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Wirtschaft: Kohle-Zeichnungen

Wirtschaft, Politik und Gewerkschaft können sich nicht über die Zukunft des Bergbaus einig werden

Berlin - Mit dem Ruhrgebiet ist es ziemlich abwärts gegangen in den vergangenen paar hundert Jahren. Bis zu 40 Meter ist die Region abgesackt. Wegen des unnatürlichen Gefälles würde zum Beispiel die Emscher inzwischen rückwärts fließen, wenn nicht Pumpwerke den Fluss in die richtige Richtung beförderten.

Die Wühlerei der Menschen hat die Natur durcheinandergebracht. 250 Jahre Bergbau haben Spuren hinterlassen. Wenn einst die letzte Zeche geschlossen sein wird, müssen die Stollen weiter leer gepumpt werden, damit die Gegend nicht absäuft. Von Alt- und Ewigkeitslasten sprechen die Kohlepolitiker, und Gutachter haben schon eine Größenordnung ermittelt: Rund 13 Milliarden Euro soll der deutsche Steinkohlebergbau noch kosten, nachdem er eingestellt wurde. Womöglich ist es 2016 so weit, wahrscheinlicher ist 2018, vielleicht wird aber auch in hundert Jahren noch Kohle aus westfälischem Boden geholt.

Es ist ein aufwendiges Geschäft. Die Stollen in Deutschland sind zwischen 1000 und 1500 Meter tief – das ist Weltrekord. Und weil die Kohle so weit hergeholt werden muss, betragen die Förderkosten nach Angaben des nordrhein- westfälischen Wirtschaftsministeriums 190 Euro je Tonne. Auf dem Weltmarkt kostet eine Tonne derzeit nur etwas mehr als 60 Euro. Mit knapp 2,5 Milliarden Euro ist deshalb der Steuerzahler jedes Jahr bei der Steinkohle dabei; rund 80 Prozent der Subventionen kommen vom Bund, der Rest von Nordrhein-Westfalen. In diesem Jahr zahlt NRW 550 Millionen Euro und damit „mehr als die Hälfte des Etats des Wirtschaftsministeriums“, klagt der Sprecher der Behörde.

Deshalb will NRW raus aus der Kohle. Das Saarland, wo es noch eine Zeche gibt, das sich aber seit zehn Jahren nicht an den Kosten beteiligt, auch, und der Bund sowieso. Ganz zu schweigen von der RAG AG, unter deren Dach die Förderung stattfindet, und die jedes Jahr mindestens 150 Millionen Euro zum Ausgleich der Kohledefizite in anderen Konzernbereichen erwirtschaften muss. RAG-Chef Werner Müller will nächstes Jahr die Kohle los werden und mit dem profitablen Hauptteil des Konzerns an die Börse. Alle Politiker sagen, dass sie das auch wollen. Doch seit vergangenem Mittwoch sind die Zweifel größer geworden, dass der Plan eingehalten wird.

Bei einem Spitzengespräch wollten sich Bundes- und Landespolitiker, Müller und Hubertus Schmoldt, Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) auf „Eckpunkte einer kohlenpolitischen Verständigung von Bund, Land Nordrhein-Westfalen und Saarland, RAG AG und IG BCE“ verständigen. In dem Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt, ist durchgängig vom „Auslaufbergbau“ die Rede. Offen bleibt das Ende. Unter Punkt 1. heißt es, Bund und Länder „haben sich darauf verständigt, den subventionierten Steinkohlebergbau in Deutschland zum Ende des Jahres (2012, 2014, 2016, 2018) zu beenden“. 2018 hätte gerne die Gewerkschaft, weil das Ende der Kohle dann ohne betriebsbedingte Kündigungen möglich ist. Macht die letzte Zeche 2016 dicht, müssen 1800 Bergleute entlassen werden; 2014 würde es sogar noch 6000 Kumpel treffen. Gegenwärtig finden noch knapp 33 000 Personen Arbeit bei der Steinkohle, die nach und nach per natürlicher Fluktuation ausscheiden sollen.

Beim Spitzengespräch am Mittwoch gab es kein Ergebnis, weil es zum Auslaufbergbau plötzlich eine weitere Option gab: den Sockelbergbau. Gemeint ist die Steinkohleförderung über 2018 hinaus, womöglich in zwei oder drei Zechen, wie sie von den SPD-Vormännern Kurt Beck und Franz Müntefering aus energiepolitischen Gründen plötzlich propagiert wird. „Das war immer unsere Position“, sagt dazu Hannelore Kraft, Vorsitzende der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag. Wenn man erst einmal einen Schacht geschlossen habe, brauche es rund zehn Jahre, um später, vielleicht in einem Notfall, wieder an die Lagerstätte heranzukommen. Deshalb besser ein paar Zechen in Betrieb halten. Und Arbeitsplätze erhalten. Kraft rechnet vor, dass bei einer jährlichen Fördermenge von zehn Millionen Tonnen – in diesem Jahr sind es rund 25 Millionen – in NRW 1100 Lehrstellen und 12 500 Arbeitsplätze bestehen blieben. Zuzüglich der Stellen bei Zulieferern kommt Kraft auf 28 500 „Dauerarbeitsplätze“. Die Kosten schätzt die Politikerin auf 700 Millionen bis eine Milliarde Euro. Den Börsengang der RAG sieht sie auch durch einen Sockelbergbau nicht gefährdet.

Für die RAG kommt es darauf an, die Kohle mitsamt Altlasten und Risiken in eine Stiftung einzubringen und somit aus der Haftung für den Bergbau entlassen zu werden. Im Eckpunktepapier heißt es dazu: „Zum Erwerb aller Anteile an der RAG AG zu insgesamt vier Euro und zur Umstrukturierung des RAG-Konzerns wird im Dezember 2006 eine bürgerlich-rechtliche Stiftung durch eine Gesellschaft des RAG-Konzerns gegründet, in die das Gesamtvermögen der RAG AG eingeht.“ Der Stiftungszweck ist „die Abwicklung des Steinkohlebergbaus“. Zu den vier Euro kommt es, indem die RAG-Eigentümer, Thyssen-Krupp, Eon, RWE und Arcelor, ihre Anteile für jeweils einen Euro abgeben.

Ziel des Manövers: RAG-Chef Müller will ohne den Ballast der Kohle den Kern des Konzerns auf Expansionskurs trimmen. Und die „Alt- und Ewigkeitslasten“ für die Kohle in Höhe von 13 Milliarden Euro sollen abgedeckt werden mit dem Kapital der Stiftung, das sich aus dem Börsengang sowie den bereits heute vorhandenen Rückstellungen der RAG ergibt.

So kann Müllers Plan nur noch von zwei Akteuren gestoppt werden: Die Hamburger Wirtschaftprüfer Susat & Partner, die im Auftrag der Politik prüfen, ob die Zerschlagung der RAG und der Verkauf der einzelnen Teile mehr bringt als ein Börsengang des kompletten Konzerns. Und die Politik: Wenn sich die große Koalition nicht einigt. Dass der Koalitionsausschuss beim nächsten Treffen am 13. Dezember das Problem löst, ist unwahrscheinlich.

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