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Zufrieden oder glücklich? In Kleingruppenhaltung hat jedes Huhn eine Stange, einen Eiablagebereich – und trotzdem nur den Platz von eineinhalb Din-A4-Seiten. Foto: dapd

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Landwirtschaft: Die Käfig-Krise

Die alten Legebatterien sind in Deutschland inzwischen verboten. Doch auch die Hühnerhaltung in Kleingruppen ist unter Politikern und Verbänden umstritten.

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Berlin - „Unsere Hühner sind zufrieden“, sagt Stephanie Meiners-Funke, Geflügelzüchterin aus dem Emsland, und beschreibt einen Tag im Leben ihrer Hennen: Erst pflegen sie ihr Gefieder, dann futtern sie, anschließend legen sie ein Ei, nehmen ein Sandbad und futtern – bis zur Nachtruhe. Das klingt gemütlich.

Weniger gemütlich ist, dass die Tiere tagaus, tagein in Käfigen sitzen. Gerade einmal 890 Quadratzentimeter hat jedes Huhn hier Platz – das sind eineinhalb Din-A4-Seiten. Die Käfige haben eine Sitzstange, einen Bereich zur Eiablage und zum Scharren. Doch das versöhnt Tierschützer nicht: Die sogenannte Kleingruppenhaltung mache aus den Tieren verhaltensgestörte Monster, die ihren Artgenossen Federn ausreißen und sie zu Kannibalen werden lassen, sagt der Deutsche Tierschutzbund. Sein Plädoyer an die Politik: Die Käfige müssen weg.

Kurz vor Ostern ist die Debatte um die Haltung der Legehennen erneut entbrannt. Gekämpft wird gleich an zwei Fronten. In Deutschland machen nicht nur die Tierschützer mobil gegen die Bundesregierung. Auch die Agrarminister der Bundesländer wollen per Verordnung ein verbindliches Ausstiegsdatum für die Kleingruppenhaltung festlegen. In Ländern wie Spanien, Frankreich, Holland oder Polen wären die deutschen Kleingruppenkäfige dagegen ein Fortschritt.

Hier gibt es noch die alten Legebatterien. In denen hat ein Huhn 550 Quadratzentimeter Platz, also weniger als ein Din-A4-Blatt. In Deutschland sind diese Käfige seit 2010 verboten, in der restlichen EU seit Anfang dieses Jahres. Doch 13 europäische Länder haben das Verbot bislang missachtet, rund 46 Millionen Hühner hausen dort nach wie vor in den Legebatterien.

Das will die EU nicht hinnehmen. Im Januar hat EU-Verbraucherkommissar John Dalli die Mitgliedsstaaten schriftlich ermahnt. Bis Mitte März müssten die Regierungen verbindlich erklären, wie sie das Käfigverbot umsetzen wollen. „Falls nötig, folgt der zweite Schritt“, sagte Dallis Sprecher Frédéric Vincent dem Tagesspiegel. Eine wirkliche Drohung ist das allerdings nicht. Innerhalb von zwei Monaten müssen die Staaten dann die nötigen Maßnahmen treffen, um der Richtlinie nachzukommen. Wie auch immer.

Doch trotz der Säumnis zeigt das EU-weite Verbot der Käfighaltung Wirkung. Bei uns. Denn Käfigeier dürfen seit Jahresanfang nicht mehr nach Deutschland importiert werden. Das hat Konsequenzen. Den Lebensmittelproduzenten fehlen Eier für ihre Kuchen, Kekse und Nudeln. Der fehlende Nachschub treibt die Preise für Eier in die Höhe. „Im vergangenen Jahr hat die Industrie 80 Cent für ein Kilo Käfigeier gezahlt“, weiß Caspar von der Crone, Geschäftsführer des Vereins für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen (Kat), der Geflügelbetriebe kontrolliert. „Jetzt kostet das Kilo zwei Euro“. Ein Kilo entspricht rund 17 Eiern, macht knapp 12 Cent pro Ei. Damit zahlt die Industrie mehr als der Verbraucher im Laden. Gerade einmal 1,09 Euro muss der beim Discounter für den Zehnerpack Eier aus Bodenhaltung ausgeben, 1,39 Euro für Eier von freilaufenden Hühnern, nur Bio-Eier sind mit einem Stückpreis von 25 Cent deutlich teurer.

Bäcker warnen vor Engpässen

Der Verband Deutscher Großbäckereien warnt vor Versorgungsengpässen, einige Fertigkuchenhersteller würden bereits überlegen, weniger Eier in ihre Kuchen zu rühren. Die Lage sei „dramatisch“, mahnt auch der Verband der Teigwarenhersteller. Die Verbände wollen die EU-Kommission um Hilfe bitten. „Wir wollen klären, ob die EU den noch hinterherhinkenden Betrieben Hilfestellung für eine schnellere Umrüstung geben kann“, sagt Armin Juncker, Hauptgeschäftsführer des Großbäckereien-Verbands.

