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Wirtschaft: Krach zwischen Brüssel und Berlin eskaliert

Die EU-Kommission wirft der Bundesregierung eine „gefährliche Interpretation“ des Stabilitätspaktes vor

Brüssel/Berlin (dri/jh/ink/hst/HB/Tsp). Der Streit zwischen Brüssel und Berlin um die zu hohe deutsche Neuverschuldung ist am Wochenende schärfer geworden: EUWährungskommissar Pedro Solbes übte am Sonntag heftige Kritik an der Haltung von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) zum Maastrichter Stabilitätspakt. Eichels Auslegung sei eine „gefährliche Interpretation“, sagte Solbes, der französischen Wirtschaftszeitung „La Tribune“.

Vorausgegangen war dieser Attacke ein Angriff Eichels auf den Stabilitätspakt, der den Euro-Ländern vorschreibt, dass die Neuverschuldung unter drei Prozent des Bundesinlandsprodukts liegen muss. Dagegen verstößt Deutschland seit 2002. Eichel hatte gesagt, dass Deutschland an der Reduzierung seiner Schulden arbeite und dafür ein glaubwürdiges Konzept vorgelegt habe. Deshalb sei es „inakzeptabel“, wenn die Europäische Kommission ihren Kurs gegenüber Deutschland verschärfe. Am kommenden Dienstag steht die deutsche Haushaltspolitik auf der Tagesordnung der Europäischen Kommission.

Solbes sagte: „Wenn es ausreichen würde, dass ein Land sich an den Tisch setzt und diskutiert, um als kooperativ zu gelten und Sanktionen zu vermeiden, wäre das ein anderer Pakt.“ Die Kommission werde nicht zwischen kooperativen und unkooperativen Ländern unterscheiden. Es zählten allein „die Resultate der Haushaltspolitik“, sagte der spanische Kommissar.

Am morgigen Dienstag werde die Kommission daher seinen Vorschlag beschließen, Deutschland genauso wie Frankreich zu behandeln. Danach soll Frankreich gezwungen werden, 2004 sein um konjunkturelle Einflüsse bereinigtes strukturelles Defizit um einen Prozentpunkt zu senken. Da das deutsche Strukturdefizit mit 3,5 Prozent in 2003 niedriger als das französische ausfällt, soll Deutschlands Vorgabe niedriger ausfallen. Nach Angaben aus Regierungskreisen erwägt Solbes eine Verpflichtung, das Defizit um 0,8 Prozentpunkte abzuschmelzen.

Die Auflagen treten allerdings nur in Kraft, wenn ihnen der Rat der Finanzminister zustimmt: Dort könnten sich Deutschland und Frankreich, möglicherweise unterstützt von Italien, gegen die Kommission verbünden. Frankreichs Finanzminister Francis Mer hat zunächst allerdings zugesagt, beim nächsten Treffen der Finanzminister Anfang kommender Woche neue Reformpläne zu präsentieren. Anschließend wäre Eichel am Zug. Die Bundesrepublik wird 2004 nach Schätzungen der Kommission eine Neuverschuldung von 3,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (2003: 4,2 Prozent) verzeichnen.

EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, der vor einem Jahr den Pakt noch als „dumm“ bezeichnet hatte, unterstützt nun Solbes: Der Stabilitätspakt sei kein Gentleman’s Agreement, sondern eine verbindliche Absprache, sagte er der „Welt am Sonntag“. „Regeln ohne Sanktionen existieren im Paradies, aber nicht in Brüssel.“

Brüssel fordert eine Garantie, dass Deutschland 2005 weniger als drei Prozent neue Schulden macht. Deshalb müssten die Reformanstrengungen über die Agenda 2010 der Bundesregierung hinausgehen. Der EU-Vertrag schreibe dies vor. Solbes wird Berlin keine konkreten Steuererhöhungen oder gar den Verzicht auf das Vorziehen der Steuerreform diktieren.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement hatte am vergangenen Freitag bereits angekündigt, dass weitere Reformen „aus meiner Sicht unausweichlich sind“. Clement sagte auf einer Tagung der Bertelsman-Stiftung, der Heinz-Nixdorf-Stiftung und der Ludwig-Erhard-Stiftung, dass die Bundesregierung sowohl bei der Renten-, als auch in der Gesundheitspolitik handeln werde. Die Regierung werde die Rentenberechnung umstellen. Außerdem glaube er, dass das Renteneintrittsalter „ab dem Jahr 2011 auf 67 Jahre steigen muss“, hatte Clement gesagt. Die Bundesregierung hatte sich vor einigen Wochen darauf geeinigt, eine solche Entscheidung noch nicht zu fällen.

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