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Wirtschaft: Konjunktur: "Bis Weihnachten haben wir Stagnation" - Klaus F. Zimmermann im Interview

Klaus F. Zimmermann (49) ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften der Universität Bonn.

Klaus F. Zimmermann (49) ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften der Universität Bonn. Seit 1998 ist der Volkswirt auch Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Zimmermann hat in den vergangenen Jahren in Deutschland und an verschiedenen amerikanischen und japanischen Universitäten als Gastprofessor gelehrt und geforscht. Er gibt wissenschaftliche Journale im Bereich der Arbeits- und Bevölkerungsökonomie heraus. Die Führung des Berliner Forschungsinstituts DIW übernahm er im vergangenen Jahr.

Herr Zimmermann, die Europäische Zentralbank hat in der vergangenen Woche die Leitzinsen gesenkt. Wird das die Konjunktur antreiben?

Ich bin sehr skeptisch. Die Zinssenkung kommt zu spät und ist nicht stark genug. Einen positiven Effekt auf die Konjunktur in Europa zum Ende diesen Jahres oder zum Beginn des nächsten Jahres hätte eine Zinsverbilligung nur gehabt, wenn sie im frühen Sommer realisiert worden wäre. Man reagiert bei der EZB nur statt zu agieren. Jetzt, wo man nichts mehr falsch machen kann, da verpufft so ein Schritt. Eigentlich war die Zinssenkung überflüssig.

Reicht die Zeit, um bis zur Bundestagswahl aus dem Konjunkturtief zu kommen?

Mindestens neun Monate benötigt eine Zinssenkung im Schnitt, um zu wirken. Alles hängt jetzt an der Weltkonjunktur.

Das ist im nächsten Sommer. Gerhard Schröders Wahlziel der 3,5 Millionen Arbeitslosen wird also realistisch?

Zur Jahresmitte 2002 wird die Konjunktur kräftig anziehen. Und weil dann erst einmal das Überstundenpolster aufgebaut wird, bevor man neue Leute für neue Aufträge einstellt, wird der Arbeitsmarkt wohl erst 2003 eine Trendwende zeigen. Das Wahlziel von Gerhard Schröder, bis Herbst 2002 3,5 Millionen Arbeitslose in Deutschland zu haben, ist nicht mehr zu erreichen.

Wie viele Menschen werden 2002 keinen Job haben?

Wir gehen von 3,8 Millionen im Jahresdurchschnitt aus. Und auch das ist eher optimistisch, weil unsere Berechnung von einer Zinssenkung von 0,5 Prozentpunkten ausging. Und das blieb uns ja versagt.

Droht uns eine Rezession mit noch mehr Arbeitslosen?

Wenn wir im dritten Quartal wieder kein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes erreichen, dann sind wir auf dem Weg in die Rezession. Doch Prognosen sind im Augenblick noch sehr schwer.

Der Bundeswirtschaftsminister erwartet den Aufschwung noch in diesem Winter.

Ich weiß nicht, woher der Minister seinen Optimismus zieht. Wir glauben, dass die Konjunktur erst im dritten oder vierten Quartal 2002 kräftig anzieht. Bis Weihnachten werden wird auf jeden Fall von Stagnation beherrscht.

Schlechte Nachrichten auch für die Bundesanstalt für Arbeit, die in zwei Tagen ihre August-Statistik vorlegen will.

Es werden noch mehr Menschen arbeitslos sein als vor vier Wochen. Auch saisonbereinigt verschlechtert sich die Lage am Arbeitsmarkt, ohne dass eine Besserung in Sicht ist.

Gerade hat der VW-Abschluss 5000 mal 5000 gezeigt, dass Flexibilität Jobs schafft. Könnte VW nicht zum Ende aller Flächentarifverträge werden, wobei die Menschen das auch noch bejubeln würden, weil Arbeitsplätze entstehen?

