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Kurzarbeit: Gute Zeiten für Trittbrettfahrer

Kurzarbeit wird derzeit massenhaft von Unternehmen genutzt: Die Genehmigung erfolgt großzügig, Missbrauchsfälle sind wahrscheinlich.

Berlin - Infineon nutzt sie, Daimler auch, Siemens erwägt ihre Verdopplung – die Kurzarbeit ist gefragt wie nie. Bereits für fast 1,5 Millionen Arbeitnehmer haben die Unternehmen seit Oktober vergangenen Jahres vorsorglich konjunkturelles Kurzarbeitergeld angezeigt. Das sind so viele wie seit Mitte der neunziger Jahre nicht mehr. Genau so hat es die Bundesregierung gewollt, die mithilfe des staatlich geförderten Instruments die Zahl der Entlassungen in diesem Wahljahr niedrig halten will. Doch es häufen sich die kritischen Stimmen, die vor einem möglichen Missbrauch des Instruments warnen.

Josef Schlarmann, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der Union, ist einer der Skeptiker. „Die jetzige Regel lädt Trittbrettfahrer regelrecht dazu ein, das Instrument zu missbrauchen“, sagte Schlarmann dem Tagesspiegel. Grundsätzlich befürwortet der Politiker das Instrument Kurzarbeit zwar, seine Kritik zielt aber auf die Konjunkturmaßnahmen der Bundesregierung ab, mittels derer die Regeln für Kurzarbeit gelockert wurden. So wurde der Antragsprozess für Unternehmer stark vereinfacht. Inzwischen reicht es, wenn lediglich einem Mitarbeiter eines Betriebs ein Gehaltsausfall von mehr als zehn Prozent droht. Vorher musste mindestens ein Drittel der Belegschaft davon betroffen sein.

Außerdem ist die maximale Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes verlängert worden. Statt zwölf Monate, zahlt die Bundesagentur für Arbeit (BA) mittlerweile bis zu 18 Monate zwischen 60 bis 67 Prozent des ausgefallenen Lohns. 2,1 Milliarden Euro sind dafür in diesem Jahr eingeplant. „Mit dem neuen Kurzarbeitergeld kann sich der Arbeitgeber ohne Sozialplan anderthalb Jahre vom Arbeitnehmer verabschieden“, warnt Schlarmann. „Das ist eine Zweckentfremdung des Kurzarbeitergeldes.“ Die Arbeitslosenstatistik werde geschönt.

Andere Beobachter verweisen darauf, dass Unternehmen die Gunst der Stunde nutzen könnten, um sich in auftragsschwachen Phasen subventionieren zu lassen. „Die zuständigen Sachbearbeiter in den Arbeitsagenturen haben in diesen Tagen so viel zu tun, da kann schon mal ein Antrag durchgehen, der zwar formal aber nicht der Sache nach den gesetzlichen Bestimmungen genügt“, sagt Hilmar Schneider, Direktor am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Voraussetzung für Kurzarbeit ist nämlich auch, dass der Arbeitsausfall wirtschaftlich begründet und nur vorübergehend ist. Es sei einfach, Firmenunterlagen zu manipulieren und damit eine schlechte Auftragslage vorzutäuschen, meint Schneider. Die Mitarbeiter in den Arbeitsagenturen seien schließlich keine professionellen Wirtschaftsprüfer.

Selbst bei der Nürnberger BA räumt man ein: „Mitnahmeeffekte lassen sich nie ganz ausschließen“, sagt Sprecherin Ilona Mirtschin. Welche Dimension der Missbrauch haben könnte, vermag sie indes nicht zu sagen. Die Arbeitsagenturen führten keine Statistik über abgewiesene Anträge, erklärt sie. Auch Unions-Politiker Schlarmann wagt daher keine Schätzung. Allerdings vermutet er, dass vor allem Branchen, die am stärksten vom Abschwung betroffen sind – etwa die Automobilindustrie – am ehesten in Versuchung geraten könnten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen.

Der Verdacht lag bereits bei Volkswagen nahe. Ende Februar schickte der Konzern 65 000 Beschäftigte für eine Woche in die Kurzarbeit, gleichzeitig aber verbuchten die Wolfsburger dank der Abwrackprämie einen Auftragsboom. So müssen Kunden inzwischen teilweise Monate auf ihr neues Auto warten. Die BA prüfte den Vorgang, fand jedoch keine Hinweise für eine ungerechtfertigte Zahlung von Kurzarbeitergeld.

Für FDP-Vize Rainer Brüderle ist das Thema damit aber noch nicht vom Tisch. „Bundesregierung und Automobilindustrie haben hier ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das Ganze sieht nach einem Mitnahmemodell auf Kosten des Steuerzahlers aus“, kritisiert er. Kurzarbeit und lange Lieferfristen passten nicht zusammen. „Es gibt hier dringenden Handlungsbedarf“, meint der Liberale.

Das Bundesarbeitsministerium hält die Bedenken jedoch für unbegründet. Es lägen bis heute keinerlei Hinweise auf Missbrauchsfälle vor. Auch werde jeder einzelne Fall sorgfältig geprüft. Bei der BA verweist man zusätzlich darauf, dass in manchen Agenturen der Bestand an Personal aufgestockt worden sei, um die Flut von Anträgen bewältigen zu können. Sollte ein Mitarbeiter tatsächlich einmal feststellen, dass ein Unternehmen Kurzarbeit missbräuchlich genutzt habe, erklärt Sprecherin Mirtschin, müsse das Geld zurückgezahlt werden.

Auch IZA-Direktor Schneider sieht Chancen dafür, dass die Zahl der Missbrauchsfälle nicht rasant in die Höhe schnellt. „Es wird immer wieder Mitarbeiter geben, die das nicht mit sich machen lassen und den Behörden Bescheid geben werden“, hofft der Experte. Unions-Politiker Schlarmann ist da weniger optimistisch. „Im Verlauf der Krise wird Kurzarbeit weiter zunehmen. Die Zahl der Missbrauchsfälle auch.“ Mitarbeit: has

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