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Genug für alle: Fraktionschefin Renate Künast teilt aus. Foto: dpa

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Lebensmittel im Müll: Es ist noch Suppe da

Was tun gegen Lebensmittelverschwendung? Die Grünen kochen Gemüsesuppe vor dem Brandenburger Tor, der Agrarausschuss des Bundestags berät über das Mindesthaltbarkeitsdatum und Vermarktungsnormen.

Berlin - „Nee“, sagt Günter Gotthardt, „das ess ich nicht.“ Die Gemüsesuppe, die die Grünen vor dem Brandenburger Tor zusammenrühren und verteilen, will der Thüringer nicht. Er möchte lieber schick essen gehen. Immerhin feiern er und seine Frau an diesem Montag ihren 41. Hochzeitstag und gönnen sich vorher und nachher noch ein paar schöne Tage in der Hauptstadt.

Doch den Polit-Köchinnen entkommt niemand. Mit ihren riesigen, grünen Kochmützen sehen die Fraktionsvorsitzende Renate Künast, ihre Vizevorsitzende Bärbel Höhn und die verbraucherpolitische Sprecherin Nicole Maisch ein wenig aus wie die sieben Zwerge aus Schneewittchen. Doch statt Märchen zu erzählen, will Künast, die Ex-Agrarministerin, den Verbrauchern die Wahrheit erzählen über Lebensmittel. Dazu hält sie eine grüne Paprika in die Höhe. Die Frucht ist so krumm, als versuche sie, sich vor Künasts Küchenmesser in sich hineinzuverkriechen. Nutzt aber nichts.

„Die ist so gewachsen“, ruft Künast, als müsse sie die Paprika beschützen, in die wachsende Menge von Fotografen, Aktivisten und Touristen. „Aber sie schmeckt gut, und sie riecht gut“. Genauso wie die schrumpelige Möhre, die sie als Nächstes präsentiert. Die sieht aus, als stehe sie auf zwei Beinen, auch das dient als politisches Statement. Während die Möhre in den Topf wandert, schimpft Künast über Handels- und Verwertungsnormen, wirft dem Handel vor, gute Ware nur deshalb auf den Müll zu werfen, weil sie nicht dem Schönheitsideal entspreche, und fordert von Brüssel eine Agrarförderung, die nicht Masse, sondern Klasse belohne.

Elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen jedes Jahr im Abfall, hat eine Untersuchung der Universität Stuttgart im Auftrag des Bundesverbraucherministeriums ergeben. Im Schnitt wirft jeder Bundesbürger pro Jahr über 81 Kilogramm weg, 65 Prozent davon wären aber noch ganz oder zumindest zum Teil genießbar, haben die Forscher herausgefunden. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) will das Problem mit Aufklärung lösen. Derzeit läuft eine Kampagne über das Mindesthaltbarkeitsdatum, mit der Verbraucher im Supermarkt darüber aufgeklärt werden sollen, dass fast alles nach Ablauf des Datums noch genießbar ist.

Damit liegt Aigner auf der Linie der Wirtschaft. Eine Änderung des Mindesthaltbarkeitsdatums sei nicht zielführend, erklärte die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie am Montag auf einer Anhörung des BundestagsAgrarausschusses. Vielmehr sei der Verbraucher das Problem und dessen fehlende Wertschätzung für Lebensmittel. Der Lebensmittelhandel will auch an den geltenden Vermarktungsnormen nicht rühren. Sie seien Garanten für Qualität.

Die zweibeinige Möhre und die gnomartige Paprika hätten in den deutschen Supermärkten keine Chance. Wohl aber auf dem Pariser Platz. Zwar verstehen viele der ausländischen Touristen nicht, warum sie Suppe geschenkt bekommen, aber das ist ihnen auch egal. Sie löffeln alles aus. Auch Günter Gotthardt bekommt einen Teller, ob er will oder nicht. Ihm schmeckt’s dann doch. Seiner Frau weniger. „Geht so“, sagt sie und schaut ein wenig gequält.

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