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Warten auf die Kunden. Die Hälfte der Albaner arbeitet in der Landwirtschaft. Was ihnen fehlt, sind professionelle Strukturen.

© Reuters

Kleinkredite: Wie deutsche Banken in albanische Tomaten investieren

Kleinkredite galten lange als Revolution in der Entwicklungshilfe. Staaten und private Investoren unterstützen damit den Aufbau in Südosteuropa. Zum Beispiel in Albanien. Manchmal übertreiben sie es.

Die albanische Tomate ist nicht gerade eine Schönheit. Sie hat die Form einer zu groß geratenen Kartoffelknolle und einen leichten Gelbstich. Aber sie schmeckt süß und aromatischer als viele ihrer wohlgeformten Konkurrenten aus Nordeuropa. Die alte Sorte erlebt gerade ein Comeback, sagt Arben Stafa. Der Bauer steht vor einem Gerüst, über das er eine große Plastikplane gespannt hat, Gewächshaus nennt er die Konstruktion. Es ist Anfang Juni, die Sonne brennt über den Feldern. Unter dem Plastikzelt staut sich die Hitze. Für die Früchte ist das gut, so werden sie schneller reif.

Das wird auch Stafas Investoren interessieren. In der albanischen Tomate steckt nicht nur die ganze Hoffnung des Bauern. Sondern auch das Geld der deutschen Banken.

Seit Stafa die Gewächshäuser hat, kann er dreimal im Jahr ernten. Er züchtet auch holländische Tomatensorten, Gurken, Pflaumen und Weintrauben und im Winter Salat. Seine Ernte bringt er mit dem Lieferwagen auf den Markt in das nahe gelegene Tirana, die Hauptstadt von Albanien. Er fängt frühmorgens an zu arbeiten und hört auf, wenn die Sonne untergeht, an sieben Tagen in der Woche. Für ein Kilo Tomaten bekommt er 30 Lek, umgerechnet etwa 20 Cent. Das ist nicht viel. Aber binnen eines Jahres zieht er immerhin fast 90 Tonnen Obst und Gemüse aus dem Boden.

Die Plastikplanen, die er brauchte, um seine Erträge zu verdreifachen, haben 3000 Euro gekostet. Das Geld hat Stafa vom EFSE bekommen, dem European Fund for Southeast Europe. Der Fonds sammelt Geld bei Regierungen und Privatinvestoren im Westen ein und stellt es Menschen zur Verfügung, die am südöstlichen Rand von Europa leben, in den Balkanstaaten oder im Kaukasus. Länder also, die noch viel ärmer sind als Griechenland. Wie Albanien.

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1991 hat hier lange überhaupt niemand irgendetwas geerntet. Das Gemüse kam aus dem Ausland, falls man es sich leisten konnte. Albanien war das Armenhaus Europas. Auch Bauer Stafa konnte anfangs nichts anfangen mit den 6000 Quadratmetern Land, die ihm zugesprochen wurden, als seine landwirtschaftliche Kooperative sich auflöste und mit ihr alle gesellschaftlichen Strukturen. Statt der Kommunisten herrschten Korruption und Vetternwirtschaft. Ein Drittel der Einwohner verließ das Land. Die Zurückgebliebenen lebten von dem Geld, das die Verwandten aus dem Westen schickten. Die Überweisungen der Emigranten überstiegen zeitweise das Bruttoinlandsprodukt. Auch die Söhne von Arben Stafa sind nach Italien gegangen. Einer ist zurückgekommen. Er hilft seinem Vater auf dem Hof.

Von dem Geld, das sie mit ihren Tomaten verdienen, wird die Familie nicht reich. Aber sie kann davon leben. Stafa handelt mittlerweile auch mit Saatgut und berät andere Bauern bei der Zucht. Er besitzt ein Haus. Er braucht keine Almosen. Das Geld, das er aus dem EFSE bekommen hat, ist kein Geschenk, sondern ein Kredit. Er zahlt 16 Prozent Zinsen dafür. Das ist deutlich mehr als das, was die Griechen für ihre Milliardenhilfen zahlen. Aber die privaten Kreditvermittler auf den Straßen von Tirana verlangen noch viel mehr. Eine Deutsche Bank würde Stafa überhaupt kein Darlehen geben. Der Betrag ist zu klein, Aufwand und Risiko sind zu groß.

Über den EFSE hat die Deutsche Bank dem Bauern trotzdem Geld geliehen. Die staatliche Kfw-Bankengruppe hat den Fonds vor genau fünf Jahren gegründet. Seitdem hat er Kredite in Höhe von 1,5 Milliarden Euro ausgegeben. 60 Prozent stammen von privaten Investoren, von Banken oder großen Investmentfonds. Den Rest haben die EU-Staaten eingezahlt, auch die Kommission ist beteiligt. Wenn der Fonds Geld verliert, haften zuerst die öffentlichen Gläubiger. Das Risiko der Privaten ist überschaubar, bisher hat der Fonds jedes Jahr Gewinn gemacht, auch in der Krise. Die Rendite für die Anleger lag mindestens 1,5 Prozentpunkte über dem Satz, zu dem sich die Banken gegenseitig Geld leihen. „Wir hebeln die öffentlichen Gelder“, erklärt Monika Beck. Sie arbeitet bei der Kfw und sitzt im Aufsichtsgremium des EFSE. Hebeln (oder Englisch: leverage) ist ein Wort aus der Bankensprache. Es bedeutet, dass man mit wenig Einsatz große Geschäfte macht, indem man sich Geld dazu leiht. Es ist wie bei der Tomatenzucht. Man kauft eine Tomate und hofft, dass aus den Kernen wieder Pflanzen werden. Der Kredit ist so etwas wie der Dünger.

