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Lebensmittelkontrolle: Unser täglich Brot

Schrippen für zwölf Cent, Brot von der Tanke. Nach dem Hygiene-Skandal bei Müller-Brot hoffen die Bäcker, dass die Kunden umdenken.

Matthias Wenzel kneift die Augen zusammen. Um halb eins in der Nacht hat der Berliner Bäckermeister mit der Arbeit begonnen. Er hat die Knetmaschine angeworfen, Brot und Brötchen geformt, Buttercreme gerührt und Pfannkuchen gefüllt. Jetzt ist es halb elf, die Sonne scheint in den Verkaufsraum. Dort sitzen Männer und Frauen an kleinen Plastiktischen. Sie trinken ihren Morgenkaffee und blättern in der Zeitung. Für Wenzel wird es Zeit ins Bett zu gehen.

Seine Familie sieht Matthias Wenzel nur zum Abendessen, den Tag verschläft er. Das ist das Los der Wenzel-Männer – seit drei Generationen. Die Feinbäckerei Wenzel an der Frankfurter Allee 47 in Friedrichshain gibt es seit 1938. Seit 1994 führt Matthias Wenzel den Laden. Kein leichter Job. „Mit Mühe“ kann er den Umsatz halten, den er braucht, um existieren zu können. Backshops, Discounter und Tankstellen haben ihm über die Jahre Kunden weggenommen. Von all denen, die tiefgekühlte Teiglinge aufbacken, spricht Wenzel als den „Bräunungsstudios“. Er backt alles selbst. Die Zutaten bezieht er im Großhandel. Nur Croissants und Donuts kauft er hinzu.

Doch immer weniger Menschen wissen so etwas zu schätzen. Nur gut ein Drittel ihres Brotes kaufen die Verbraucher noch beim Bäcker. Bei Brötchen sieht es etwas besser aus. Aber auch hier konkurriert die Bäckerware mit den billigeren Teiglingen, die vor Ort aufgebacken werden, den in Folie verschweißten Aufbackbrötchen oder der Tiefkühlware aus den Großbäckereien. 25 Cent kostet eine Schrippe beim Bäcker, zwölf Cent ein Tiefkühlbrötchen im Supermarkt.

Drei Prozent der Betriebe machen fast die Hälfte des Branchenumsatzes, weiß Amin Werner, Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Kleine Bäcker wie Wenzel spielen umsatzmäßig kaum eine Rolle. Doch die Großen sind jetzt in Verruf geraten. Weil bei Müller-Brot in Oberbayern Mäusekot und Maden im Mehl gefunden wurden, haben die Behörden die Backfabrik geschlossen. Das Unternehmen hat Insolvenz angemeldet und kämpft ums Überleben. Ein Einzelfall?

„Backbetriebe haben bei den Lebensmittelkontrolleuren kein gutes Ansehen“, berichtet Martin Müller, Vorsitzender des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure. Bei fast jeder dritten Kontrolle gebe es Beanstandungen. Ein Klassiker sei Schimmel auf den Ablageflächen für die Teigrohlinge. Müller macht den Kostendruck in den Unternehmen für die mangelnde Hygiene verantwortlich, Werner spricht dagegen von „Kleinigkeiten“, die man nicht aufbauschen dürfe. „Man findet immer etwas“, meint der Verbandsvertreter. Eine lockere Fliese tauche in der Kontrollstatistik genauso als Beanstandung auf wie ein echtes Hygiene-Problem. Der Verband hat eine Checkliste herausgegeben, um den Bäckern das Sauberhalten zu erleichtern.

Der Chef in der Feinbäckerei greift selbst zum Wischmopp

Alle drei Monate bekommt Matthias Wenzel Besuch vom Veterinäramt. Selbstverständlich ist das nicht: „Es ist auch schon vorgekommen, dass drei Jahre lang keiner zum Kontrollieren bei mir war“, sagt er. Aber zu seinen Kunden gehört seit kurzem eine Dialyse-Praxis, deren Inhaber mit Rücksicht auf die Patienten regelmäßige Nachweise über die geprüfte Sauberkeit seines Betriebs sehen will.

„Ich habe mit dem Kontrolleur vereinbart, dass er vierteljährlich bei mir reinschaut“, sagt Wenzel. Der Prüfer sehe vor allem danach, ob alles sorgfältig dokumentiert wurde. „Die Bürokratie frisst viel Zeit“, sagt der Bäckermeister. Jedes Wischen müsse schriftlich festgehalten werden. Insgesamt brauche er für Reinigung und Dokumentation gute zwei Stunden am Tag. Wenzel hat fünf Mitarbeiter, der Chef greift selbst zum Wischmopp. Wie es bei Müller-Brot zu solchen Hygiene-Mängeln kommen konnte, versteht Matthias Wenzel nicht. „Die Großbäckereien haben ja nun wirklich genug Personal.“

Das sieht auch Martin Müller so. Die Zustände bei Müller-Brot könne man nicht verallgemeinern, meint der Kontrolleur, dessen Namensgleichheit Zufall ist. Probleme hätten nämlich eher die kleineren Betriebe. „Je größer die Unternehmen sind, desto sauberer ist es dort“, sagt Müller. Wer Brot verpacke und verschicke, müsse besonders sauber arbeiten, um Schimmelpilze zu vermeiden.

