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Im Alter. 750 000 Menschen ziehen im Alter in ein Pflegeheim, weil sie auf Hilfe angewiesen sind. Sie sollten ihre Rechte kennen.

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Leben im Altersheim: Kein pfleglicher Umgang

Heimverträge sind oft mangelhaft, zeigt eine Untersuchung der Verbraucherzentralen. Wann Senioren sich wehren sollten.

Von Carla Neuhaus

An manchen Tagen sitzt Helga Schulze stundenlang im Speisesaal des Seniorenheims. Nicht weil es ihr dort so gut gefällt. Sondern weil sie trotz ihres Rollators schlecht laufen kann und sich den weiten Weg zurück in ihr Zimmer alleine nicht zutraut. Bis jedoch jemand vom Pflegepersonal Zeit hat, sie zu begleiten, dauert es. Deshalb ist sie froh, als ein Zimmer in der Nähe des Speisesaals frei wird. Die 87-Jährige zieht um. Erst später fällt ihrer Familie auf, dass das Heim dafür monatlich 600 Euro mehr in Rechnung stellt – und das, obwohl das neue Zimmer dem alten gleicht: Es hat die gleiche Größe und Ausstattung, selbst die Aussicht aus dem Fenster ist ähnlich. Aus beiden Zimmern blickt die Seniorin auf den Supermarkt gegenüber. Gudrun Schulze, die Schwester der Heimbewohnerin, ist sauer. „Das ist doch unverschämt“, sagt sie. Weil der Streit mit der Pflegeeinrichtung bis heute nicht beigelegt ist, wollen die beiden Schwestern ihre richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen.

„Der Fall ist sehr typisch“, sagt Petra Hegemann von der Verbraucherzentrale Berlin. Wenn Angehörige oder Bewohner sich mit der Pflegeheimleitung streiten, gebe es nur selten eine schnelle Einigung. Häufig ziehe sich der Streit über Monate hin. Hinzu kommt, dass nur die wenigsten den Mut aufbringen, überhaupt aktiv zu werden. Denn wer in einer Pflegeeinrichtung lebt, ist auf Hilfe angewiesen. Die Hemmschwelle, sich gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr zu setzen, ist hoch. Hegemann glaubt, dass der Fall der beiden Schwestern nur einer von vielen ist. „Es kann durchaus sein, dass es anderen in dieser Einrichtung ähnlich ergeht“, sagt sie, „nur trauen sie sich nicht, etwas zu sagen.“

Warum viele Verträge mangelhaft sind

Dabei gäbe es dafür allen Grund. Von 25 Verträgen, die die Verbraucherzentrale Berlin stichprobenartig überprüft hat, hat sie bei 22 Mängel entdeckt. Mal wurde den Angehörigen zu wenig Zeit gelassen, um das Zimmer nach dem Tod des Bewohners zu räumen. Ein anderes Mal wurde die Nutzung von Waschmaschine und Trockner gleich doppelt in Rechnung gestellt. Oder es wurde zu vielen Menschen Zutritt zum Wohnraum der Senioren eingeräumt.

Das Problem: „Nur die wenigsten kennen überhaupt ihre Rechte“, sagt Hegemann. Tätig werden sie nur dann, wenn die Ungerechtigkeit kaum übersehbar ist. Die Verbraucherschützerin berichtet zum Beispiel von einem Rollstuhlfahrer, der zur Kurzzeitpflege in einem Heim untergebracht war. Dessen Leitung forderte kurz darauf Schadenersatz von ihm, weil er mit seinem Rollstuhl durch scharfes Bremsen Spuren auf dem Boden hinterlassen hatte. Erst als die Verbraucherzentrale sich einschaltete, nahm sie von ihrer Forderung Abstand.

Was im Gesetz steht

Dabei wollte die Bundesregierung die Rechte der Bewohner von Pflege- und Behinderteneinrichtungen stärken – und hat deshalb vor fünf Jahren das Heimgesetz durch das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz ersetzt (WBVG). Aber das wissen bis heute die wenigsten Betroffenen. „Selbst viele Anwälte kennen den Inhalt des Gesetzes nicht“, sagt Hegemann.

