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Der Lehrmeister.

© REUTERS

Wirtschaft: Konfuzius für Anfänger

Chinesen investieren verstärkt in Deutschland und werden auch als Arbeitgeber immer wichtiger. Wer bei einem Chef aus der Volksrepublik sein Geld verdienen will, braucht Geduld, starke Nerven – und sollte auf Überraschungen gefasst sein.

Katerstimmung in Bedburg: In der erst 2011 eingeweihten Werkshalle werden nur noch die Auftragsreste abgewickelt. Über dem Gebäude prangt der Slogan „Quality changes the world“, mit dem der chinesische Baumaschinenkonzern Sany auf den europäischen Markt drängt. Doch seine Betonpumpen lässt die Firma nicht mehr in Bedburg bei Köln produzieren, sondern im schwäbischen Aichtal.

35 Millionen Euro haben die Chinesen in ihre Produktionsstätte in Bedburg gesteckt. Ob der Rest des geplanten 100-Millionen- Euro-Investments folgt, ist fraglich. Es hätte die größte Investition eines chinesischen Unternehmens in Deutschland werden sollen: 600 Stellen hatten die Chinesen dem Bedburger Bürgermeister versprochen. Es wurden gerade mal 250. Nun wird ein Teil der 150 deutschen Mitarbeiter entlassen und viele der 100 Chinesen ziehen zurück nach Hause.

Als Sany Anfang des Jahres seinen schwäbischen Konkurrenten Putzmeister kaufte, hatte Deutschland-Chef He Dongdong seinen Mitarbeitern noch per Video versichert, dass sämtliche Arbeitsplätze in Bedburg erhalten bleiben. Ob seine Zusage eingehalten wird, interessierte den Manager aber nicht mehr: Schon vor der Videoschaltung hatte er eine neue Stelle in der Volksrepublik angetreten. „Diese Spontaneität ist jedes Mal überraschend“, sagt die Marketingchefin von Sany- Deutschland Christiane Linkenbach. „Plötzlich sind die chinesischen Kollegen weg.“ Das ist nur eine von vielen Eigenheiten chinesischer Chefs, an die sich deutsche Mitarbeiter gewöhnen müssen.

Es könnte sich aber durchaus lohnen, denn Chinesen investieren verstärkt in Deutschland und werden somit auch als Arbeitgeber wichtiger. Ging es ihnen anfangs vor allem um Know-how- und Technik-Transfer, wie bei der Kokerei Kaiserstuhl, die 2003 in Einzelteile zerlegt nach China verschifft wurde, wollen Chinesen inzwischen von hier aus den europäischen Markt erobern und Produkte „Made in Germany“ exportieren.

Exakt 780 chinesische Firmen mit rund 7300 Mitarbeitern gibt es in Deutschland. Das klingt wenig im Vergleich zu den 2 300 amerikanischen Firmen in der Bundesrepublik, die mit schätzungsweise 800 000 Beschäftigten der größte ausländische Arbeitgeber sind. Oder im Vergleich zu Japan: Rund 1 400 japanische Unternehmen beschäftigen inzwischen rund 60 000 Mitarbeiter in Deutschland.

Doch die Zahl derer, die für chinesische Chefs arbeiten, steigt. Chinesische Unternehmen drängen vor allem in den Branchen Maschinenbau, IT und Telekommunikation sowie bei den erneuerbaren Energien nach vorn. Sehr gefragt sind deutsche System- und Entwicklungsingenieure aus den Bereichen Energietechnik und Automotive, weiß Michael Schäfer von der Personalberatung Mercuri Urval, die Führungskräfte an chinesische Firmen vermittelt. „Speziell Ingenieure werden mitunter zu Höchstpreisen von etablierten Markenanbietern abgeworben“, sagt Schäfer.

