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Wirtschaft: Korruptionsfälle erschüttern den Einzelhandel

Philips schmierte Mitarbeiter von Media Markt/Saturn – doch offenbar sind solche Praktiken auch in anderen Firmen verbreitet

Berlin - Die jüngsten Korruptionsskandale bei Media Markt/Saturn oder Karstadt Sport sind nach Meinung von Fachleuten keine Einzelfälle. „Das ist im Einzelhandel verbreitet“, sagte die Berliner Korruptionsexpertin Birgit Galley dem Tagesspiegel. „Immer da, wo Aufträge seltener geworden sind, sind die Auftraggeber anfällig für Bestechung.“ Der harte Preiskampf und die Konsumflaute hätten gerade den Handel empfänglicher für korrupte Strukturen gemacht, glaubt die Direktorin an der privaten Steinbeis-Hochschule in Berlin.

Der Branchenverband HDE ist anderer Ansicht. „Die Fälle sind nicht typisch für die betroffenen Unternehmen und für die Branche insgesamt“, sagte Hubertus Pellengahr, Sprecher des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels. „Wir sind nicht die Bauindustrie oder das Entsorgungsgewerbe.“ In jüngster Zeit waren spektakuläre Fälle bekannt geworden, in denen Mitarbeiter von Warenhäusern Geld angenommen hatten, und als Gegenleistung mehr Produkte beispielsweise der Firma Philips abzunehmen und diese im Geschäft besser zu positionieren. Auch das schwedische Möbelhaus Ikea wird derzeit von einem Korruptionsfall erschüttert – hier ist die Bauabteilung der deutschen Niederlassung des Konzerns betroffen.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft hatte in der vergangenen Woche mitgeteilt, sie sei einer größeren Korruptionsaffäre bei deutschen Elektronikhändlern auf der Spur. Vertriebsmitarbeiter des Philips-Konzerns sollen im großen Stil Einkäufer verschiedener deutscher Elektronikmärkte, darunter Media Markt/Saturn, bestochen haben. Gegen mehr als 100 Personen wird ermittelt. Bei Karstadt Sport sollen vier inzwischen entlassene Abteilungsleiter mit Lieferanten überhöhte Preise abgesprochen und Bestechungsgeschenke gefordert haben.

„Große Kunden erwarten, dass Einkäufer Verhandlungsspielräume nutzen und individuelle Absprachen treffen“, sagt Birgit Galley. Was wird wo in den Regalen platziert? Welche Produkte und Marken kommen in die Werbung? Wenn über Mengen und Preise und die so genannten „listing-fees“ (Regalgebühr) im Einzelhandel gesprochen werde, seien die Grenzen zwischen Annehmlichkeiten und Bestechung häufig fließend. „Viele Vertriebsleiter sind mit allen Wassern gewaschen“, weiß Waldemar Baier, Leiter der Konzernrevision bei Rewe.

Da die Hersteller es mit mächtigen Großkunden wie Media Markt oder Karstadt zu tun haben und selten Spielraum bei ihren Preisen sehen, werden eben andere Argumente bemüht: Reisen, Uhren, Tankgutscheine. „Da zahlt mancher Anbieter gerne das Doppelte für einen Auftrag und lässt den Einkäufer daran teilhaben“, sagt Birgit Galley. „Kickback“-Zahlungen nennt man so etwas. Das Nachsehen haben die Kunden: „Bestechungsgelder werden immer auf den Preis aufgeschlagen“, sagt die Korruptionsexpertin.

Aufgedeckt wird Bestechung meist aufgrund von Zufällen. „Entweder die Beteiligten streiten sich ums Geld – oder um die Frauen“, sagt Waldemar Baier von Rewe. Der Handelskonzern hat sich selbst strenge Regeln auferlegt, um Korruption zu verhindern oder ans Licht zu bringen. Baier spricht von „Roten Fahnen“. Alle leitenden Mitarbeiter müssen einen Ehrenkodex unterschreiben, der Teil der Personalakte ist und nach außen zumindest signalisiert: Wir wollen sauber arbeiten.

Im Rahmen des Einkaufs-Controllings werden die Einkäufer zudem systematisch überprüft. Bei wichtigen Lieferantenterminen achtet man außerdem darauf, dass Verhandlungen „unter sechs Augen“ geführt werden, um persönliche Absprachen zu verhindern. „Auf der Führungsebene wäre es am besten, wenn die Manager alle vier bis sechs Jahre die Abteilung wechselten“, sagt Baier. Das helfe, Routine und Nachlässigkeiten vorzubeugen.

Im Fall von Philips und Media Markt/Saturn ist es zu spät. Zusammen mit der Justiz versuchen die Unternehmen derzeit aufzuklären, welche ehemaligen und jetzigen Mitarbeiter in den Bestechungsskandal verwickelt sind. Bei Philips zählt die Staatsanwaltschaft 23 Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt der Vorfälle in den Jahren 2000 bis 2002 beim Elektronikkonzern beschäftigt waren. Mehr als 80 Verdächtige werden Elektronikhändlern und deren Umfeld zugerechnet. „Wir wurden zwar als Einzige genannt“, sagt ein Media Markt/Saturn-Sprecher. „Aber wir sind beileibe nicht der einzige betroffene Elektrohändler.“ Die Affäre, so scheint es, wird weitere Kreise ziehen. Die Justiz spricht von einem der größten Korruptionsfälle im deutschen Elektrofachhandel.

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