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Vor allem in der Industrie lief es zuletzt nicht mehr rund. Die Aufträge fehlten.

© picture-alliance/ dpa

Konjunkturforscher Wollmershäuser: „Der freie Fall der Industrie ist gestoppt“

Wie entwickelt sich die Wirtschaft im neuen Jahr? Timo Wollmershäuser ist für die Ifo-Prognosen zuständig, er gibt einen Ausblick. Ein Interview.

Von Carla Neuhaus

Wie stark wächst die Wirtschaft? Diese Frage stellt Timo Wollmershäuser sich immer wieder. Denn er leitet die Konjunkturabteilung am Münchner Ifo-Institut und ist damit auch für die Prognosen verantwortlich. Mit dem Tagesspiegel hat er darüber gesprochen, was auf Deutschland im nächsten Jahr zukommen - und warum sich die Ökonomen zuletzt so geirrt haben.

Herr Wollmershäuser, die Wirtschaft ist 2019 sehr viel weniger stark gewachsen, als Sie und andere Ökonomen das vorhergesagt haben. Was ist passiert?
Wir haben gleich mehrere Entwicklungen unterschätzt. Zum Beispiel welche Folgen der Wandel in der Automobilindustrie hat, was beim Brexit auf uns zukommt und wie es beim Handelskrieg weiter geht. Spätestens Richtung Sommer sind wir da eines Besseren belehrt worden. So ist es zu einer massiven Eskalation im Handelsstreit zwischen den USA und China gekommen. Mittlerweile ist ein großer Teil der Waren, die die beiden Länder austauschen, mit Zöllen belegt – das hat so keiner vorhersehen können.

Für Deutschland wiegt der Wandel in der Automobilindustrie schwer. Warum haben Ökonomen den so unterschätzt?
Wir sprechen hier von einem technologischen Wandel vom Verbrennungs- zum Elektromotor. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Mit was für Kosten solch ein Übergang einher geht, in welchem Ausmaß es zu Produktionsverlagerungen kommt – all das ist schwer vorherzusehen. Vor einem Jahr haben wir zudem noch gedacht, dass die Produktionsrückgänge in der Automobilindustrie rein an der verzögerten Umstellung auf den neuen Abgastest WLTP lagen. Wäre das der Fall gewesen, wäre die Produktion nach vorübergehenden Problemen wieder hochgefahren worden. 

Weil das aber nicht der Fall war, haben Autobauer Stellen gestrichen oder auf Kurzarbeit gesetzt. Geht das 2020 so weiter?
Der Bau von Elektroautos ist weniger aufwändig, weshalb Stellen wegfallen werden. Viel wird deshalb davon abhängen, wo die Batterien für die Elektroautos gebaut werden – denn das schafft Jobs. Da ist die Freigabe der Europäischen Kommission für die Batterieförderung ein gutes Signal für Deutschland. Dazu kommt das Vorhaben von Tesla, künftig hierzulande Elektroautos produzieren zu wollen. Kurzfristig signalisiert uns die Industrie allerdings, dass sie eher weiter Stellen abbauen will. 

Timo Wolmershäuser leitet die Konjunkturabteilung am Münchner Ifo-Institut.
Timo Wolmershäuser leitet die Konjunkturabteilung am Münchner Ifo-Institut.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Also keine Entwarnung?
Ich lese die jüngsten Zahlen so, dass zumindest der freie Fall der Industrie gestoppt ist. Das sieht man sowohl am Ifo Geschäftsklimaindex als auch am Einkaufsmanagerindex. Beide Indikatoren sind seit Mitte 2018 von einem hohen Niveau kommend eingebrochen, haben sich inzwischen auf einem niedrigeren Wert stabilisiert. Mit anderen Worten: Es geht nicht weiter abwärts, aber auch erstmal nicht wieder aufwärts. 

Obwohl die Industrie noch immer der wichtigste Wirtschaftszweig in Deutschland ist, bekommen viele Verbraucher von dieser Industrieschwäche wenig mit. Warum?
Das liegt vor allem am Bau und am Dienstleistungssektor, die weiterhin wachsen und Mitarbeiter einstellen. Dazu kommt, dass sich die Gewichte langsam verschieben. So gewinnt die Beschäftigung in der Technologie- und Kommunikationsbranche allmählich an Bedeutung für den Standort Deutschland. Auch der starke Konsum spielt eine Rolle: Dort spüren wir die gute Einkommenssituation der Haushalte und den Beschäftigungsaufbau der letzten Jahre. Und auch die niedrigen Zinsen haben geholfen.

