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Lebensmittel: Etikettenschwindel mit der Nähe

Lebensmittel aus der Region sind gefragt. Doch der Begriff ist nicht geschützt. Das soll sich jetzt ändern.

Butter muss rein, Mehl natürlich auch, Rosinen, Zitronat, Mandeln und noch vieles mehr. Alles fein vermengt ergibt ein Backwerk, das nicht einfach irgendein Kuchen ist, sondern „ein bedeutendes kulinarisches Erbe“, wie Henry Mueller sagt. Der Bäcker, der in Dresden einen kleinen Familienbetrieb hat, gehört zu denen, die dieses Erbe verteidigen. Als Chef des „Schutzverbands Dresdner Stollen“ sorgt Mueller nicht nur dafür, dass sich die Bäcker in seiner Heimat an die traditionellen Rezepte halten, sondern verhindert auch, dass Backbetriebe in Berlin oder Bremen ihre Stollen als Dresdner ausgeben. „Es gibt immer wieder Ärger“, erzählt Mueller, dann muss der Anwalt ran. Dass der Dresdner Stollen als Marke geschützt ist, sei vielen nicht klar. „Aber wer koffeinhaltige Limonade braut, kann ja auch nicht einfach Coca-Cola draufschreiben.“

Wie der Dresdner Stollen sind auch das Kölsch oder der Schwarzwälder Schinken rechtlich geschützt. Doch das sagt weniger aus, als die meisten Verbraucher glauben, warnt Armin Valet, Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg. Für den Schwarzwälder Schinken etwa – eine nach EU-Recht „geschützte geographische Angabe“ – reicht es, wenn der Schinken im Schwarzwald gewürzt, gepökelt und geräuchert wird. Woher das Fleisch kommt, ist egal. Beim Parmaschinken ist das anders. Hier müssen auch die Schweine in der Region gelebt haben – ein „Riesenunterschied“ sei das, sagt Valet, „doch wer weiß das schon?“

Noch verwirrender ist die Lage aber dann, wenn Hersteller oder Händler versprechen, dass die Ware „aus der Region“, „von hier“ oder aus der „Heimat“ kommt. Damit treffen sie zwar den Nerv vieler Kunden. Zwei Drittel der Deutschen möchten Lebensmittel aus ihrer Region, hat eine Forsa-Umfrage ergeben. Aber: Wo beginnt die Region und wo endet sie? Verbindliche Regeln dafür gibt es bislang nicht.

Und so machen Handel und Hersteller was sie wollen, wie eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Hessen zeigt. Die Verbraucherschützer hatten sich im Mai dieses Jahres die Werbeslogans des Handels genauer angesehen. Ihr Fazit: Bei rund 90 Prozent der vermeintlichen Regionalprodukte war völlig unklar, woher die Rohstoffe kommen. Bei griechischem Feta und französischen Zwiebeln („aus unserer Region“) muss man jedoch kein As in Geografie sein, um den Etikettenschwindel zu bemerken. Den gibt es aber nicht nur in Hessen. Von 53 „Regional“-Erzeugnissen, die „Öko-Test“ kürzlich deutschlandweit einkaufen und testen ließ, verdienten gerade einmal 14 die Bezeichnung wirklich.

So kommt das Obst für die neuen Hohes-C-Obstsäfte „heimische Früchte“ nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Österreich und – wegen der beigefügten Acerola – sogar aus Südamerika. Bei Eckes-Granini findet man das in Ordnung, weil die Quitten, Äpfel, Birnen oder Johannisbeeren, die den Säften den Geschmack geben, eben auch in Deutschland vorkommen. Für die Campina-Marke „Mark Brandenburg“ geben keinesfalls nur Kühe aus Brandenburg ihre Milch, echter „Amrumer Honig“ wird in Frankreich hergestellt, das Dressing „Sylter Salatfrische“ in Neu-Wulmstorf bei Hamburg.

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) will dem jetzt ein Ende machen. „Für viele Verbraucher ist die regionale Herkunft heute ein entscheidendes Kaufargument“, sagte Aigner dem Tagesspiegel. „Die Menschen wollen wissen, woher ihr Essen kommt, wo die Tiere aufgezogen wurden und auch, womit sie gefüttert wurden.“ Die Ministerin verlangt mehr Ehrlichkeit: „Wo regional drauf steht, muss auch regional drin sein. Bei der Kennzeichnung, ,Aus der Region’ darf es sich nicht um einen reinen Werbegag handeln“, fordert Aigner und will nun Kriterien für eine Regionalkennzeichnung auf den Weg bringen. Dabei sollen die Bundesländer, die Land- und Ernährungswirtschaft, der Lebensmitteleinzelhandel und die Verbraucherorganisationen einbezogen werden.

Doch die liegen weit auseinander. Verbraucherschützer wollen, dass Produkte wie Milch oder Eier nur dann als regionale Erzeugnisse beworben werden dürfen, wenn sie zu 100 Prozent aus der Region kommen. Bei der Supermarktkette Kaiser’s ist ein Produkt dagegen schon dann „von hier“, wenn 70 Prozent der Rohstoffe aus Brandenburg kommen. Die Handelskette Edeka konzentriert sich dagegen auf die Frage, wo die Wertschöpfung stattfindet. „Wichtig ist, wo das Unternehmen produziert, seine Arbeits- und Ausbildungsplätze hat“, erklärt Edeka-Sprecher Andreas Laubig. Wenn ein Safthersteller in Brandenburg Bananensaft herstellt, ist das für Edeka somit ein regionales Produkt.

Jörg Liese warnt davor, Regionalität zu überschätzen. Mit Qualität habe das nicht zu tun, sagt er. 450 Kilometer von Dresden entfernt, im sauerländischen Bestwig, stellt Bäckermeister Liese Stollen her, Eigenkreationen wie den Champagner-, den Rotwein- oder den „Glück-Auf-Stollen“, der vier Wochen lang unter Tage lagern muss. Die Dresdner Stollen fürchtet Liese nicht. „Die Bäcker dort sind stehen geblieben“, sagt er, „ich entwickle den Stollen weiter.“ Eines freut ihn besonders: „Wir liefern auch nach Dresden.“

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