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Wirtschaft: Königreich der Teilzeitarbeit

In den Niederlanden jede zweite neue Stelle ein "Flex-Job"Von THOMAS ROSER UTRECHT. Der Einladungen aus dem Ausland können sich niederländische Arbeitsmarktexperten kaum mehr erwehren.

In den Niederlanden jede zweite neue Stelle ein "Flex-Job"Von THOMAS ROSER

UTRECHT. Der Einladungen aus dem Ausland können sich niederländische Arbeitsmarktexperten kaum mehr erwehren.Als "Poldermodell" wird die Konsensökonomie des Königreichs vor allem im krisengeschüttelten Deutschland gefeiert.Tatsächlich ist die Quote der registrierten Arbeitslosen in den letzten Jahren kontinuierlich am Sinken, sackte seit 1982 von elf auf zuletzt 5,6 Prozent.Neben dem anhaltend hohen Wirtschaftswachstum von rund drei Prozent und niedrigen Lohnnebenkosten gilt die Flexibilisierung des Arbeitmarktes als Ursache für die steigende Zahl der Beschäftigten. Als der niederländische Sozialstaat Anfang der 80er Jahre in eine schwere Krise geriet, verständigten sich die Sozialpartner 1982 auf den "Akkord von Wassenaar".Die Gewerkschaften erklärten sich bereit, langfristig mäßige Lohnsteigerungen und eine Flexiblisierung des Arbeitsmarktes zu akzeptieren.Umgekehrt verpflichteten sich die Arbeitgeber zur Schaffung von Teilzeitstellen und zur Arbeitszeitverkürzung: Vor allem durch die Umverteilung der Arbeit ist die Arbeitslosigkeit gesunken. Die Niederlande gelten als Königreich der Teilzeitarbeit.35 Prozent der Arbeitnehmer arbeiten wöchentlich weniger als 36 Stunden, in Deutschland dümpelt der Anteil der Teilzeitbeschäftigten bei 16 Prozent vor sich hin.Verbreitet ist Teilzeit auch im Königreich vor allem in typischen Frauenberufen.Im Gesundheitswesen arbeiten beispielsweise 44 Prozent in Teilzeit, insgesamt sind 70 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten Frauen. Die Teilzeitarbeit war Mitte der 70er Jahre von Politik und Sozialpartnern bewußt stimuliert worden, um mehr Frauen ins Berufsleben zu integrieren: Jahrzehntelang lag der Anteil der Frauen an der Berufsbevölkerung im Königreich weit unter dem europäischen Durchschnitt.Heute entspricht der Anteil der berufstätigen Frauen mit 53 Prozent ungefähr dem europäischen Mittel.Allerdings ist ihre Durchschnitts- Wochenarbeitszeit von 25 Arbeitsstunden nirgendwo in der EU so kurz wie in den Niederlanden. Einkommensverlust ist der Preis der Teilzeitarbeit ohne Lohnausgleich: Das Wohlstandsniveau der Niederländer liegt unter dem der Nachbarländer.Unbestritten sind indes die positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.Der Gewerkschaftsbund FNV sieht in der Teilzeitarbeit denn auch ein wirkungsvolles Mittel im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit: "Je mehr Menschen teilzeitbeschäftigt sind, desto mehr Arbeit wird frei für Menschen, die gerne arbeiten würden." Benachteiligungen mußten Teilzeitbeschäftigte lange bei Überstundenzuschlägen, Altersvorsorge und der Bezahlung hinnehmen.Noch 1994 kamen nur 20 Prozent in den vollen Genuß der Tarifvereinbarungen.Inzwischen sind die Rechte der Teilzeitarbeiter in 80 Prozent der Tarifverträge aufgenommen. Karriere machen läßt sich allerdings nur selten per Teilzeit: Auch in den Niederlanden sind Teilzeitbeschäftigte in leitenden Positionen eine Ausnahme.Der FNV will darauf drängen, daß künftig mehr Männer und Beschäftige in höheren Positionen in Teilzeit arbeiten: "Das Potential der Teilzeitarbeit ist noch lange nicht ausgeschöpft." Neben der Teilzeitarbeit ist die Zeitarbeit in den Niederlanden populär.Fast ein Zehntel der Beschäftigten steht im Dienst einer Zeitarbeitsfirma.Jede zweite neue Stelle ist ein "Flex-Job" für weniger als ein Jahr oder eine flexible Zahl von Arbeitstunden.Erleichtert werden die flexiblen Arbeitsformen durch eine gute soziale Absicherung.Zeit- oder Teilzeitarbeiter, deren Einkommen zeitweilig unter das Mindest-Lohnniveau sackt, können problemlos auch für kürzere Perioden eine ergänzende Sozialhilfe erhalten.

THOMAS ROSER

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