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Im alten Job. Schritt für Schritt ist Johannes Neuber wieder bei seinem Arbeitgeber eingestiegen.

© Doris Spiekermann-Klaas/Tsp

Krankheit und Arbeiten: Wieder da

In Berlin erkranken 17 000 Menschen jährlich an Krebs. Wer wieder gesund wird, muss plötzlich auch wieder in der Arbeitswelt klar kommen.

Für den Weg in seine Wohnung im vierten Stock brauchte Johannes Neuber fast eine viertel Stunde. Danach musste er sich erst einmal ausruhen. An die Rückkehr an seinen Arbeitsplatz als Softwareentwickler für die VW-Tochter Carmeq war nach einem halben Jahr Krankenhaus gar nicht zu denken.

Johannes Neuber war 32 Jahre alt, als bei ihm Leukämie festgestellt wurde. Auf die Diagnose folgten drei erfolglose Chemotherapien. Erst eine Stammzellentransplantation brachte Erfolg. Neuber galt als geheilt – fühlte sich aber nicht wirklich gesund. „Ich hatte zwar keinen Krebs mehr, war aber lange nicht so fit wie vor der Erkrankung“, sagt der heute 34-Jährige.

Wie ihm geht es vielen Menschen in Berlin. Laut der Berliner Krebs-Gesellschaft erkranken hier im Jahr etwa 17 000 Menschen neu an Krebs. Wem es gelingt, die Krankheit hinter sich zu lassen, findet sich plötzlich in ganz anderen Lebensumständen wieder und muss sich neu positionieren, auch beruflich.

Johannes Neuber stürzte zunächst in eine tiefes Loch. In dieser Phase stieß er durch einen Tagesspiegel-Artikel auf die Selbsthilfegruppe „Zurück ins Leben nach Krebs“. Dort bekam er Unterstützung (siehe Kasten). „Unsere Mitglieder sind zwischen Ende 20 und Anfang 50. Der berufliche Wiedereinstieg ist für sie ein wichtiges Thema“, sagt Mitgründerin Sabine Schreiber. Sie hat selbst eine Leukämieerkrankung überlebt. „Das Umfeld erwartet, wenn der Krebs besiegt ist, dass man gesund ist und wie früher funktioniert“, erklärt sie. Die Realität sieht anders aus.

Bevor sie Krebs bekam, arbeitete Sabine Schreiber als Referentin bei der Europäischen Kommission. Während ihrer 13-monatigen stationären Chemo hatte sie den Kontakt zu ihrem Arbeitgeber gehalten. „Das gab mir Kraft und tat mir gut“, sagt sie. Doch nachdem sie ein gutes Jahr wieder dabei war, stellte sich bei ihr die Fatigue nach Krebs ein, ein Erschöpfungssyndrom, das sie nur sehr eingeschränkt belastbar machte. Ihren Job musste sie wieder aufgeben. „Es war sehr schmerzhaft zu begreifen, dass es sich dabei nicht um eine kurze Phase handelt, sondern um eine längere Einschränkung.“

Wer nicht von Null auf Hundert starten kann, hat die Möglichkeit, Schritt für Schritt in den Beruf zurückzukehren – mit dem Hamburger Modell. Dabei wird die tägliche Arbeitszeit nach und nach gesteigert. Während dieser Zeit gilt der Arbeitnehmer weiterhin als arbeitsunfähig und bekommt daher kein Gehalt sondern Krankengeld oder, nach einer Rehabilitationsmaßnahme, Übergangsgeld. Johannes Neuber begann mit zwei Stunden am Tag. Heute arbeitet er 24 Stunden pro Woche an vier Tagen.

Die Hamburger Trainerin und Buchautorin Marion Knaths rät Betroffenen vor dem Wiedereinstieg im Gespräch mit den Vorgesetzten besonders die eigenen Stärken und Leistungen zu betonen. „Wichtig ist es außerdem, die Spielregeln für die Zukunft klar zu definieren“, erklärt sie.

„Ich habe mit meiner Chefin vor meinem ersten Arbeitstag konkret die Rahmenbedingungen abgesteckt“, berichtet auch Johannes Neuber. So erhielt er ein kleineres Büro, um die Ansteckungsgefahr für sein angeschlagenes Immunsystem gering zu halten. Er bekam ein leichtes Projekt ohne Zeit- und Kundendruck zugewiesen. Wenn er sich nicht gut fühlt, kann er Zuhause arbeiten. Auf Dienstreise muss er nur selten gehen. „Ich bekomme sehr gutes Feedback zu meiner Leistung“, sagt der Softwareentwickler. Einige neue Kollegen wissen nicht einmal von seiner Krankengeschichte.

Es sei sehr hilfreich, wenn man einen Mentor für sich gewinne, der sich dafür einsetze, dass man nicht benachteiligt werde und zum Beispiel ein Auge darauf habe, dass Konferenzen oder sonstige Absprachen nicht dann stattfinden, wenn der Zurückgekehrte im Homeoffice arbeitet. Bei Problemen solle man sich an den Betriebsrat oder die Personalabteilung wenden.

Was einem niemand abnehmen könne, sei, auf den eigenen Körper zu hören und, wenn nötig, auch einmal Zuhause zu bleiben, statt geschwächt zur Arbeit zu gehen, sagt Knaths. Denn: Man werde an seiner Leistung gemessen.

Nicht jedem ist es möglich, an seinen alten Arbeitsplatz zurückzukehren. Manche verlieren ihren Job oder müssen ihn aufgeben, weil sie den Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Gekündigt werden darf Betroffenen aber nur unter bestimmten Bedingungen. „Eine lange Krankheit stellt nur dann einen Kündigungsgrund dar, wenn eine Wiedereingliederung zum Beispiel durch das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) nicht erfolgreich war, die Gesundheitsprognose auf lange Sicht negativ ist und die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind“, sagt Jean Abel, Referatsleiter für Individualarbeitsrecht beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Möchte der Arbeitnehmer nicht in seinen Job zurückkehren, hat er die vertraglich festgeschriebene Kündigungsfrist einzuhalten.

Wer weiß, dass er arbeitsfähig ist und sich auf einen neuen Job bewirbt, dem rät Knaths, die überwundene Krankheit weder in der Bewerbung noch im ersten Gespräch zu erwähnen. „Wenn man allerdings gefragt wird, sollte man ehrlich antworten.“ Für größere Unternehmen und öffentliche Einrichtungen könne es auch vorteilhaft sein, einen leistungsfähigen Schwerbehinderten einzustellen, um die gesetzlich festgelegte Quote zu erfüllen.

Johannes Neuber kann sich noch nicht vorstellen, mehr als 24 Stunden pro Woche zu arbeiten, das wäre noch zu anstrengend. Aber sein Job gibt ihm auch Kraft – und das Gefühl, ganz langsam wieder im normalen Leben anzukommen.

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