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Politischer Zoo. In Berlin drängeln sich die Interessengruppen wie in einem Aquarium. Manchmal geht es tatsächlich um Fische.

© Reuters

Kuriose Lobbyverbände: Die fast machtlosen Exoten im Berliner Polit-Zirkus

Einige große Lobbyisten haben am Koalitionsvertrag mitgeschrieben. Sie haben Macht. Doch was ist mit den anderen der insgesamt 2142 Verbände und Vertreter, die in Berlin umherirren? Ein Besuch.

„Die Politik. Das Heimtier. Das Leben.“ Auf den Punkt brachte es der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF), als er kürzlich zum Parlamentarischen Abend einlud. Motto der Veranstaltung im Berliner Zoo-Aquarium: „Tierisch politisch“. Solche Abende veranstaltet, wer als Lobbyist in der Hauptstadt mitreden will. Zum Beispiel beim Zustandekommen des Koalitionsvertrags.

Das Datum war günstig gewählt, 130 Politiker und Medienvertreter folgten der Einladung der Haustier-Lobby. Den „Showact“ lieferte Kabarettist Piet Klocke. Eine politische Forderung gab es auch: Der 500 Mitglieder zählende ZZF kritisierte das im Koalitionsvertrag enthaltene Importverbot von Wildfängen. Selbiges zerstöre Hobbys wie Aquaristik und Terraristik, „die von Millionen Heimtierbesitzern verantwortungsvoll ausgeübt werden“.

Vom Atomstrom bis zum Zierfisch – das Spektrum der Interessen, die in Berlin von Verbänden, Vereinen, Kanzleien, Agenturen und Unternehmen vertreten werden, wird immer größer. Allein die 787 Seiten lange Liste der beim Bundestag registrierten Verbände und deren Vertreter zählt 2142 Einträge. Häufig verfolgen die Lobbygruppen wirtschaftliche Anliegen. Und der schwarz-rote Koalitionsvertrag zeigt, dass sich die Mühe der Lobbyarbeit auch diesmal gelohnt hat. Vor allem bei den Themen Energie, Verkehr und Frauen ist die Handschrift der jeweiligen Interessengruppen deutlich zu erkennen.

Warum so mancher Lobbyist keinen Einfluss hat

„Von vielen Beteiligten ist zu hören: Diesmal war es besonders schlimm“, berichtet Christina Deckwirth, die das Treiben der Lobbyisten für die Organisation Lobbycontrol beobachtet hat. Weil der Kreis der an den Koalitionsgesprächen Beteiligten besonders groß war – 249 Politiker saßen in den Arbeitsgruppen –, seien auch die Einflussmöglichkeiten der Lobbyvertreter besonders groß gewesen. „Es gab einfach zu viele Personen, die im Vorfeld der Einigung Papiere und Entwürfe in Umlauf bringen konnten“, sagt Christina Deckwirth. Ein ideales Arbeitsumfeld für die Lobbyszene.

Transparency International forderte in dieser Woche die künftige Bundesregierung auf, den Einfluss von Lobby-Gruppen auf Gesetzentwürfe offenzulegen. Die Bürger müssten wissen, wer an welchem Paragrafen mitgeschrieben habe. Wie Transparency hat auch Lobbyismus-Forscher Rudolf Speth eine „zunehmende Professionalisierung“ beobachtet. Der Detailreichtum des Koalitionsvertrages zeige, dass nicht nur politische Experten am Werk waren, sondern auch externe Stichwortgeber. Die Einflüsterer der Parteien sowie der Politiker in Bund und Ländern seien besser ausgestattet als früher, näher an den Entscheidungsträgern dran und direkter mit ihren Auftraggebern verdrahtet, sagt Speth. Besonders kurz – und besser bezahlt – seien die Drähte, wenn sich zum Beispiel große Unternehmen eigene Repräsentanten oder spezielle Public-Affairs-Agenturen in Berlin leisteten, statt Verbände einzuschalten.

Die meisten der beim Bundestag gemeldeten Verbände und Vereine sind finanziell und personell gar nicht in der Lage, die Bundespolitik gezielt zu bespielen. So gedeihen in den Nischen des deutschen Verbändewesens vielerlei Exoten: Der Deutsche Abbruchverband etwa (536 Mitglieder), der sich um Fachunternehmen zur Beseitigung von Bauwerken kümmert. Die Deutsche Standard-Wellensittich-Züchter-Vereinigung (1000 Mitglieder), die über Zucht und Ordnung im Vogelkäfig wacht. Oder die Arbeitsgemeinschaft Rohholzverbraucher (20 Mitglieder), die in ihrem Programm die Punkte „Holzmobilisierung“ und „Navigation im Wald“ auflistet.

Warum der Weihnachtsmann blau ist

„Es gibt ständig neue Interessengruppen“, sagt Lobbyismus-Forscher Speth. „Ein-Mann-Organisationen“ seien häufig Einzelkämpfer ohne Einfluss. Statt die Politik zu bewegen, beschäftigt man sich lieber mit sich selbst. Oder man beschränkt sich auf saisonales Lobbying. „In der Sommerzeit sind wir selten im Einsatz“, räumt Detlef Naumann ein. Er ist Geschäftsführer des Blauer Weihnachtsmann e.V., der auch auf der Bundestagsliste steht. In der ersten Dezember-Woche tritt der gemeinnützige Verein (neun Mitglieder) das erste Mal im Jahr auf. Die „Gleichstellung in der Familie“ ist sein Ziel, wobei man vor allem Männer im Blick habe, wie Naumann erklärt. Sorgerecht, häusliche Gewalt, Kinderbetreuung – „im Moment haben wir eine Veranstaltung nach der anderen“. Auf den Namen kamen die Gründer 2011, als sie an die „Tristesse und Kälte unterm Weihnachtsbaum Alleinerziehender“ dachten. „Deshalb ist unser Weihnachtsmann blau“, sagt Naumann.

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