Dafür erwarten die Chinesen auch konfuzianische Tugenden von ihren Mitarbeitern: Diese brauchen viel Geduld und noch mehr diplomatisches Geschick, müssen extrem flexibel und bereit sein, sich unverständlichen Entscheidungen zu beugen. Denn „die Hierarchie in chinesischen Firmen ist ausgeprägt und die Kommunikation wenig transparent und ohne Feedback“, sagt Personalberater Schäfer. Und die Deutschen müssten Chinesen unbedingt ihre Wertschätzung zeigen.

Aber selbst dort, wo es gut läuft, sind Mitarbeiter nicht vor Überraschungen gefeit. Bei Sany in Bedburg begann alles harmonisch: Der Kantinenchef war aus Hunan, der Heimatprovinz des Firmengründers, eingeflogen worden. Auf der Speisekarte stand neben Schnitzel und Pommes auch Mala Ziji – Hühnchen, scharf und würzig. An Karneval zogen kostümierte Chinesen und Deutsche in Polonaisen durch die Gänge. Im Herbst feierten sie gemeinsam das chinesische Mondfest mit Kuchen, Lampions und chinesischen Spruchbändern.

Damit Deutsche und Chinesen sich verstehen, hatte Sany in Bedburg eigens einen interkulturellen Trainer eingestellt. Chunhu Wang kam vor 20 Jahren nach Deutschland. Der 46-Jährige vermittelte, wenn Deutsche und Chinesen aneinandergerieten, weil sie nicht über ihre Probleme sprechen konnten. Wie kürzlich in der Finanzabteilung, als eine Chinesin sich darüber beschwerte, dass die Deutschen sie immerzu kritisierten. Machten die Deutschen einen Fehler, so spreche sie doch auch nicht darüber. Schließlich müsse man dem Gegenüber helfen, das Gesicht zu wahren. „Du musst Luft ablassen, um deine Gesundheit zu bewahren“, hatte Trainer Wang ihr geraten. Den Deutschen hatte er erklärt, dass sie ihre Kritik besser verpacken, lieber den Konjunktiv benutzen und ihr Gegenüber nicht persönlich und vor anderen kritisieren sollten.

Wer für chinesische Chefs arbeitet, braucht starke Nerven, weiß Christiane Linkenbach. Sie berichtet, wie sie zehn Monate vor Beginn der wichtigsten Branchenmesse in München kein Feedback aus der Zentrale in Changsha bekam und deshalb keine Hotelzimmer für die Messebesucher reservieren konnte. „Irgendwann sind die Hotels ausgebucht“, wusste die 50-jährige Kölnerin. „In China würde man dann einfach ein neues Hotel bauen.“

Sany ist mit Chinas Bauboom groß geworden und hat weltweit 70 000 Mitarbeiter. „Wenn Sany-Manager in China etwas sagen, wird das gemacht“, weiß Linkenbach. In den Anfangszeiten konnten die chinesischen Investoren auch in Deutschland Bedingungen stellen: Konferenzen mit dem Bedburger Bauamtsleiter wurden etwa auf den Samstagabend gelegt. Als dann deutscher Alltag einkehrte, „war das für die Kollegen, die nie die Firmenzentrale verlassen haben, schwer nachvollziehbar“, sagt Linkenbach.

Es gibt aber auch Fälle, bei denen das deutsch- chinesische Miteinander gelingt – wie beim Telekommunikationskonzern Huawei mit weltweit 140 000 Mitarbeitern. Der Altersdurchschnitt der Belegschaft liegt bei 28 Jahren, Unternehmenssprache ist Englisch. In Deutschland arbeiten 1 600 Menschen, unter anderem in der Europazentrale in Düsseldorf. Jeder Dritte kommt aus China. Manager Ulf Venne aus Bonn hat rasch Karriere gemacht: Nach dem Sinologie- und BWL-Studium in Erlangen und Peking wurde er von einem chinesischen Huawei-Mitarbeiter angeworben. Sein Vorstellungsgespräch führte er auf Chinesisch. Im Dezember 2010 stieg er beim Telekommunikationsriesen ein und erhielt innerhalb kürzester Zeit Verantwortung für zwölf Mitarbeiter, darunter neun Chinesen. „Huawei ist ein toller Arbeitgeber für Leute, die offen und flexibel sind und mit schnellen Entscheidungen leben können. Man kann hier viel bewegen“, sagt der 29-Jährige. Als er es schaffte, Lieferungen ohne Lagerhaltung direkt zum Kunden zu schicken, entsandte die Zentrale einen chinesischen Mitarbeiter, der nun alle für Lieferungen zuständigen Manager in Westeuropa nach Vennes Ideen schult. Im Dezember fährt Venne zu Trainings in die Firmenzentrale nach Shenzhen. Er weiß auch, dass er dann mit seinen Vorgesetzten über seine weitere Karriere sprechen wird. Dass sie nach China führt, schließt der Vater einer neunjährigen Tochter nicht aus.