Der EFSE verleiht das Geld nicht selbst, er leiht Banken oder Mikrofinanzinstitutionen. Die geben das Geld an kleine Unternehmen weiter. Im Durchschnitt beträgt ein Kredit 5000 Euro.

Die Privatleute haben Geld, das sie vermehren wollen, die Unternehmer brauchen welches, um ihre Geschäfte zu finanzieren. Die Banken bringen beide Parteien zusammen. In Deutschland ist das selbstverständlich. In Albanien war es das lange nicht.

In der Umbruchzeit hatten Betrüger viele tausend Menschen mit hohen Renditeversprechen in ein Schneeballsystem gelockt. Die unerfahrenen Albaner investierten mehr als eine Milliarde Dollar. Als das System 1997 zusammenbrach, kam es fast zum Bürgerkrieg, die Nato schickte Soldaten. Danach vertrauten die Menschen keinem mehr, der nicht zur eigenen Familie gehörte. Ihr Geld horteten sie zuhause. Bis 2004 gab es in Tirana keine Bankautomaten. Es gab auch keine Straßen, keine Autos und keine Farben. Heute sind die sozialistischen Bauten bunt bemalt, auf den Straßen wird wild gehupt, die Straßencafés sind voller Menschen. Und überall prangt das Logo von Pro Credit.

Die Bank, bei der auch Arben Stafa seinen Kredit aufgenommen hat, kam 1999 ins Land. Sie wurde von einem Deutschen gegründet, die Zentrale ist in Frankfurt am Main. Sie hat Niederlassungen in 21 Ländern, vorzugsweise solchen, in die sich sonst niemand traut. Sie vergeben Kredite und überzeugen die Menschen, ihr Geld auf einem Sparbuch anzulegen.

Die Bank refinanziert sich nicht nur beim EFSE, sondern auch am Kapitalmarkt. Die Investoren, darunter die Commerzbank, verdienen Geld in den Entwicklungsländern. Die mittelfristig angestrebte Eigenkapitalrendite von Pro Credit liegt bei 10 bis 15 Prozent. „Was wir anbieten, sind keine Sozialtransfers, sondern Kredite. Das ist ein Geschäft“, sagt Martin Godemann. Er leitet das Refinanzierungsgeschäft der Bank. Das Investment sei attraktiv, aber auch nicht ohne Risiken. Schließlich vergibt Pro Credit Kredite an Menschen, die außer einer Idee und ihrer Arbeit keine Sicherheiten vorzuweisen haben. „Wir wollen profitabel arbeiten, aber wir betreiben keine Gewinnmaximierung“, sagt Godemann.

Banker wie er müssen sich in letzter Zeit viele kritische Fragen gefallen lassen. Kleinkredite galten lange als Revolution in der Entwicklungshilfe. Muhammad Yunus bekam für die Idee einen Nobelpreis. Doch ihr Ruf hat schwer gelitten. Angelockt von den hohen Renditen überschwemmten immer mehr Finanzinstitute die armen Länder mit Geld. Als der Markt eng wurde, drängten sie den Leuten Kredite auf und trieben sie in die Überschuldung. Das ist auch in Bosnien passiert. Das viele Geld der Europäer war daran nicht unschuldig. Pro Credit hat deshalb seine Führung in Sarajevo ausgewechselt. Der EFSE-Fonds hat die Kreditlinie für Bosnien gekürzt.

Die Organisation, die den Fonds verwaltet, beschäftigt Leute in allen Nehmerländern, um ihre Partnerbanken zu überwachen. Außerdem engagiert sie Berater, die den Staaten beim Aufbau eines regulierten Bankenmarktes helfen sollen. Das Ziel des Fonds ist erreicht, wenn ein Land genügend Banken hat, die verantwortungsbewusst handeln. Dazu gehört, dass sie Kredite nur an Leute geben, die genügend verdienen, so dass sie das Geld auch zurückzahlen können.

Bauer Stafa hat schon mit der Rückzahlung begonnen. Um effizienter arbeiten zu können, bräuchte er eigentlich jemanden, der die Tomaten für ihn und andere Bauern auf den Markt bringt. Aber der Aufbau solcher Strukturen ist mühsam in einem Land, in dem die Verwaltung noch immer von Korruption durchdrungen ist, in dem es Streit um Eigentumsfragen gibt und instabile politische Verhältnisse. Probleme, die Geld nicht lösen kann.

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