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Wirtschaft: Lebensversicherer in bedrohlicher Lage

Aufsichtsbehörde nimmt bereits einen Stress-Test vor/Finanzministerium erwägt Senkung des Garantiezinses

Berlin (hej). Die Situation der deutschen Versicherer ist nach Einschätzung der RatingAgentur Fitch weitaus bedrohlicher als die Branche zugibt. „Das Eigenkapital der Unternehmen schmilzt“, sagte Fitch-Analyst, Marco Metzler, dem Tagesspiegel. Wie dramatisch die Lage sei, könne man daran ablesen, dass selbst die Branchenriesen, Allianz und Münchener Rück, frisches Kapital brauchen. Die Allianz plant eine Kapitalerhöhung von bis zu vier Milliarden Euro und eine zusätzliche Anleihe von 1,5 Milliarden Euro. Die Münchener Rück will in den kommenden Tagen Einzelheiten der von ihr geplanten Milliardenanleihe bekannt geben.

Fitch schätzt, dass allein bei den deutschen Lebensversicherern die stillen Lasten von 2,5 Milliarden Euro Ende 2001 auf 45 bis 50 Milliarden Euro zum Ende des vergangenen Jahres gestiegen sind. Stille Lasten entstehen dadurch, dass die Versicherer Kursverluste nach Paragraf 341 b HGB erst dann abschreiben müssen, wenn sie als dauerhaft angesehen werden. Während im Jahr 2001 nur einzelne Versicherer von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hatten, hat die anhaltende Börsenkrise im vergangenen Jahr dazu geführt, dass immer mehr Unternehmen den Paragrafen 341 b HGB genutzt haben – und damit mögliche Bilanzrisiken in die Zukunft verlagert haben. Sollte sich die Börse auch 2003 nicht erholen, dürfte die Situation für einige Gesellschaften prekär werden.

Noch reagiert die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) gelassen. „Nur weniger als eine Hand voll Unternehmen bedürfen nach unseren Erkenntnissen unserer besonderen Beobachtung“, heißt es bei der Aufsichtsbehörde. „Aber auch hier zeichnen sich tragfähige Lösungen ab“. Neue Erkenntnisse soll der so genannte Stress-Test bringen. Bis Ende März müssen die Versicherer der Aufsichtsbehörde erklären, wie sie reagieren, falls ihre Aktienbestände und ihre Rentenpapiere weiter an Wert verlieren. „Der Stress-Test hat eine Frühwarnfunktion“, sagt ein BAFin-Sprecher. Sollte der Alarm ausgelöst werden, berät die Aufsichtsbehörde mit den Unternehmen über geeignete Maßnahmen.

Aber auch der Versicherungsverband ist nicht untätig. Der Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Bernd Michaels, möchte die Abschreibungsregeln zugunsten der Versicherungsgesellschaften gelockert sehen. Dass sich die Bilanzvorschriften auf einen jährlichen Berichtszeitraum ausrichten, sei zu normalen Zeiten unproblematisch. „In Zeiten, in denen die Börse Wertverluste bis zu 80 Prozent hinnehmen muss, ist es unumgänglich zu prüfen, ob diese Prinzipien noch unverändert gelten sollen“, kritisiert Michaels. Wenn die Versicherer ihre Kursverluste nicht mehr jährlich, sondern nur noch in Drei- oder gar Fünf-Jahres-Perioden bewertet lassen müssten, gewännen sie den bilanztechnischen Spielraum, der sie über die schwierige Börsenphase hinwegretten könnte. Das Risiko: Springt die Börse auch dann nicht an, können die inzwischen aufgelaufenen Kursverluste richtig gefährlich werden.

Vor rund einem Jahr allerdings hatte der GDV die neuen Richtlinien noch ausdrücklich begrüßt. Der Verbandsvorstoß konterkariert zudem die offizielle Linie, dass es keinen Anlass zur Besorgnis gibt. Auf höchstens 15 bis 20 Milliarden Euro schätzt Michaels die stillen Lasten der Lebensversicherer, bei Kapitalanlagen von rund 600 Milliarden Euro gerade einmal drei Prozent. Aber die die Situation ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. So betrugen etwa bei der Mannheimer Leben die stillen Lasten zum 31. Dezember 2002 insgesamt 216 Millionen Euro (2001: 112 Millionen Euro) und damit 6,6 Prozent des Buchwerts der gesamten Kapitalanlagen. Mit einem Strategiewechsel will die Gesellschaft gegensteuern: „Wir stellen den Verkauf von kapitalbildenden Lebensversicherungen ein“, kündigt Unternehmenssprecher Peter Swienczek an.

Sinkende Überschussbeteiligungen (Lexikon Seite 19) der Kunden und eine Senkung des gesetzlich festgelegten Rechnungszinses sind Instrumente, mit denen die Lebensversicherer ihre zukünftigen Neubelastungen reduzieren wollen. Die den Kunden für die Vergangenheit bereits zugesicherten Überschussbeteiligungen kann ihnen niemand nehmen. Ebenso festgeschrieben ist für laufende Verträge der Garantiezins von derzeit 3,25 Prozent. Doch für neu abgeschlossene Verträge könnte sich dieser ändern. Finanzminister Hans Eichel (SPD) erwägt, den Mindestzins bereits Anfang 2004 auf 2,75 Prozent zu senken. „Wir reden darüber mit dem Verband der Versicherungswirtschaft“, erklärte ein Ministeriumssprecher.

Sollte ein Versicherungsunternehmen aber tatsächlich in die Knie gehen, springt als letzte Rettung die neu gegründete Auffanggesellschaft Protektor ein und übernimmt den Versicherungsbestand. Dann müssen alle Lebensversicherer, die Mitglied im GDV sind maximal ein Prozent ihrer eigenen Kapitalanlagen einzahlen. „Hoffen wir, dass sie es dann auch noch können“, warnt Fitch-Analyst Metzler.

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