kanzler hat schon viel gesagt“, sagt Thiesen. „Jetzt muss das erstmal auf Machbarkeit geprüft werden.“ Eigentlich ist Thiesen der Meinung, dass die Regierung nicht schon wieder das Gesetz ändern könne – die letzte Änderung sei erst ein halbes Jahr her. Damals hatte die Koalition beschlossen, dass Muttergesellschaften von Töchtern mit Sitz in einer Steueroase erhöhte Gewerbesteuer zahlen müssen. „Daraufhin sind ein paar Firmen abgezogen“, sagt Thiesen.

Das Problem ist auch in Essen nicht unbekannt. Früher war der Energiekonzern Ruhrgas größter Gewerbesteuerzahler der Stadt, doch nach der Fusion mit Eon ist der Hauptsitz nach Düsseldorf verlegt worden. Hier wird auch die Gewerbesteuer gezahlt. Essen ist heute die ärmste Stadt Deutschlands. In diesem Jahr wird sich das Defizit des Verwaltungshaushaltes auf 386,2 Millionen Euro belaufen. „Hier zahlen die meisten Hunde mehr Steuern als die Unternehmen“, klagt Stadtdirektor Horst Zierold. Auch die Gewerbesteuerreform werde das nicht ändern. „Die erwerbsunabhängigen Elemente wie Miet- und Pachtzahlungen werden nicht zur Berechnung der Gewerbesteuer einbezogen.“ Eigentlich wollte die Stadt durch die Reform zumindest die 150 Millionen Euro, die ihr durch die Steuerrefom 1999/2000 entgangen sind, jetzt wiederhaben. „Aber davon sind wir weit entfernt“, sagt Zierold.

Auch Coburg, die nach Gewerbesteuereinnahmen pro Einwohner reichste Stadt Deutschlands, ist mit der Reform nicht zufrieden. „Die Ausweitung auf Freiberufler ist zwar richtig“, sagt Kämmerer Wilhelm Austen. „Aber sie rettet die Städte nicht.“ Austen hätte sich einen größeren Teil an der Umsatzsteuer gewünscht, „das wäre verlässlich“. Wie schnell sich die Einnahmen ändern können, hat Coburg, das am Tropf des Versicherers HUK-Coburg hängt, gerade erfahren. Die Gewerbesteuereinnahmen, im Vorjahr noch auf Rekordniveau, werden sich in diesem Jahr halbieren. pet

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