Bei Mittelständlern, die von Chinesen aufgekauft wurden, herrscht dagegen oft ein patriarchalischer Führungsstil, der günstigstenfalls an deutsche Traditionsbetriebe erinnert. Mitunter prallen dort aber auch die westliche und fernöstliche Kultur heftig aufeinander.

Welz Gas Cylinder im brandenburgischen Rathenow war 2003 der erste produzierende deutsche Mittelständler, der von einem chinesischen Privatinvestor übernommen wurde. Der 65-jährige Investor Jiang Ziqiang war in China Chef von 3500 Leuten. Nun hat er seinen Wohnsitz an die Havel verlegt und leitet den 40-Mann-Betrieb. Obwohl er nur Chinesisch spricht, geht er jeden Morgen durch die Produktion, um für ein gutes Klima zu sorgen. Er plant eine neue Aluminium- Druckgasflaschenfabrik und klagt über die Langsamkeit deutscher Behörden.

Jiangs chinesische Herangehensweise ist für den deutschen Betriebsleiter Steffen Hahn eine Herausforderung: Während die Deutschen zunächst alle Fakten recherchierten und die Entscheidungsfindung auf Arbeitsebene beginne, gehe Jiang sofort zu den Entscheidern in Banken und Behörden. Und dort dauerten alle Diskussionen mit ihm wegen des Übersetzens doppelt so lange, weiß Hahn. Er hat sich an die Eigenheiten seines chinesischen Vorgesetzten gewöhnt.

Ganz anders lief es für Bernd Meier*, der nach sechs Monaten Probezeit ein Handelsunternehmen mit 20 Angestellten verließ. „Ich würde nie wieder in einer kleinen, privat geführten chinesischen Firma arbeiten“, sagt der 32-jährige Diplom-Wirtschaftssinologe. Die Atmosphäre sei sehr hierarchisch gewesen. „Angestellte wurden ins Büro des Chefs gerufen, es gab eine 30-Sekunden-Ansage, danach musste man gehen“, sagt Meier, der fließend Chinesisch spricht.

Wenn er Geschäftspartner und Provinzpolitiker aus dem Reich der Mitte durch Deutschland begleitete, sprach keiner mit ihm. „In China ist es Ausdruck einer Position, dass man nicht mit Leuten, die unter einem stehen, plaudert. Da schweigt man lieber und sitzt erhaben da.“ Den Grund zu kennen, macht es aber nicht leichter, das Verhalten zu akzeptieren.

„Chinesen neigen dazu, ihre Kontrollinstrumente im Ausland zu verschärfen und nur engste Vertraute an der Firmenspitze zu platzieren. Das führt dazu, dass viele Niederlassungen nur bessere Vertriebsstellen sind“, hat Michael Schäfer von der Personalberatung Mercuri Urval beobachtet. Wohl auch deshalb gelänge es den chinesischen Unternehmen in Deutschland nur selten, die von ihnen so heiß begehrten Ingenieure zu integrieren, hat der Personalberater Schäfer festgestellt. „Es motiviert deutsche Manager, wenn man ihnen die Freiheit gibt, selbst zu entscheiden. Das haben viele Chinesen noch nicht erkannt.“ (HB)

*Name von der Redaktion geändert

Astrid Oldekop, Claudia Obmann

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