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Wirtschaft: Kopflose Gespräche bei der WTO

GENF . Unten am Genfer See steht das alte Palais, der Sitz der Welthandelsorganisation (WTO).

GENF . Unten am Genfer See steht das alte Palais, der Sitz der Welthandelsorganisation (WTO). Diskret schirmen hohe Bäume die leicht angewitterten Mauern ab. Unlösbar scheint die Aufgabe, mit der die 134 Mitglieder der Organisation hier seit Monaten kämpfen: Sie suchen den neuen Hausherrn für den Sitz der WTO, bei der zur Zeit rund 500 Angestellte mit einem Etat von 93 Mill. US-Dollar (1998) arbeiten.

Ende April ging Renato Ruggiero, der letzte Generaldirektor der WTO, in den Ruhestand. Als Nachfolger stehen der ehemalige neuseeländische Regierungschef Mike Moore und der thailändische Handelsminister Supachai Panitchpakdi zur Wahl. Moore wird vor allem von den USA, Panitchpakdi in erster Linie von den asiatischen Ländern unterstützt. Am vergangenen Freitag versuchte man wieder einmal, sich auf einen der beiden zu einigen - ohne Erfolg, die Beratungen wurden auf Juli vertagt. Seit sieben Wochen steckt die WTO damit in der größten Krise ihrer mehr als vierjährigen Geschichte.

Die WTO brauche einen "neuen Chef, so schnell wie möglich" rief Ruggiero bei seinem Abgang beschwörend den völlig zerstrittenen Unterhändlern zu. Denn 1999 ist das Jahr der großen Handelskonflikte, wie die Auseinandersetzungen zwischen den USA und der Europäischen Union um die Bananeneinfuhr oder das hormonbehandelte Rindfleisch zeigen. Ohne den beruhigenden Einfluß eines Chefs droht das Verfahren zur Streitschlichtung, laut Ruggiero "das Herz unseres Systems", zu kollabieren.

In rund 20 Prozent der Streitfälle, die vor die WTO kommen, rauften sich die Parteien bislang zusammen, bevor der Streit in ein ordentliches Gerichtsverfahren mündete. "Das zeigt doch, das unser System funktioniert", beteuert Ex-Chef Ruggiero. Altliberale vom Kaliber eines Otto Graf Lambsdorff riefen deshalb die WTO zur "erfolgreichsten internationalen Organisation" aus. Doch das war lange vor der derzeitigen Krise.

Der Zeitpunkt der Krise ist ausgesprochen ungünstig: Im November soll in Seattle der Startschuß für die nächsten Gespräche über die Liberalisierung des Welthandels fallen. Dann wird jahrelanges Schachern in Genf folgen, bei dem vor allem für die USA einiges auf dem Spiel steht: Clintons Diplomaten spüren nicht nur den Atem der mächtigen Wirtschaftslobbys im Nacken, sie müssen auch gegen die Stimmungsmache im US-Kongreß und in weiten der Teilen der US-Öffentlichkeit gegen die WTO kämpfen. Dort wird die WTO als Kungelklub und als Bedrohung der amerikanischen Souveränität angeprangert.

Zur Beruhigung der Gemüter ging Bill Clinton in die Offensive: "Die USA bieten heute offiziell an, alle Verfahren in der WTO, an denen sie beteiligt sind, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen", gelobte der Präsident auf der zweiten WTO-Ministerkonferenz im Mai 1998. Bis heute tagen die Diplomaten jedoch hinter verschlossenen Türen, obwohl auch Ex-Chef Ruggiero das "Going Public" zur Chefsache erklärt hatte. Jüngstes Beispiel der Geheimniskrämerei: Bis Ende Mai wurde den Mitarbeitern der Pressestelle ein Maulkorb verpaßt. Über die Beratungen zum neuen Chef der WTO durften sie den Journalisten offiziell nichts mitteilen. JAN-DIRK HERBERMANN

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