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Wirtschaft: Lebkuchen und Lobhudeleien

Die Bahn kämpft gegen ihr Image als Kundenschreck.

Berlin - Die Eisenbahn kann ein geradezu erbarmungsloses Verkehrsmittel sein. Wenn man als Jugendlicher keinen gültigen Fahrschein hat und der Schaffner einen aus dem Regionalexpress wirft, trotz 18 Grad Kälte und Dunkelheit. Wenn eine sich schließende Waggontür Mutter und Kind ungewollt trennt und die Zweijährige allein in der Bahn durch halb Brandenburg fahren muss. Wenn ein Zugchef die Polizei kommen lässt, weil ihm zu viele Passagiere in seinem ICE herumstehen.

Alles schon vorgekommen. Mehr als fünf Millionen Eisenbahnfahrer erleben derlei Ärgernisse Tag für Tag. Es sind die Kollateralschäden der Mobilität in einem fragilen, komplizierten Verkehrssystem. Irgendwo gibt es immer Verspätungen und schlecht gelauntes Personal, das mit dem Beförderungsfall Kunde hadert. Und einen Journalisten, der darüber berichtet.

Das ist ungerecht, finden sie bei der Eisenbahn. „Wenigstens einmal im Jahr wollen wir positive Geschichten rüberbringen“, ruft am Montag Dirk Flege. Er leitet die Allianz pro Schiene, einen Lobbyverband, der Stimmung für die Bahn machen soll. Flege und seine Leute haben sich überlegt, dazu den Mitarbeiter des Jahres zu küren – aus Kundensicht. „Eisenbahner mit Herz“ nennen sie diese Menschen, die sich um den Passagier verdient gemacht haben. Sie bekommen ein Lebkuchenherz, eine Anstecknadel, viel Schulterklopfen und ein Erinnerungsfoto.

Zum Beispiel Daniela Kumbernuß. Als Zugchefin hatte sie es mit einem randalierenden Betrunkenen zu tun. Bis ihn die Polizei abführen kam, dauerte es aber eine halbe Stunde. Dann erst konnte Kumbernuss den übrigen Fahrgästen gefahrlos die Lage erläutern – das tat sie „außergewöhnlich offen und ehrlich“, lobte die Jury von der Schienen-Lobby.

Es sind solche Geschichten, über die sich der Bahn-Chef freut. Rüdiger Grube weiß, dass 50 000 seiner Mitarbeiter jeden Tag auf Kunden treffen und da auch mal was schiefgehen kann. Grube will, dass die Bahn sympathischer wirkt, und er selbst gleich dazu. Bei fast jedem Auftritt bemüht er sich, die Kollegen zu loben. „Was die täglich leisten, verdient meine größte Wertschätzung“, sagt er. Dass trotz der vielen Kunden nur 250 Vorschläge für den „Eisenbahner mit Herz“ kamen, dass die Geschichten wenig spektakulär sind, stört ihn nicht. Platz zwei belegte ein Schaffner, der in seinem um viereinhalb Stunden verspäteten ICE gute Laune verbreitete und die Kunden umsorgte. Dritter wurde ein Schaffner des Konkurrenten Metronom, der einem Fahrgast das Rad reparierte.

Für den fehlenden Glamour sorgte ersatzweise Sarah Wiener, die Fernsehköchin. Ihr gehört das Restaurant, in dem die Siegerehrung stattfindet, und so fällt es ihr nicht schwer, gut über die Bahn zu reden: dass sie vom Personal angestrahlt werde, sie kaum Ärger mit den Zügen kenne. „Nur eines“, ruft sie Grube zu. „Über den Kaffee Latte im ICE müssen wir nochmal reden.“ Carsten Brönstrup

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