Aber Sparer leiden doch darunter, dass sie kaum noch Zinsen erhalten.
Das stimmt natürlich. Was in der Diskussion aber viel zu wenig berücksichtigt wird, sind die Entlastungen der Schuldner. Gerade junge Menschen, die eine Immobilie finanzieren, profitieren von den niedrigen Zinsen. Sie haben dadurch mehr Geld für andere Dinge zur Verfügung. Und auch der Staat muss weniger für seine Schulden zahlen: Dadurch konnte er in den letzten Jahren die Bürger entlasten, ohne dass man darüber diskutieren musste, wie das Ganze finanziert werden soll.

Schon jetzt sind die Baufirmen mit Aufträgen ausgelastet.
Schon jetzt sind die Baufirmen mit Aufträgen ausgelastet.

© dpa

In der Wirtschaft aber sagen viele, der Staat investiert noch zu wenig.
Dass der Staat noch mehr als bisher investiert, halte ich für unrealistisch. Nehmen Sie die Ausgaben für den Bau von Straßen oder öffentlichen Gebäuden: Die Auftragsbücher der Bauunternehmen sind voll – mehr können sie nicht bewerkstelligen. Dazu kommt, dass auch in den Gemeinden die Planer fehlen, die neue Bauprojekte betreuen könnten. Schon jetzt stellt der Bund den Gemeinden mehr Gelder zur Verfügung, als sie abrufen. Und konjunkturell würden uns mehr Investitionen derzeit auch eher schaden.  

Warum das?
Weil das die hohen Preise, die wir in der Bauindustrie sehen, weiter anfeuern würde. Das aber ist kontraproduktiv. Wir sehen schon jetzt, dass etwa beim privaten Immobilienbau die Preise viele Verbraucher abschrecken. Das heißt, die Preise sind so hoch, dass sie die Entlastung durch die niedrigen Zinsen auf der Kreditseite überkompensieren. Es wird daher der Tag kommen, an auch am Bau die Stimmung kippt. Der Staat ist deshalb gut beraten, seine Investitionen aktuell nicht massiv auszuweiten. Für die Konjunktur wäre es besser, wenn er sie stetig steigen ausweiten würde – auch, wenn das Wirtschaftswachstum sich abschwächt. 

Ist der Staat dazu denn in der Lage, wenn er die schwarze Null nicht gefährden will?
Klar ist: Sollten wir unerwartet doch in eine Rezession rutschen, kann der Staat die Investitionen nicht halten, ohne die schwarze Null zu reißen. Rein ökonomisch betrachtet, macht die schwarze Null aber ohnehin wenig Sinn. Sie einzuhalten, würde bedeuten, dass der Staat in einem Konjunkturabschwung seine Ausgaben zurückfahren muss – obwohl er eigentlich das Gegenteil tun müsste, um die Wirtschaft zu stützen.

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 Sie gehen für 2020 von einem Wachstum von 1,1 Prozent aus. Damit käme die Bundesregierung um die Entscheidung noch einmal herum.
Nach derzeitigem Stand müssen wir für das kommende Jahr tatsächlich keine Rezession fürchten. Dabei gehen wir allerdings davon aus, dass der Brexit tatsächlich geregelt abläuft, dass wir keine neue Eskalation im Handelsstreit sehen, und dass auch der Wandel in der Automobilindustrie nicht allzu abrupt von statten geht. 

Beim Handelsstreit gehen Sie also von einer weiteren Entspannung aus?
Die USA spüren inzwischen, dass die Strafzölle Produkte für Amerikaner teurer machen. Und der Effekt, auf den US-Präsident Donald Trump gesetzt hat, ist ausgeblieben: Unternehmen haben ihre Produktion nicht allein aufgrund der Zollthematik im großen Stil in die USA verlegt. Dazu kommt, dass Trump sich 2020 zur Wiederwahl stellen will. Da muss er jetzt Erfolge vorweisen. Und das gelingt nicht, wenn er den Handelsstreit weiter eskalieren lässt.

Ein Wachstum der deutschen Wirtschaft von 1,1 Prozent ist nicht allzu viel. Müssen wir uns auch langfristig an niedrige Wachstumsraten gewöhnen?
Wir dürften im kommenden Jahrzehnt tatsächlich ein niedrigeres Trendwachstum sehen als in der Vergangenheit. Das liegt allein schon an der demografischen Entwicklung: Es werden sehr viele Menschen in Rente gehen und es kommen nur wenige im erwerbsfähigen Alter nach. Deshalb müssen wir uns wohl an durchschnittliche Wachstumsraten von unter einem Prozent in den 20er Jahren gewöhnen.

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