Ich warne davor, die Debatte um den Flächentarifvertrag zu überziehen. Schafft man ihn ab, dann hat man zwar unendliche Flexibilität. Doch die Unternehmer müssen dann alle einzeln mit den Arbeitnehmervertretern um Sozialstandards und Löhne ringen. Dass das die Unternehmer wollen, kann ich mir nicht denken. Deshalb werbe ich für die Möglichkeit der Vertragsflexibilisierung innerhalb des Systems. Die Verhandlungen bei VW haben gezeigt, dass es schwer aber nicht unmöglich ist, zu Öffnungen zu kommen.

Wann sollten Öffnungsklauseln eingesetzt werden?

Wenn Unternehmen in Krisen sind, egal aus welchem Grund, dann müssen Öffnungen möglich sein. Auch, wenn man einzelne Firmen damit kurzzeitig Wettbewerbsvorteile verschafft. Darüber hinaus müssen Korridore bei Arbeitszeit und Lohngestaltung geöffnet werden, um Arbeitslose einstellen zu können, die andernfalls keine Chance bekämen, über die Einstiegslohn-Schwelle der Tarifverträge an Jobs zu kommen. Am Wichtigsten ist allerdings, dass sich mehrjährige Tarifabschlüsse durchsetzen, damit alle Seiten in Ruhe besser kalkulieren können.

VW hat vergangene Woche als Richtgröße eine Lohnsteigerung von drei Prozent vorgesehen. Ist das die richtige Zahl?

Für die gesamte Volkswirtschaft ist drei Prozent für die kommenden Jahre die richtige Größe. Und die Verträge sollten mindestens drei Jahre laufen.

Entstünden dann neue Arbeitsplätze?

Bestimmt.

Wie viele Jobs wird das geplante Job-Aktiv-Gesetz uns bringen?

Nicht viel. Zum einen kann in Deutschland heute schon das meiste aus dem Gesetzentwurf realisiert werden. Und dann geht es in dem Papier kaum um Reformen. Wer die Beratungs- und Vermittlungspools ausweitet, der setzt allenfalls die Faulenzerdebatte mit anderen Mitteln fort. Er suggeriert, dass die Arbeitslosen nur stärker gedrängt und geschoben werden müssen und damit neue Jobs entstehen. Das ist doch ein Irrtum. Unser Problem liegt ganz woanders: Entweder es gibt Jobs und keine passenden Mitarbeiter dafür oder überhaupt keine Jobs. Gerade im Niedriglohnbereich. Uns fehlt die Nachfrage, und die kommt nicht, wenn mehr Druck auf Arbeitslose ausgeübt wird.

Was schlagen Sie vor?

Ich unterstütze die Reformforderung der Grünen, den Kombilohn. Wenn die Unternehmen für einen bestimmten Zeitraum finanziell unterstützt werden und damit einen Arbeitslosen einstellen, dann senken wir die Einstiegsbarrieren und schaffen Nachfrage. Man sollte Berechtigungsscheine an Arbeitslose austeilen, die diese dann den Unternehmen geben.

Es gibt bereits Kombilohn-Modelle. Doch niemand will die Vorteile erkennen.

Das liegt nicht am System sondern an der Umsetzung. Wenn man gleichzeitig andere Modelle wie ABM-Maßnahmen mit mehr Geld anbietet, braucht man sich nicht zu wundern, dass die Kombilohn-Modelle niemanden interessieren. Außerdem ist die Handhabung zu bürokratisch.

Soll die Bundesregierung denn konkurrierende Modelle wie ABM abschaffen?

