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Massenweise. Der Erfolg auf dem Weltmarkt bringt den Deutschen Kritik ein – doch sie argumentieren, dass das Exportplus auch den Nachbarn hilft. Foto: Reuters

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Wirtschaft: Leben im Überschuss

Deutsche Ausfuhren übertreffen Importe um 20 Milliarden Euro – das könnte die EU auf den Plan rufen.

Berlin - Immerhin, Mario Draghi steht auf der Seite der Deutschen. „Wir müssen sicherstellen, dass die anderen Staaten ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken, damit sie so wettbewerbsfähig werden wie Deutschland“, sagte der Präsident der Europäischen Zentralbank am Freitag. Ein Allerweltszitat des obersten Währungshüters – hätte nicht das Statistische Bundesamt kurz zuvor überraschende Zahlen gemeldet: Deutschlands Außenhandelsüberschuss war demnach im September so hoch wie noch nie. In einem einzigen Monat lag die Differenz zwischen Export und Import erstmals bei mehr als 20 Milliarden Euro. Das gab der Debatte Schub, ob Deutschland mit seiner Exportstärke nicht der Weltwirtschaft schade.

Für 94,7 Milliarden Euro verkaufte die deutsche Wirtschaft Waren ins Ausland, vornehmlich an EU-Partner. Das war ein Plus von 3,6 Prozent. Gleichzeitig schrumpften die Importe um 0,3 Prozent auf 74,3 Milliarden Euro. Der bisherige Außenhandels-Rekord stammt aus dem Juni 2008.

Ein starker Fürsprecher wie Draghi ist angesichts der Kritik am deutschen Erfolg nicht übel. Denn die USA monieren, dass der vergleichsweise schwache Konsum der Deutschen und ihr großer Exporterfolg die wirtschaftliche Entwicklung der Euro-Zone und der Weltwirtschaft bremse. Mit einer stärkeren Nachfrage, etwa über höhere Löhne und Staatsausgaben, könne Deutschland die Stabilität der Weltwirtschaft stärken. Auch die Europäische Union stört sich am deutschen Geschäftsmodell. Wirtschaftskommissar Olli Rehn will in der kommenden Woche erklären, ob er die Lage in der Bundesrepublik näher untersuchen lässt. Im schlimmsten Fall drohen Deutschland am Ende eines Verfahrens empfindliche finanzielle Sanktionen.

Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte, die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse seien „Ausdruck der starken Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und der internationalen Nachfrage nach qualitativen Produkten aus Deutschland“. Die Überschüsse seien das Ergebnis wirtschaftlichen Handelns und würden nicht durch staatliche Eingriffe begünstigt. Überdies sprängen die Investitionen hierzulande wieder an, und der private Konsum nehme zu.

Ähnlich argumentierte die Industrie. Auch andere EU-Staaten profitierten von den deutschen Exporterfolgen, erklärte der Bundesverband der deutschen Industrie. Während die deutschen Exporte insgesamt 2013 bislang geschrumpft seien, hätten die Einfuhren aus den EU-Ländern nach Deutschland leicht zugelegt. „Wir stabilisieren die Länder um uns herum“, sagte Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverbandes BGA. Eine künstliche Schwächung der deutschen Exportstärke wäre nicht mehr als kurzfristige Kosmetik und ginge nach hinten los, fügte er hinzu.

Oliver Holtemöller, Konjunkturchef am Institut für Wirtschaftsforschung Halle, hält die Entwicklung einerseits für unbedenklich. „Für ein Land mit alternder Bevölkerung ist es sinnvoll, einen Überschuss in der Leistungsbilanz zu haben“, sagte er dem Tagesspiegel. Umgekehrt sei für Entwicklungs- und Schwellenländer mit einer wachsenden Bevölkerung und technologischem Nachholbedarf ein Defizit normal. „Mich irritiert aber, dass der deutsche Überschuss immer weiter wächst“, befand der Ökonom. Es bestehe die Gefahr, dass die damit verbunden Kapitalexporte in riskante Anlagen fließen – so wie es etwa vor der Euro-Krise bei den Anlagen im spanischen Immobiliensektor war. Auch müsse man beobachten, ob dem Überschuss übermäßige Defizite in einzelnen Ländern gegenüberstehen. „Deshalb ist es sinnvoll, dass sich die EU die deutschen Zahlen anschaut und die Ursachen für die Entwicklung untersucht.“

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