zum Hauptinhalt
Rinder statt Bäumen: In Brasilien wird der Regenwald massiv abgeholzt.

© AFP

Klimaschützer Achim Steiner im Interview: „Ein Hamburger benötigt 2500 Liter Wasser“

Achim Steiner, Chef des UN-Klimaprogramms Unep, über ausgelaugte Böden, gerodete Wälder und sterbende Bienen. "In einigen Gebieten Chinas sammeln die Bauern inzwischen die Pollen per Hand ein", mahnt er.

Herr Steiner, die Agrarminister der Welt wollen dafür sorgen, dass in Zukunft kein Mensch mehr hungern muss. Wie sieht es derzeit aus?

Wir gehen davon aus, dass heute rund eine Milliarde Menschen nicht genug zu essen haben. In 30 Jahren werden aber noch zwei oder 2,5 Milliarden Menschen mehr auf dieser Welt leben. Um diese zu ernähren, müsste man – wenn man einfach so weitermacht wie heute – die Produktion von Nahrungsmitteln um 70 Prozent erhöhen.

Ist das realistisch?

Nein. Mit den heutigen Ansätzen zur Intensivierung der Landwirtschaft können wir das nicht schaffen, ohne enorme Schäden anzurichten. Es droht der weitere Verlust von Ökosystemen, der Anstieg von CO2-Emissionen, der verstärkte Ausstoß von Methan durch die Tierzucht und von Lachgas. Lachgas wird zu zwei Dritteln in der Landwirtschaft verursacht – zum Beispiel durch Viehhaltung und die Anwendung von Stickstoffdünger. Dabei liegt bereits heute schon vieles im Argen. In den vergangenen 100 Jahren haben wir 50 Prozent unserer Feuchtgebiete – Auen und Moore – trockengelegt, um Böden für die Landwirtschaft zu gewinnen, Wir zerstören Wälder. Aber wenn der Regenwald im Amazonas als Ökosystem nicht mehr funktioniert, dann verliert die Welt ihre größte Wasserpumpe. Mehr als zwei Drittel des Wassers, das wir verbrauchen, wird schon heute von der Landwirtschaft in Anspruch genommen. In einigen Jahren wird bereits ein Drittel der Menschheit in Gebieten leben, die unter Wassermangel leiden.

Aber nicht in den Industriestaaten, oder?

Na ja, in den Mittelmeeranrainerstaaten wird das Wasser jetzt auch schon knapp. Aber das Wasser ist nicht das einzige Problem. Nehmen Sie die Insekten, die peu à peu verschwinden. Deren Bestäubungsdienste sind für 35 Prozent unserer Grundnahrungsmittel essenziell. Wenn man umrechnet, was Bienen und andere Insekten für die Natur leisten, käme man auf einen Wert von rund 350 Milliarden US-Dollar im Jahr. Aber in vielen Teilen der Welt beobachten wir seit einigen Jahren ein Bienensterben, das uns große Sorgen macht. In einigen Gebieten Chinas sammeln die Bauern inzwischen die Pollen per Hand ein und tragen diese mit Bürsten auf die Blüten auf. In Kalifornien gibt es Bienenstöcke, die per Lastwagen von Farm zu Farm gefahren werden, um dort die Pflanzen zu bestäuben.

Was kann man dagegen tun? Verzicht auf Fleisch? Neue ertragreichere Pflanzenarten züchten? Das Wachstum der Weltbevölkerung eindämmen?

Man kann eine Menge tun. Sehen Sie: Ein Drittel aller Nahrungsmittel, die wir mit viel Energie anbauen, erreicht niemals einen menschlichen Magen. Sie gehen verloren zwischen Acker und Teller – durch Ernteverluste, falsche Lagerung, oder das Essen landet im Müll. Gute Nahrungsmittel werden weggeworfen, weil das Haltbarkeitsdatum überschritten oder weil das Gemüse verwachsen ist. Das können wir ändern. Zudem muss man die Anreizsysteme in der Landwirtschaft umstellen. Wenn Bauern keine Alternative haben aufgrund der heutigen Märkte und Preise für ihre Produkte, als ihre Böden durch Überproduktion auszulaugen, wird eine nachhaltigere Landwirtschaft nicht machbar sein. Wir müssen die Landwirte auch dafür bezahlen, dass sie die Fruchtbarkeit unserer Böden pflegen und unsere Ökosysteme erhalten. Wir müssen natürliche Ressourcen nutzen, die Industrialisierung der Natur wird uns auf Dauer mehr kosten als helfen. Schon heute erleben wir jährlich einen Nettoverlust der weltweiten Ackerbauflächen.

Viel zu viel Essen verdirbt auf dem Feld oder landet im Müll, kritisiert Achim Steiner.
Viel zu viel Essen verdirbt auf dem Feld oder landet im Müll, kritisiert Achim Steiner.

© REUTERS

Reicht das wirklich, um im Jahr 2050 neun oder zehn Milliarden Menschen satt zu bekommen?

Ja, vor allem, wenn wir auch noch stärker darüber nachdenken, wie wir uns ernähren. Wissen Sie, dass man 2500 Liter Wasser braucht, um einen Hamburger herzustellen?

Für einen einzigen Hamburger?

Wenn Sie die ganze Produktionskette vom Rind bis zum Verzehr nehmen, kommt das so hin. Jeder Hamburger, der in die Tonne wandert, hat einen ökologischen Fußabdruck von 2500 Litern. Da fragt man sich doch: Muss man wirklich sieben Mal die Woche Fleisch essen?

Die EU hat kürzlich beschlossen, die Spekulation mit Agrarrohstoffen einzudämmen. Macht das die Preise für Nahrungsmittel stabiler?

Die Finanzmärkte haben in den vergangenen Jahren die Nahrungsmittelmärkte als Spekulationsobjekte entdeckt. Dass die Finanzdienstleister in die Landwirtschaft investieren, ist nicht per se schlecht, da sie Investitionen ermöglichen und Risiken für den bäuerlichen Betrieb reduzieren können. Aber in den vergangenen Jahren ist es zu maßlosen Wetten auf den Hunger von Millionen Menschen gekommen. Deshalb ist es richtig, ein Signal an die Finanzmärkte zu geben, dass es Grenzen gibt. Wenn die Nachricht von einer Dürre in Australien oder in Russland über Nacht die Preise hochtreibt, so dass Millionen von Menschen ihre Grundnahrungsmittel nicht mehr bezahlen können, ist das nicht vertretbar.

Das Interview führte Heike Jahberg.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false