Zum Beispiel. Der Erfolg liegt in der Beschränkung der Modelle. Ich hoffe, die Grünen können sich noch mehr durchsetzen und das Job-Aktiv-Gesetz umfassend erweitern. Ich sehe wohl, dass so etwas natürlich mutig ist, denn die Effekte werden kaum vor dem nächsten Herbst zu sehen sein. Und ich fürchte, die jetzige Bundesregierung wird sich deshalb nicht der Kritik der Öffentlichkeit stellen, die entsteht, wenn sie ABM abschafft. Dennoch: Ich appelliere an Gerhard Schröder, jetzt einen mutigen Reformschritt zu tun. Das ist dringend nötig, die Bürger fühlen das und die Wähler würden es letztlich honorieren.

Ein anderes Wahlziel von Schröder ist die Senkung der Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent. Was muss der Kanzler tun, um zumindest hier zu punkten?

Es ist völlig illusorisch, die Lohnzusatzkosten in der nächsten Zeit unter 40 Prozent zu senken. Gesundheit wird teurer, Arbeitslosigkeit wird teurer und der Finanzminister ist nicht bereit, die Kosten aus Steuermitteln zu subventionieren. Dieses Wahlziel kann die Bundesregierung nicht einhalten. Im Gegenteil. Es wird schon schwer, das gegenwärtige Niveau zu halten. Allein die Kostenentwicklung im Gesundheitssystem wird zu Beitragssteigerungen führen, wenn nicht die Leistungen gekürzt werden. Reformen, die dringend gebraucht werden, kommen dafür ohnehin schon zu spät.

Könnte der Bundesfinanzminister durch ein kreditfinanziertes Aufschwungprogramm dem Kanzler zur Wiederwahl verhelfen?

Nein, dafür fehlt uns die Kraft, die Zeit und die Rahmenbedingungen des europäischen Stabilitätspaktes erlauben dies nicht. Wir haben uns selbst in das Korsett des Stabilitätspaktes hineingepresst, um die öffentliche Schuldenlast zu verringern. Ich stimme dieses Strategie zu. Allerdings: In Krisensituationen wie jetzt weiter konsequent zu sparen, das führt zu einer Verschärfung des Konjunkturtiefs. Europa hat sich aller Instrumente der Konjunkturpolitik beraubt und ist jetzt dazu verdammt, auf positive Signale aus Amerika zu warten.

Das heißt: Kredite aufnehmen und das Verschuldungsziel senken?

Wenn wir von drei auf ein Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr zurückfallen und den Prognosen zufolge im kommenden Jahr wieder stärkeres Wachstum erwarten können, dann sehe ich nicht ein, wieso wir die Nettoneuverschuldungsgrenze von 1,5 Prozent jetzt so dogmatisch einhalten müssen. Die mittelfristig sinnvollen öffentlichen Ausgaben müssen getätigt werden und ich plädiere auch dafür, sich dafür kurzfristig höher zu verschulden.

Heißt das, Eichel soll den Stabilitätspakt aufkündigen?

Ich warne davor, den Stabilitätspakt aufzuschnüren, weil das ein Dammbruch wäre. Aber er muss ihn nicht unter allen Bedingungen jedes Jahr neu strikt einhalten. Gewiss, der deutsche Finanzminister muss in Brüssel eine Begründung dafür finden, wenn er die Verschuldungsziele kurzfristig überschreiten will. Doch die Konjunktur macht einen solchen Schritt nötig und wir dürfen den Minister jetzt nicht aus dieser Verantwortung entlassen. Natürlich müsste Hans Eichel mit Blick auf die optimistischen Wachstumsprognosen dann für 2002 eine konservative Verschuldungspolitik für das kommende Jahr versprechen.

Die Prognosen in diesem Jahr lagen allesamt daneben. Wer will wissen, ob das im nächsten Jahr anders ist?

Prognosen an konjunkturellen Wendepunkten sind immer problematisch. Wenn wir im kommenden Jahr keinen Aufschwung bekommen , dann müsste die Europäische Union ihr Stabilitätsziel ohnehin aufgeben. Dann müssen die Steuerreform vorgezogen und neue Ausgabenprogramme gestartet werden.

Herr Zimmermann[die Europäische Zentralbank]

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