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Wirtschaft: Klaus Pönitz

Geb. 1940

Theorien über Schauspiel und Gesellschaft? Für die anderen vielleicht. Achtung, Kathi, der V-Effekt!“

„Ja, sicher, Bobby, V-Effekt. Der muss da unbedingt noch rein.“

Bobby Pönitz, Schauspieler und Schauspiellehrer. Macht nicht viel Gewese um sich und die Schauspielerei. Stanislawski, Strassberg, Brecht – Theatertheorie für Menschen, die vor allem mit dem Kopf spielen. Pönitz bekam davon immer Bauchgrimmen. Verfremdungs-Effekt? Sollen sich die anderen damit den Tag vermiesen. Bobby will Schweiß und Tränen sehen. Jedes Wort, jede Geste muss die Luft zum Schwingen bringen. Wenn sich dabei was verfremdet, beim Zuschauer, bitte schön.

„Wo kommste her? Was haste gemacht? Na, dann zeig mal.“

Kathi zeigte und Bobby fand das ziemlich prima. Gleich nach der ersten Szenenprobe sagte er: „Du kannst ja schon alles. Könntest mit mir auf der Bühne stehen. Lass uns noch einen trinken gehen.“

Schon das Du verstieß gegen die Anstandsregeln der Leipziger Theaterakademie. Auf seine Art war er verliebt in die Kathi. Auf ihre Art war sie verliebt in Bobby.

Auf seine Behausungen gab er nicht viel. Wohnen im Viereck. Waschecke, Küchenecke, Schlafecke, Herrenecke mit Sofa. Ein Leben ist das nicht in so einer Zelle, aber viel lieber schlief er ja unter freiem Himmel, mit einer Flasche Rotwein neben dem Bettpfosten. Wenn er Kathi besuchte, auf dem Land, ließ er sich das Eisenbett mitten auf die Hofstelle setzen. So empfängt man die Träume besser.

Am nächsten Morgen brachte ihm Kathi das Frühstück ans Bett, aber da hockte er schon eine Stunde vor dem großen Ameisenhaufen an der Stallwand, hockte und schaute, wie die Ameisen ihr Leben eingerichtet haben. Bei den Ameisen funktioniert das Gemeinwesen, weil jedes Ameisenindividuum nur das tut, wofür es geschaffen ist. Bei den Menschen herrscht der Staat, weil sich kein Mensch beherrschen kann. Bobby mochte den Staat nicht, aber er war doch abhängig von ihm. Es ging ihm nicht schlecht als Staatsschauspieler. Nur konnte er die Heilslehre des Marxismus-Leninismus nicht so recht ernst nehmen. Wieder so eine Theorie. Sollen sich die anderen daran die Laune verderben.

Bobby ging lieber einen trinken, machte sich seinen eigenen Reim auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und die bewaffneten Organe und den antifaschistischen Schutzwall und das große Räderwerk der Partei. Gerne wurde er dann auch laut, nachts, blödelte ein wenig herum vor den uniformierten Moralwächtern des Sozialismus.

Schade, dass die Partei so wenig Spaß verstand. Irgendwann kam mal einer von der Abteilung Horch und Guck und drohte, und Bobbys Unschuld war dahin. Über Kathi wollten sie zum Glück nichts wissen.

Bobby arrangierte sich. Andere waren konsequenter. Oder mutiger. Bobby spielte auf der Bühne und danach trank er, um weiterspielen zu können. Um nicht nach einem Sinn suchen zu müssen.

„Wer nicht am Abgrund steht, dem wachsen keine Flügel. Vergiss das nicht, Kathi!“ Den Satz hatte er aus „Alexis Sorbas“, sein großes Vorbild. „Er ist immer einen Schritt weiter gegangen als ich“, sagt Kathi.

1992 rief Bobby bei Kathi an: „Ich hab ’ne Serie.“ Er klang überschwänglich. Eine Fernsehrolle, die ihn über Jahre beschäftigen würde. Keine Geldsorgen mehr, kein Antichambrieren bei Intendanten, kein Katzbuckeln bei Regisseuren. Den Sawatzki spielte er in der Krimiserie „Wolffs Revier“. Mit der Zeit verwuchs er mit der Rolle. Sawatzki wurde zu Pönitz und Pönitz zu Sawatzki. Dafür bekam er den Grimme-Preis. Nur trank Pönitz entschieden mehr Alkohol als Sawatzki. Das blieb den Leuten von der Filmcrew nicht verborgen. 1999 wurde entschieden: Sawatzki muss sterben, in der 99. Folge. Ein Jüngerer sollte seinen Job kriegen. Einer, der nicht so dick ist und schneller laufen kann. Bobby war tief gekränkt. Er musste zuschauen, wie kurz vor seinem Filmtod schon die ersten Szenen mit dem Nachfolger gedreht wurden. Er weinte.

Alkohol ist ein Sanitäter in der Nacht, singt Grönemeyer; Recht hat er. Bobby zitierte vor seinen Trinkkumpanen Shakespeares König Lear.

Jeder Schauspieler hat ein Recht auf seine Traumrolle, und warum sollen Trinkkumpane kein geeignetes Publikum sein? Bobby hatte durchaus noch Engagements am Theater, nur verliefen sie ungefähr so wie die Engagements von Harald Juhnke. Einmal nahm Bobby nach einem Zechgelage sein Fahrrad und fuhr auf die Autobahn. Seinen Briefkasten leerte er nur noch alle 14 Tage. Die Briefe brachte er dann ungeöffnet einer Freundin, die sich um alles kümmerte, weil Bobby auch nach einigen Flaschen Bier ein liebenswürdiger, charmanter Begleiter war und sich immer für alles bedankte. Er fand es auch nicht weiter schlimm, dass neben den Kosten für Miete, Strom und Telefon fast jeden Monat der Passus „Bullen“ auf den Abrechnungen seiner Freundin auftauchte. Für Transport und Verwahrung einer betrunkenen Person waren jedesmal 213 Euro fällig. Aber Bobby nahm es „den Kollegen“ nicht übel.

Das Geld zerrann ihm sowieso zwischen den Fingern. Manchmal versteckte er es in Büchern und fand es nicht wieder. In der Kneipe gab er gerne Tresenrunden aus. Im vergangenen Jahr versuchte er zum ersten Mal, trocken zu werden. Ein Vierteljahr hielt er durch.

Morgens gegen 9 Uhr 30 öffnete die Feuerwehr seine Wohnungstür und fand eine Leiche. Zehn Tage lag sie dort schon.

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