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Software-Programme verraten, wie viele Stunden jemand in Besprechungen sitzt und wie viele E-Mails er mit jedem seiner Kollegen austauscht. Foto: Imago

© imago/Ikon Images

Kontrolle im Unternehmen: Wenn Daten den Wert eines Mitarbeiters bestimmen

Kollegen kommunizieren permanent miteinander. Per Mails, in Chats. Jetzt warnt eine Studie: Arbeitgeber könnten die Informationen missbrauchen.

Die LEP GmbH hat Daten aus dem firmeneigenen sozialen Netzwerk benutzt, um zu entscheiden, welche Mitarbeiter entlassen werden sollen. Grund für den Stellenabbau ist ein enormer Umsatzeinbruch. Ist jemand im Unternehmen gut vernetzt, hat er Einfluss, gilt als wichtig. Hat er kaum Kontakte, ist sein sozialer Wert gering. So die Überlegung. Die Belegschaft ist über diese Art der Personalentscheidung entsetzt.

Dies ist eine erfundene Geschichte. Ein Szenario, das zwei Experten in der Studie „Die Vermessung der Belegschaft“ entworfen haben, um auf ein reales Problem hinzuweisen: Durch elektronische Kommunikation fallen in Betrieben immer mehr Daten an, die Beziehungen zwischen Beschäftigten dokumentieren. Die Studie, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde, warnt davor. Es sei denkbar, dass Arbeitgeber sich bei Beförderungen oder Entlassungen in Zukunft an solchen Ergebnissen orientieren.

Die technischen Möglichkeiten gibt es längst

Die ersten Softwareprodukte, mit denen Analysen dieser Art möglich sind, kämen schon jetzt auf den Markt, erklärten die Autoren – der Informatikprofessor Heinz-Peter Höller von der Hochschule Schmalkalden und der Juraprofessor Peter Wedde von der Frankfurt University of Applied Sciences. Das Potenzial hätten beispielsweise „Workplace Analytics“ von Microsoft und „Organisational Analytics“ von IBM.

Das Microsoft-Programm ermittelt unter anderem, wie viele Stunden jemand in Besprechungen sitzt, wie viele Termine er in der Woche hat, und wie viel ein Mitarbeiter per E-Mail und in Sitzungen mit jedem seiner Kollegen kommuniziert. Mögliche Interpretationen für den Chef könnten sein: Werden Mails von einem Beschäftigten schnell beantwortet, ist sein Ansehen hoch. Ihn lässt man nicht warten. Werden sie erst später oder nie gelesen, ist seine Stellung nicht so hoch. Oder: Wer oft in Konferenzen eingeladen wird, soll mitreden. Mitentscheiden. Wer in wichtigen Runden nicht dabei ist, gilt als weniger bedeutsam.

Bei Microsoft liest man davon nichts. Auf der Produktseite wird das Programm so beworben: Die Geschäftsleitung könne damit „Muster der Zusammenarbeit, die sich auf die Produktivität und Motivation auswirken, organisationsübergreifend auswerten“. Mit dem Ziel, das Gut Zeit besser zu nutzen. Paypal hat die Software unter anderem schon getestet.

Anders als in kleinen Betrieben hat das Management in Großunternehmen keinen Einblick in die sozialen, informellen Detailstrukturen, die allerdings viel über Macht und Konflikte aussagen. Doch das ist vielleicht nur noch eine Frage der Zeit. Mit jeder E-Mail und jedem internen Chat; mit Dokumenten, an denen man gemeinsam in der Cloud arbeitet; mit jedem Tweet, Like, neuem Freund und neuem Follower aus dem eigenen Betrieb bei Twitter und Facebook hinterlassen Arbeitnehmer Beziehungsspuren. Dass all diese Daten sehr aussagekräftig sind, haben sozialwissenschaftliche Netzwerkanalysen bereits bewiesen.

Autoren warnen vor enormer Überwachung

Nur können all diese Angaben von Arbeitgebern massiv missbraucht werden, „um in die Belegschaft hineinzuhorchen, um sie in gewisser Weise elektronisch zu vermessen“, heißt es in der Studie. Und weiter: „Was da entsteht, könnte tatsächlich über die bisherigen Formen der Kontrolle und Überwachung des Einzelnen weit hinausgehen.“

Rechtlich seien einer solchen Analyse von Daten zwar enge Grenzen gesetzt. Unternehmen dürften keine Kommunikationsdaten auf Vorrat speichern und auswerten. Das geltende Recht müsse aber auch durchgesetzt werden, schreiben die Autoren. Die Böckler-Stiftung sieht Politik und Betriebsräte in der Pflicht, das Verhalten der Arbeitgeber auf diesem Feld genau zu beobachten. Auswertungen würden zeigen, dass Betriebsvereinbarungen zu Datennutzung und -schutz längst einen Schwerpunkt in der Arbeit von Betriebsräten bildeten. Missbräuche sollten den Behörden gemeldet werden. Mit dem neuen europäischen Datenschutzrecht, das ab Mai gilt, können Gesetzesverstöße mit hohen Geldbußen bestraft werden.

Die Linken-Abgeordnete Jutta Krellmann kritisiert die Möglichkeiten, die Arbeitgeber durch die Digitalisierung scheinbar bekämen. Betriebsräte bräuchten „mehr Freistellungen für entsprechende Kontrollen“.

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