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Wirtschaft: Kofferträger zum Sonderpreis

Langzeitarbeitslose sollen für einen Euro arbeiten – Experten warnen vor Verdrängung regulärer Jobs

Sie sollen als Kofferträger oder im Altersheim arbeiten, auf Kinder in der Schule aufpassen, oder in den Kirchen aushelfen. Hauptsache, der Job ist „gemeinnützig“ und, ganz wichtig, „zusätzlich“. Das ist die Bedingung für die Jobs, die den Langzeitarbeitslosen ab dem 1.1. 2005 angeboten werden sollen – ein bis zwei Euro pro Stunde sollen sie dafür bekommen. Ob die Bedingung „zusätzlich“ erfüllt werden kann, daran zweifeln jedoch Experten und Politiker: Sie fürchten, dass die Jobs andere, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängen.

„Wir müssen hier höllisch aufpassen“, sagte die Grüne Arbeitsmarktexpertin Thea Dückert dem Tagesspiegel am Sonntag. Arbeitsmarktexperte Herbert Buscher vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) geht von „massiven Verdrängungen“ aus. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Dieter Philipps, fordert: „Die Politik darf öffentliche Arbeitsgelegenheiten nur in den Bereichen zulassen, die nicht dem ersten Arbeitsmarkt schaden", wie er dem Tagesspiegel am Sonntag sagte. „Für das Handwerk wird das sonst ein ruinöser Wettbewerb", befürchtet Philipp.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement will, dass die Kommunen im Rahmen der „Hartz IV“-Reform des Arbeitsmarkts „Ein-Euro-Jobs“ schaffen. Die erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen, die nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ab Januar 2005 das Arbeitslosengeld II empfangen, sollen – wenn sie nicht direkt in einen richtigen Job vermittelt werden können – gemeinnützige Arbeiten verrichten. Ein bis zwei Euro pro Stunde sollen sie zuzüglich zu ihren ALG-II Bezügen bekommen. Das soll ihnen helfen, wieder einen richtigen Job zu finden. Wirtschaftsminister Clement will dafür 6,35 Milliarden Euro bereitstellen. Die Wohlfahrtsverbände haben bereits angekündigt, mehrere Tausend solcher Jobs anbieten zu wollen.

Allerdings mehren sich die Zweifel an dem Sinn der Schaffung eines weiteren zweiten Arbeitsmarkts. Experte Buscher rechnet nicht nur fest damit, dass reguläre Arbeitsplätze so vernichtet werden – er glaubt auch nicht, dass die gewünschte „Brücke“ in den richtigen Arbeitsmarkt funktioniert. „Dafür müssten die Arbeitslosen richtig qualifiziert werden – und das werden sie bei der Art von Tätigkeit, die sie bei den Ein-Euro-Jobs verrichten sollen, nicht.“ Buscher plädiert dafür, das Geld direkt in den ersten Arbeitsmarkt zu stecken und die richtigen Jobs zu subventionieren – den Arbeitgebern also für die Einstellung der ALG-II-Empfänger mehr Zuschüsse zu gewähren.

Auch diejenigen, die die Ein-Euro-Jobs schaffen sollen,sind skeptisch. „Um überhaupt genügend konkrete Angebote machen zu können, bräuchten wir zwei bis drei Milliarden Euro mehr“, sagte Manfred Wienand, Sozialdezernent des Deutschen Städtetages, dem Tagesspiegel am Sonntag. Denn eigentlich ist es auch Sinn von Hartz IV, dass die Langzeitarbeitslosen eben etwas für ihr Geld tun müssen – entweder mit einem Ein-Euro-Job oder auch in Traínings- und Weiterbildungsmaßnahmen. Experte Buscher rechnet mit einer Million erwerbsfähiger ALGII-Empfänger. Wirtschaftsminister Clement sieht ein Potenzial von 600 000 Ein-Euro-Jobs. Das hält Wienand mit den angesetzten Mitteln für utopisch: „So eine massive Ausweitung der Beschäftigungsmaßnahmen können wir mit diesen Mitteln nicht umsetzen.“ Auch der Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, meint: „Die sechs Milliarden reichen nie.“

In der Bundesagentur für Arbeit hat man auch schon die Erwartungen nach unten geschraubt: Neue Berechnungen gingen nun mehr von 350 000 Ein-Euro-Jobs im kommenden Jahr aus, sagte ein Sprecher. Die 600 000 seien nur eine „erste Schätzung“ gewesen, die Grundlagen hätten sich nun geändert. Arbeitsmarktexpertin Dückert findet, die Ein-Euro-Jobs sollten begrenzt sein, sie seien kein „Rettungsanker“. Dückert fordert, dass es die Jobs nur unter folgenden Konditionen geben darf: „Sie müssen zeitlich befristet sein, Qualifikationsinhalte haben und auf gar keinen Fall einen regulären Arbeitsplatz verdrängen.“ Regionale Beiräte vor Ort, aus den Trägern, den Wohlfahrtsverbänden und den Wirtschaftsverbänden bestehend, sollten dies kontrollieren.

Nötig seien die Ein-Euro-Jobs auf jeden Fall im Osten, weil es dort nicht genügend reguläre Arbeitsplätze gebe, sagte Dückert. Hier lenken auch die Wissenschaftler ein: Solange dort keine neuen Jobs entstünden, so Buscher, müsse man eben in Kauf nehmen, dass sich ein zweiter Arbeitsmarkt „zementiert“.

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