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Derzeit greifen viele deutlich häufiger zum Controller.

© Getty Images/iStockphoto

Konsolen, Computer und Spiele-Apps: Warum die WHO zum Zocken ermuntert

Mit Spielentwicklern hat die Organisation eine Kampagne gestartet. Während Games-Firmen von der Krise profitieren, sehen Wissenschaftler eine Gefahr.

Von Laurin Meyer

Es braucht schon deutlich mehr als nur einen Computer, wenn die Mitarbeiter von Cipsoft im Homeoffice arbeiten. Auf ihren Schreibtischen liegen verschiedene Smartphone-Modelle, von Zuhause aus können sie auf die leistungsstarken Server zugreifen, die sonst in der Firma stehen. „Für unsere Techniker war das ein großer Aufwand“, sagt Co-Geschäftsführer Stephan Vogler. Doch den hat die Firma auf sich genommen, um den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten.

Cipsoft im bayerischen Regensburg entwickelt Onlinespiele, vorwiegend für Smartphones. Und sein Geschäft betrachtet Vogler gerade jetzt als gesellschaftliche Aufgabe: „Onlinespiele können in Zeiten von Social Distancing und Ausgangsbeschränkungen den Menschen helfen, sich nicht alleine zu fühlen.“ In den virtuellen Räumen können sie sich treffen, sich etwa über Chatfunktionen austauschen. „Da können wir einen positiven Beitrag leisten“, ist Vogler überzeugt.

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Das sieht auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) so – und sucht jetzt einen ungewöhnlichen Schulterschluss. Gemeinsam mit den weltweit größten Entwicklern und Vermarktern von Videospielen hat die UN-Behörde in der vergangenen Woche eine Kampagne gestartet. Unter dem Hashtag #PlayApartTogether sollen Nutzer auch andere dazu aufrufen, gemeinsam zu zocken. Denn wer sich in Onlinespielen trifft, der geht nicht raus und hilft somit, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, so die Idee. „Wir hoffen, dass diese Kampagne noch mehr Menschen dazu ermutigt, sicher und gesund zu bleiben“, sagte Ray Chambers, US-Beauftragter der WHO.

Menschen greifen deutlich häufiger zum Controller

Insgesamt 18 Unternehmen beteiligen sich, darunter etwa der App-Store von Onlinehändler Amazon und Marktführer Activision Blizzard. Aber auch Videoplattformen wie YouTube und Twitch, die Spiele live übertragen, gehören dazu. Die Konzerne wollen nun eine Reihe von passenden Onlineveranstaltungen und neuen Funktionen starten, ohne jedoch Details zu nennen. Gibt es künftig also Bonuspunkte, wenn sich eine Spielfigur die Hände wäscht? Auch Belohnungen für gutes Verhalten soll es in den Spielen geben, heißt es.

Neben der Rolle als Gesundheitsbotschafter dürfte es den Konzernen dabei auch ums Geschäft gehen. Schon jetzt greifen viele deutlich häufiger zum Controller oder einer Spiele-App. Das zeigen Zahlen aus den USA. So berichtet der Telekommunikationskonzern Verizon, dass der Datenverkehr von Onlinespielen Mitte März einen plötzlichen Sprung um 75 Prozent gemacht hat. „Weil viele Freizeitbeschäftigungen weggefallen sind, ist der Anstieg beim Online-Gaming nicht überraschend“, sagt Kyle Malady von Verizon.

Aktien der großen Spielentwickler im Plus

Investoren sehen in den großen Entwicklerstudios jedenfalls einen Gewinner der Krise. Während es für den US-Aktienindex Dow Jones seit Februar um mehr als 25 Prozent zurück ging, liegen die Aktien der Gamesfirmen im Plus. Die Papiere des Marktführers Activision Blizzard, deren Tochterfirmen bekannte Spiele wie „Call of Duty“ oder „World of Warcraft“ entwickelt haben, legten seit dem Ausbruch des Coronavirus in den USA um zeitweise fast 15 Prozent zu. Zynga, dessen Spiele wie „Farmville“ in sozialen Netzwerken beliebt sind, gewann zwischenzeitlich gut 18 Prozent.

