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Ein blauer Simson-Motorroller steht vor einer Ruine.

© IMAGO

Kultmarke Simson: Ein Stück Aufarbeitung

Die Familie Simson kämpfte nach der Wende um die Kultmarke. Jetzt blicken Erben und Treuhand-Vertreter gemeinsam zurück.

Blauer Rauch aus dem Auspuff, urige Form und blecherner Klang: Die Schwalbe, der Zweitakt-Motorroller von Simson, lässt nicht nur Ostdeutsche nostalgisch werden. Mehr als eine Million Stück wurden von dem Kult-Roller gebaut, einige sieht man heute noch fahren. Die Geschichte der Firma reicht weit zurück: Die Brüder Löb und Moses Simson gründeten 1856 in Suhl „Simson & Co“. Sie produzierten Jagd- und Militärwaffen, erst 50 Jahre später kamen Fahrräder und Autos hinzu. Nach dem ersten Weltkrieg profitierte die Familie davon, dass sie im Versailler Vertrag zum „alleinigen Maschinengewehr-Hersteller“ der Wehrmacht erklärt wurde. Um 1918 hatte Simson 3500 Beschäftigte, auch die Weltwirtschaftskrise überstand der Betrieb 1929 gut. Doch dann kamen die Nazis und enteigneten 1935 die jüdische Familie. Die Simsons flüchteten in die USA – wo ihre Nachfahren bis heute leben.

Nach dem zweiten Weltkrieg bekam die Familie durch eine Ausgleichszahlung einen Teil des verlorenen Wertes zurück, die Produktion wurde von DDR- Kombinaten übernommen. Ab 1964 wurde der Motorroller Schwalbe in der Fahrzeugsparte des Unternehmens gebaut. Die Familie wurde damals um ihr Einverständnis gebeten und willigte ein. 1990 sollte Simson nach 54 Jahren privatisiert werden. Die Zeit der Erbengemeinschaft der Simsons schien gekommen: Obwohl der Absatzmarkt Sowjetunion weggebrochen und die Spuren der jahrzehntelangen Planwirtschaft unübersehbar waren, wollte die Familie ins Geschäft kommen. „Wir hatten einen konkreten Plan und wollten die Sport- und Jagdwaffen in den USA vertreiben“, erinnerte sich Dennis Baum, Sprecher der Erbengemeinschaft, vor kurzem während einer Veranstaltung des Jüdischen Museums in Berlin. Baum kam mit seinem Wirtschaftsberater Herbert Warth, um unter anderem mit dem 1990 zuständigen TreuhandMitarbeiter Detlef Scheunert Erinnerungen auszutauschen. Während der Privatisierungsphase lief die Kommunikation ausschließlich über den Familienanwalt und „war durch hitzige Diskussionen geprägt“, so Scheunert.

Detlef Scheunert (links) vertrat die Treuhand, Dennis Baum die Erben.
Detlef Scheunert (links) vertrat die Treuhand, Dennis Baum die Erben.

© Manuel Vering

Nach der Privatisierung bekam die Familie Simson nicht den Zuschlag

Da der Treuhand weder Daten zur Firma Simson aus der Zeit der Nazis, noch aus der DDR vorlagen, war der ursprüngliche Anteil der jüdischen Familie schwer zu bestimmen. „Wir haben deswegen vor Ort alles dokumentiert und aufgenommen“, sagte Simson-Berater Warth. Er schätzte damals den Anteil auf 25 Prozent und setzte auf Tempo, denn „wegen der langsamen Bearbeitung der Treuhand gingen die Unternehmen pleite“, erinnerte sich Warth. Obwohl Simson für Scheunert einer von 110 Privatisierungsfällen war, gab es eine besondere Situation. „Es war schön, dass die Familie Simson einen Teil der Entschädigung wieder investieren wollte, aber wir mussten streng nach Aktenlage entscheiden“, sagte er. „Wir waren nicht für Wiedergutmachung, sondern für Privatisierung zuständig.“ Man habe den Kreis auf sechs Bewerber verkleinert – Simson sei nicht dabei gewesen. Die Angebote der Konkurrenz seien besser gewesen. Und die Wirtschaftsprüfer der Treuhand befanden, dass der Anteil der Familie Simson an der Waffenproduktion nur bei 7,3 Prozent lag. „Außerdem war ein Vorteil für die Konkurrenz, dass die Gespräche viel weniger emotionalisiert waren“, sagte Scheunert. Wirtschaftsberater Warth dagegen kritisierte das Vorgehen der Treuhand: „Wie konnte man ohne jegliche historische Dokumente einen Anteil von 7,3 Prozent ermitteln? Es war ein Kampf der Meinung und nicht der Fakten – deswegen wurden Fakten geschaffen.“

Im Übrigen hätten nur die Erben der Familie Simson ein Konzept gehabt, um die Firma und die Arbeitsplätze zu sichern. „Das hätte die Treuhand wissen müssen“, sagte Warth. Tatsächlich ist die Waffensparte Simson – nachdem ein anderer Investor den Zuschlag bekam – 1993 insolvent gegangen. Die Fahrzeugsparte wechselte noch einige Male den Besitzer und wurde 2003 aufgelöst. Immerhin erhielt die Erbengemeinschaft einen Ausgleich von 18,5 Millionen Euro aus der Treuhand-Kasse.

Im Juli 1990 waren der Privatisierungsbehörde etwa 8500 Betriebe unterstellt, in denen mehr als vier Millionen Menschen arbeiteten. „Die Kosten waren viel zu hoch, wir bekamen politischen Druck aus Bonn“, erinnerte sich Detlef Scheunert. „1993, ein Jahr vor dem Wahlkampf, wollte Helmut Kohl die Treuhand loswerden.“ Im Falle Simson würde er heute womöglich anders entscheiden. „Ich würde heute mehr Spielraum geben, der Investitionsbedarf lag mit 50 Millionen Mark trotzdem weit über dem Gebot der Familie Simson.“ Dennis Baum zeigte sich versöhnlich: „Ich hätte wahrscheinlich länger um das Werk gekämpft, weiß es aber sehr zu schätzen, dass Herr Scheunert heute hier war.“ Er freue sich außerdem über den emotionalen Stellenwert, den das wohl bekannteste Produkt der Firma Simson noch heute innehat. Gemeint ist der DDR-Klassiker Schwalbe, um den es auch in einem Buch der Historikerin Ulrike Schulz geht, die sich mit dem „Unwahrscheinlichen Überleben eines Unternehmens“ beschäftigt hat (Wallstein Verlag).

Manuel Vering

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