Wie in der Harry-Brot-Fabrik in Berlin. 250 Tonnen Brot werden täglich in Marzahn gebacken, geschnitten, in Plastik verpackt und an den Einzelhandel ausgeliefert. In Berlin steht eine von neun deutschen Fabriken des Großbäckers. 738 Millionen Euro Umsatz hat der Konzern aus Schenefeld bei Hamburg 2011 gemacht und ist damit nach der Barilla-Tochter Lieken die Nummer zwei in Deutschland.

Rund 360 Menschen arbeiten in Marzahn, aber die meiste Arbeit wird von Maschinen erledigt. Bänder surren, Knetmaschinen brummen, Schaltanlagen fiepen. Ein Rohrsystem pumpt 95 Prozent der Zutaten wie Mehl, Zucker und Salz direkt in die Kessel, nur noch bestimmte Zutaten wie Zwiebeln geben die Bäcker von Hand zu.

In den „Reinräumen“, in denen etwa der Toast verpackt wird, tragen die Mitarbeiter weiße Ganzkörperoveralls und Handschuhe. Es herrscht Überdruck, damit das CO2, das die Ware haltbar macht, nicht austreten kann. Eine gigantische, hocheffiziente Backmaschine. Aber kann sie auch Maden oder Schaben fernhalten?

Harry Brot tut viel, damit keine Schädlinge in die Fabrik gelangen

„Wir machen alles so unattraktiv wie möglich für Schädlinge“, sagt Marketing-Leiterin Karina Alikhan. Man vermeide Krümel außerhalb der Fabrik, Gitter in der Kanalisation sollen Ratten abhalten, auf den Dächern sind kleine Kupferdrahtzäune montiert, damit sich keine Tauben niederlassen.

„Hygiene ist bei uns Chefsache“, betont Produktionsleiter Herbert Schulz. Der 59-Jährige trägt wie die meisten Mitarbeiter eine weiße Hose, einen weißen Kittel, ein weißes Haarnetz und darüber einen weißen Helm. „Bei uns verdienen die Reinigungskräfte genauso viel wie die Bäcker. Ein Drittel der Arbeitszeit verwenden wir für Wartung, Pflege und Reinigung“, berichtet Schulz.

Pro Jahr gibt es zwei große Prüfungen. Eine interne, bei der alle Mitarbeiter befragt werden. Und die externe Lebensmittelprüfung vom Amt. Die Kontrolleure kommen unangekündigt. Schulz lässt das kalt. Er habe nichts zu befürchten, sagt der Produktionsleiter.

Harry Brot hat sich für den Kampf gegen das Ungeziefer gerüstet – mit Fliegengittern an den Fenstern, Mottenfallen an der Wand und fugenlosen Fliesen auf dem Boden, unter denen sich nichts und niemand verstecken kann. Für die Schädlingsbekämpfung hat man außerdem eine externe Firma engagiert. Sie kümmert sich um Fallen für Motten, Fliegen, Mäuse und Schaben. Die Fallen dienen als Frühwarnsystem: Tiere, die in die Fabrik hineinkommen, bleiben dort kleben oder fressen den Köder an. In einem solchen Fall wird die Firma tätig, stellt weitere Fallen auf oder vergiftet die Tiere. Dennoch könne man nicht ausschließen, dass sich schon mal eine Schabe im Unternehmen aufhalte, räumt Schulz ein. „Aber falls sich mal eine hier hineinverirrt, läuft sie sofort in eine Falle“, sagt er. Die Köder seien speziell angepasst und viel verlockender als Teig oder Krümel.

Als Bäcker Wenzel sein Büro verlässt, liegen vier Stapel mit weißen T-Shirts und Sweatshirts vor der Tür. Ein Bote hat sie gebracht. Früher haben die Wenzels selbst gewaschen. „Das geht nicht mehr“, berichtet der 43-Jährige. Laut Hygieneverordnung muss Arbeitskleidung bei mindestens 90 Grad gewaschen werden. Und weil es „nahezu unmöglich“ ist, das nachzuweisen, wenn seine Frau wäscht, sind Wenzels dazu übergegangen, die Reinigung „outzusourcen“. „Ist schon alles sehr kompliziert geworden“, klagt der Bäcker. Kein Wunder, dass sich das kaum noch jemand antun wolle. Wenzels 16-jähriger Sohn jedenfalls will Astrophysiker werden.

Die Feinbäckerei Wenzel hat einen Lieferservice.

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