Das spürt auch Stephan Vogler: „Wir sehen einen deutlichen Anstieg in den Nutzerzahlen.“ Frei von Sorgen ist der Cipsoft-Geschäftsführer aber nicht. So fürchtet er, dass Dinge auf der Strecke bleiben könnten. Erst recht, wenn seine Mitarbeiter noch monatelang im Homeoffice bleiben sollten. „Spieleentwicklung braucht viel Kommunikation“, sagt Vogler. Läuft etwas nicht wie gewünscht, könnte es länger dauern, um es zu lösen.

Absage von Veranstaltungen trifft deutsche Branche

Immerhin knapp 30.000 Beschäftigte hängen hierzulande an den Videospielen. Die meisten davon arbeiten in der Entwicklung. „Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise ist für die deutsche Gamesbranche aktuell noch überschaubar“, sagt Felix Falk, Geschäftsführer des Branchenverbands „Game“. Dennoch glauben fast zwei Drittel der Unternehmen, dass auch ihre wirtschaftliche Lage sich zumindest kurzfristig verschlechtern wird. Das zeigt eine Umfrage des Verbands aus der vergangenen Woche.

Veranstaltungen der Branche sind bereits abgesagt oder verschoben worden.
Veranstaltungen der Branche sind bereits abgesagt oder verschoben worden.

© Reuters

Denn neben den Entwicklern gehören auch Spielevermarkter und Veranstalter zur Branche. Und die leiden unter den abgesagten Messen und Events. Jüngst wurde etwa die Spieleentwickler-Konferenz in San Francisco verlegt. Das könne auch Auswirkungen auf geplante Veröffentlichungstermine haben, meint Falk. „Die Coronakrise gefährdet die Spiele, die derzeit nur als Idee existieren.“ Denn durch die Absage von Veranstaltungen würden Treffen mit potenziellen Partnern fehlen. „Ohne diese Treffen wird es insbesondere für kleinere und mittelgroße Spieleentwickler schwierig, ihr nächstes Projekt zu finanzieren.“

Wissenschaftler warnen vor Abhängigkeit

Der Erfolg der Entwickler hängt heute vor allem an der Spielfreude der über 50-Jährigen. Denn die machen mittlerweile fast ein Drittel aller regelmäßigen Zocker aus. Das dürfte auch an einer weiteren Entwicklung der vergangenen Jahre liegen: Smartphones sind zur beliebtesten Spieleplattform geworden. Manche Wissenschaftler befürchten jedoch, dass gerade jetzt, wo Schulen geschlossen sind, vor allem Kinder und Jugendliche in die Spielsucht abdriften könnten. „Das ist ein Problem, das sich jetzt noch einmal verschärft“, sagte der Kriminologe Christian Pfeiffer diese Woche der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Quote der Intensivspieler dürfte beträchtlich wachsen, mutmaßt der ehemalige niedersächsische Justizminister. Vor allem Jungen könnten in dieser Situation auch nach der Coronakrise hängenbleiben.

Wissenschaftler warnen vor Spielsucht bei Kindern und Jugendlichen.
Wissenschaftler warnen vor Spielsucht bei Kindern und Jugendlichen.

© Getty Images/iStockphoto

In Deutschland spielen rund drei Millionen Jugendliche regelmäßig. Laut Zahlen der Krankenkasse DAK gilt fast jeder sechste von ihnen als sogenannter Risiko-Gamer, der krankhaftes Spielverhalten zeigt. Die Konsequenz: Betroffene würden häufiger in der Schule fehlen, mehr emotionale Probleme haben und deutlich mehr Geld ausgeben. Vor zwei Jahren erkannte das auch die WHO an. Damals hat die Organisation die Online-Spielsucht offiziell in die Internationale Klassifikation der Krankheiten aufgenommen.

„Ein gesunder Mix ist in diesen Zeiten entscheidend“, weiß auch Stephan Vogler. Dennoch ist der Entwickler überzeugt, dass seine Spiele gegen die Vereinsamung in Zeiten der Coronakrise helfen. Er merke schon bei seinen alleinstehenden Kollegen, dass sie sich mit dem Homeoffice schwerer tun. Immerhin: Die Smartphones zum Zocken liegen auf ihren Schreibtischen schon bereit.

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