Doch in Brüssel beißen die Verbandsvertreter auf Granit. „Es ist nicht unsere Absicht, die zu belohnen, die die nötigen Investitionen unterlassen haben“, sagte Roger Waite, Sprecher von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos. Im Gegenteil: Der sinkende Nachschub sei ein klares Zeichen dafür, dass die Regeln respektiert würden und die Mitgliedsstaaten sicherstellten, dass keine illegalen Eier auf den Markt kommen. Waite rechnet damit, dass in der EU in diesem Jahr 2,5 Prozent weniger Eier produziert werden als 2011. Die Verbraucher könnten aber dafür sicher sein, dass die Tiere besser gehalten werden.

Anders als die Industrie haben die Verbraucher ohnehin nichts zu befürchten, glaubt von der Crone: „Niemand muss auf sein Osterei verzichten.“ Weil der Handel lang laufende Lieferverträge mit den Produzenten habe, werde es genügend Eier in den Läden geben, auch Preiserhöhungen seien nicht zu befürchten. Die Supermarktkette Netto-Marken-Discount allerdings hat den Verkauf von Eiern in den Filialen entlang der tschechischen Grenze bereits eingeschränkt. Grund seinen Hamsterkäufe tschechischer Kunden. Dort sind die Preise gestiegen, weil die Lieferungen aus Polen ausbleiben.

Stephanie Meiners-Funke verkauft ihre Käfigeier nicht im Supermarkt, sondern nur im regionalen Einzelhandel und auf dem Wochenmarkt. Seit 50 Jahren züchtet die Familie auf ihrem Hof im niedersächsischen Spahnharrenstätte Hühner. 2007 haben die Meiners ihren Betrieb von der Käfig- auf die Kleingruppenhaltung umgerüstet. Eine Million Euro hat sie das gekostet. Würde die Kleingruppenhaltung jetzt wieder abgeschafft, müssten sie erneut umbauen und komplett zu Boden- oder Freilandhaltung wechseln. „Das würde bestimmt noch einmal so viel kosten“, sagt Stephanie Meiners-Funke. „Das wäre eine finanzielle Belastung, die für uns kaum zu bewältigen ist.“ 34 000 Legehennen hat der Betrieb, 30 000 davon leben in der Kleingruppe, die übrigen in Freilandhaltung.

Auch Dieter Schweers, der den Geflügelhof Onken in Bockhorn, Friesland, führt, verkauft seine Eier aus der Kleingruppe fast ausschließlich auf dem Wochenmarkt. „Da ist die Nachfrage so groß, dass wir oft sogar noch Eier zukaufen müssen“, berichtet er. Verbraucher, die ihre Eier auf dem Markt kaufen, unterscheiden meist: Das Frühstücksei soll aus Freilandhaltung sein, zum Backen kaufen sie dagegen die billigeren Eier aus Kleingruppen.

Doch die Agrarminister in den deutschen Bundesländern möchten die Differenzierung aufheben und die Kleingruppenhaltung abschaffen. Spätestens im Jahr 2023 soll Schluss sein, beschloss der Bundesrat kürzlich. Dagegen hatte Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) vorgeschlagen, die Kleingruppenhaltung aus Rücksicht auf die Investitionen der Geflügelhalter erst 2035 auslaufen zu lassen. Das Ausstiegsdatum 2023 hält die Ministerin aus verfassungsrechtlichen Gründen für unzulässig, einen neuen Vorschlag will sie aber nicht vorlegen. „Damit sind die Länder nun zunächst selbst gefordert, die notwendigen Regelungen zu treffen“, sagte eine Sprecherin Aigners. Doch die wollen das nicht. „Wir brauchen eine bundeseinheitliche Lösung und keinen Flickenteppich“, sagt Stefanie Lotz, Sprecherin der rheinland-pfälzischen Agrarministerin Ulrike Höfken (Grüne). Das Verhalten des Bundes bewege sich an der „Grenze zur Arbeitsverweigerung“, findet man im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium, dem Land mit der größten Eierproduktion.

Zweierlei Maß.
Zweierlei Maß.

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Das Problem: Kommt es nicht bald zu einer Einigung, steuert Deutschland auf ein Chaos zu. Denn die geltende Verordnung läuft am 31. März aus. Das ist die Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das die bestehende Regelung im Jahr 2010 aus formalen Gründen für verfassungswidrig erklärt hatte. Konsequenz: Geflügelbetriebe hätten ab dem 1. April keine rechtliche Grundlage mehr für die Haltung ihrer Tiere.

Züchter wie Schweers und Meiners verteidigen die Kleingruppe: „Wir müssen den Hühnern in der Kleingruppe weniger Medikamente geben“, sagt Schweers, der 42 000 Hühner hält, 35 000 davon in der Kleingruppe. Freilandhühner seien anfälliger für Infektionen, weil sie mit ihrem eigenen Kot in Berührung kommen. Außerdem müssten sie öfter entwurmt werden. Die Kleingruppe als Beitrag zum Tierschutz? Caspar von der Crone sieht das anders: „Wir wollen nicht, dass die Hühner in Käfigen sitzen“, sagt er – egal, ob das Huhn dort 500 oder 900 Quadratzentimeter Platz habe.

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