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Wirtschaft: Kirchhof gibt Fachleuten Rätsel auf

Wie viele Subventionen hat Deutschland? Kirchhof spricht von 418, Experten von maximal 100

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Der Steuerrechtsexperte Paul Kirchhof zieht zur Begründung für die Gerechtigkeit seines Steuerreformmodells Fakten heran, die unter Fachleuten angezweifelt werden. Wiederholt hatte Kirchhof in den vergangenen Tagen in Interviews in Aussicht gestellt, nach einem Wahlsieg der Union am 18. September werde die neue Bundesregierung zur Finanzierung von Steuersenkungen „418 Subventions- und Ausnahmetatbestände im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht“ abbauen und so das Steuerrecht einfacher und gerechter machen. Er selbst wolle als Finanzminister dazu beitragen.

Eine solch große Zahl von 418 Steuersubventionen scheint es allerdings in Deutschland überhaupt nicht zu geben. „Selbst mit viel Wohlwollen kommen wir nur auf 80 bis 100 solcher Subventionen“, sagte die Subventionsexpertin des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Astrid Rosenschon, am Mittwoch dem Tagesspiegel. Seit Jahren untersucht das Institut das Ausmaß der Subventionen in Deutschland. Die Ausnahmeregelungen fassten die Wissenschaftler zuletzt im Sommer 2004 zusammen und ergänzten sie sogar um die so genannten Koch- Steinbrück-Subventionslisten. Dennoch listet der Bericht weit weniger als 418 Subventionen auf.

Auch inhaltlich erfuhr Kirchhof erneut heftige Kritik aus Wissenschaft und Politik. „Es gibt enorme Ausfälle von über 26 Milliarden Euro pro Jahr, und diese Ausfälle werden nicht durch Wegfall der Vergünstigungen so einfach kompensiert“, sagte der Präsident des Berliner Forschungsinstituts DIW, Klaus Zimmermann, der dpa. „Die grundlegende Idee, Steuervereinfachungen zu haben, die ganzen Ausnahmen wegzuschneiden, um dann auch wirklich entlasten zu können, das ist schon eine gute Idee, die nicht bloß Kirchhof hatte“, sagte Zimmermann. Es müsse jedoch eine dauerhafte Finanzierung der Steuersenkungen gesichert werden. Zimmermann bezweifelte auch, dass sich diese Reform über ein höheres Wirtschaftswachstum und damit steigende Steuereinnahmen selbst finanzieren könnte. „Bloß zu hoffen, dass man da ruckzuck sich selber am Schopf aus dem Sumpf ziehen kann, eine Art Münchhausenpolitik, das halte ich für ein bisschen gewagt“, sagte Zimmermann.

Die Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Christine Scheel (Grüne), warnte indes davor, Kirchhofs Versprechungen von einem einfachen Steuersystem zu glauben. „Das ist eine Täuschung“, sagte sie dieser Zeitung. Der knappe Gesetzentwurf Kirchhofs lasse zwar Klarheit vermuten, „er wird allerdings eine ganze Prozesslawine lostreten“. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer warf Kirchhof vor, er „übersteigert den politisch richtigen Ansatz der Subventionskürzung ins Ideologische“. Kirchhof kündige an, Steuerschlupflöcher für Reiche stopfen zu wollen, und treffe bei genauerer Betrachtung vor allem sozial ärmere Schichten. Als ein „Stück aus dem Tollhaus“ bezeichnete Bütikofer, dass jeder Bezieher von Arbeitslosengeld I, der monatlich mehr als 667 Euro erhalte oder mit einem Arbeitnehmer verheiratet sei, nach der Definition von Kirchhof Einkommen erhalte, das zu besteuern ist. Auch die Streichung des Sparerfreibetrages oder der steuerfreien Übungsleiterpauschale sei „Umverteilung von unten nach oben“, kritisierte der Vorsitzende der Grünen.

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