Das Gesetz greift immer dann, wenn der Vertrag über die Pflege mit dem Mietvertrag verbunden ist. Das ist bei einem Zimmer im Altenheim so, kann aber auch bei einem Apartment für betreutes Wohnen oder einer Wohngemeinschaft für Senioren oder Behinderte der Fall sein. Senioren gelten dann als besonders schützenswert – und haben deshalb mehr Rechte als normale Mieter. Zum Beispiel muss die Einrichtung die Pflegebedürftigen vor Vertragsunterschrift darüber informieren, wie der Medizinische Dienst ihre Qualität einstuft oder wie sich die Kosten im Detail zusammensetzen. „Die Verbraucher müssen darüber aufgeklärt werden, welche Leistungen der Vertrag konkret umfasst“, sagt Hegemann. Theoretisch klingt das gut, nur sieht die Praxis oft anders aus.

Welche Probleme es in der Praxis gibt

Im Alter. 750 000 Menschen ziehen im Alter in ein Pflegeheim, weil sie auf Hilfe angewiesen sind. Sie sollten ihre Rechte kennen.
Im Alter. 750 000 Menschen ziehen im Alter in ein Pflegeheim, weil sie auf Hilfe angewiesen sind. Sie sollten ihre Rechte kennen.

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„Die Verträge sind häufig sehr lang und kompliziert formuliert“, sagt Heiko Dünkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Hinzu kommt, dass Pflegebedürftige und Angehörige kaum einschätzen können, welche Klauseln angemessen sind und welche nicht. Viel zu oft unterschreiben sie einfach. Das ist fatal. „Wir finden in fast allen Verträgen Fehler“, sagt Dünkel. In den letzten drei Jahren hat er 100 Unterlagen geprüft und 30 Unterlassungsverfahren gegen Anbieter eingeleitet, weil ihre Klauseln die Pflegebedürftigen benachteiligen. So nehmen viele Heime nicht nur die Pflegebedürftigen in die Pflicht, sondern auch deren Angehörige: Sie sollen eine Schuldbeitrittserklärung unterschreiben, mit der sie einspringen, falls der Heimbewohner nicht zahlen kann. Rechtlich ist das umstritten.

Was im Todesfall passiert

Wichtig ist zudem, sich genau anzuschauen, was im Todesfall passiert – auch wenn daran bei Vertragsunterschrift weder die Pflegebedürftigen noch die Angehörigen gerne denken. Denn während der Vertrag für eine herkömmliche Mietwohnung nach dem Tod weiterläuft, endet der Vertrag mit dem Pflegeheim sofort. Die Angehörigen setzt das oft unter Zugzwang. So berichtet Dünkel von Fällen, in denen Angehörige das Zimmer der Verstorbenen bereits am Folgetag räumen sollten. Tun sie das nicht, lassen die Heime das Hab und Gut einlagern und stellten die Kosten dafür den Angehörigen in Rechnung. Darauf weisen sie im Kleingedruckten im Vertrag hin. „Solche Klauseln sind intransparent und verstoßen gegen die Pietät“, sagt Dünkel. „Zum einen steht im Vertrag in der Regel nicht drin, wie die Sachen eingelagert werden und was das kostet“, sagt Dünkel. „Zum anderen müssen die Heime den Angehörigen für die Räumung des Zimmers wenigstens eine angemessene Frist setzen.“

Was im Kleingedruckten steht

Vertraglich festhalten sollten Heimbewohner auch, was passiert, wenn sie für einige Zeit ins Krankenhaus müssen. Denn sind die Pflegebedürftigen vorübergehend abwesend, müssen sie nicht den vollen Satz fürs Heim zahlen. Allerdings nehmen viele Einrichtungen das wörtlich – und fordern von den Angehörigen die Miete in voller Höhe, wenn die Bewohner im Krankenhaus sterben. Schließlich waren sie ja dann nicht nur „vorübergehend“ dort. Auch bei Zusatzleistungen werde häufig getrickst, sagt Dünkel. So würden viele Einrichtungen Namensschilder in die Kleidung der Bewohner einnähen, um sie beim Waschen auseinander halten zu können – und das dann separat in Rechnung stellen. „Dabei ist die Besorgung der Wäsche bereits im Rahmenvertrag geregelt“, sagt Dünkel.

Die beiden Schwestern aus Berlin wollten sich mit dem höheren Entgelt nicht abfinden. „Wir ziehen den zu viel bezahlten Betrag jetzt jeden Monat eigenständig von der Rechnung ab“, sagt Gudrun Schulze. Das machen sie bereits seit einigen Monaten so. Bislang erfolgreich.

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