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Wirtschaft: Kronzeuge im Fall Siemens packt aus

Der Verwalter der schwarzen Konten hat umfangreich ausgesagt. Die Staatsanwaltschaft kommt mit ihren Ermittlungen voran

Berlin - Die Münchner Ermittler durchschauen das komplizierte Geflecht von schwarzen Konten und dubiosen Geldströmen bei Siemens immer besser. Einer der Beschuldigten hat umfangreich ausgesagt und auch schriftliche Unterlagen vorgelegt: Reinhard S., der 40 Jahre bei Siemens war und das Schmiergeldsystem zeitweise verwaltet hat. Ende 2004 schied er als Manager der Telekommunikationssparte Com aus, setzte seine Arbeit aber als Berater bis Anfang 2006 fort und verließ Siemens dann endgültig.

Der potenzielle Kronzeuge wurde aus der Untersuchungshaft entlassen und ist seit Freitag wieder daheim in seinem Reihenhaus am Münchner Stadtrand. Eine der Auflagen: Er darf sich gegenüber Dritten zu dem Fall nicht äußern. Auch seine Anwälte dürfen allenfalls Mutmaßungen anstellen – die haben es allerdings in sich: „Man kann davon ausgehen, dass sich die Bereichsvorstände beim Zentralvorstand abgesichert haben“, sagte ein Anwalt von Reinhard S. dem Tagesspiegel. Und: „Es ist unmöglich, dass die interne Revision und die Buchhaltung nichts von Geldflüssen in dieser Größenordnung merken.“

Die Ermittler kommen bei ihrer Arbeit gut voran. „Am Montag oder spätestens am Dienstag werden wir den neuen Ermittlungsstand veröffentlichen“, sagte der leitende Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld dem Tagesspiegel. Er hatte sich bereits zuvor zuversichtlich gezeigt und von einem „erhärteten Tatverdacht“ gegen Verantwortliche bei Siemens gesprochen.

Einer der zentralen Beschuldigten ist Michael Kutschenreuther: früher Com-Bereichsvorstand, heute Chef der Immobiliensparte Siemens Real Estate und Vizepräsident der Münchner Industrie- und Handelskammer. Um die Jahrtausendwende soll er Reinhard S. die Führung der schwarzen Kassen übertragen haben. Ein interessanter Zeitpunkt: Noch bis Ende 1998 konnten Unternehmen Schmiergeldzahlungen im Ausland von der Steuer absetzen. „Nützliche Aufwendungen“ waren in der Exportnation Deutschland weit verbreitet. Bei Siemens wurde dann offenbar ein neues Schmiergeldsystem entworfen, das zunächst für Griechenland gedacht war.

Im Zusammenhang mit einem Sicherheitssystem für die Olympischen Spiele 2004 in Athen sollen hohe Geldbeträge an Entscheidungsträger des griechischen Innen- und Verteidigungsministeriums geflossen sein. Laut „Spiegel“ erhielt ein früherer Athener Repräsentant des Konzerns jährlich zwischen acht und zehn Prozent des jeweiligen Jahresumsatzes von Siemens Griechenland, um die Geschäfte mit Bargeld zu fördern.

Reinhard S. ist nicht der einzige Beteiligte, der ausgepackt hat. So hat sich Andy Mattes, ein ehemaliger Com-Bereichsvorstand, der mit Haftbefehl gesucht worden war und vor knapp einem Jahr zum US-Computerhersteller HP wechselte, in der vergangenen Woche den Münchner Ermittlern gestellt. Er wurde nach einer umfangreichen Aussage auf freien Fuß gesetzt.

Dass es überhaupt zu Ermittlungen in Deutschland kam, ist vor allem der Staatsanwaltschaft in Liechtenstein zu verdanken, der eine Millionentransaktion aufgefallen war. Doch auch in der Schweiz, Italien und Österreich gibt oder gab es Ermittlungen, die nun in München ausgewertet werden. Nach bisherigen Angaben sollen Siemens-Angestellte mehr als 200 Millionen Euro in ein System von schwarzen Konten abgezweigt haben. In ersten Erklärungen vor gut zwei Wochen hatte die Staatsanwaltschaft die seit 2002 angefallene Schadenssumme auf 20 Millionen Euro beziffert, die über Tarnfirmen und Offshore-Gesellschaften sowie deren Schweizer und Liechtensteiner Konten aus dem Konzern geschleust worden seien.

In einer Woche, am nächsten Montag, tagt der Aufsichtsrat des Konzerns. Geleitet wird die Sitzung von Heinrich von Pierer – dem Mann, der das Unternehmen als Vorstandschef führte, als das System der schwarzen Kassen seine Blütezeit hatte. Das Gremium wird sich über Lehren aus dem Skandal unterhalten. Ein Vorschlag sieht vor, die Korruptionsbekämpfung direkt beim Vorstandschef Klaus Kleinfeld anzusiedeln.

Siemens hatte in der vergangenen Woche erste personelle Konsequenzen aus den Ermittlungen gezogen. Mehrere Mitarbeiter wurden vom Dienst suspendiert, bei denen sich ein „hinreichender Verdacht“ auf ein ungesetzliches Verhalten erhärtet habe. Die Staatsanwaltschaft am Landgericht München I ermittelt nach bisherigen Angaben gegen zwölf aktuelle und frühere Beschäftigte der Com- Sparte unter anderem wegen des Verdachts auf Untreue. Pikant ist, dass offenbar auch Mitarbeiter der Compliance-Abteilung, die eigentlich für die Korruptionsbekämpfung im Konzern zuständig ist, von der Existenz schwarzer Kassen gewusst haben sollen.

Die Ermittler haben viel auszuwerten: Bei der Razzia am 15. November in mehreren Siemens-Büros wurden Zehntausende von Aktenordnern beschlagnahmt und Unmengen von Daten gesichert, die nun von einer Sonderkommission des Landeskriminalamts abgearbeitet werden. Die Staatsanwaltschaft forscht jedoch nicht nur in Siemens-Akten, sondern hat nur zwei Tage nach der großen Razzia Firmenräume bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG durchsuchen lassen. Die Staatsanwaltschaft sehe Verantwortliche des Unternehmens aber lediglich als Zeugen, nicht als Beschuldigte, sagte eine KPMG-Sprecherin.

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