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Wirtschaft: Leere nach der Lehre

Tausende Jugendliche finden keinen Ausbildungsplatz – und auch Ausgelernte werden immer seltener übernommen

Die Zeit läuft den Jugendlichen davon. Wer jetzt noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, wird womöglich in diesem Jahr leer ausgehen. Dabei befürchten die Gewerkschaften eine Lücke von bis zu 150000 Lehrstellen. Auch für ausgelernte Azubis sieht die Situation schlecht aus: Die meisten der 30 Unternehmen, die den Deutschen Aktienindex (Dax) bilden, wollen nur einem Teil von ihnen eine feste Stelle anbieten, wie eine Umfrage des Tagesspiegels am Sonntag ergab.

Am 9. Oktober gibt die Bundesanstalt für Arbeit bekannt, wie viele Jugendliche bis Ende September noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Dass nicht alle versorgt werden können, steht bereits fest. Die Koalition berät derzeit bereits über eine gesetzliche Ausbildungsplatzabgabe – damit hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Agenda-2010-Rede gedroht, falls die Unternehmen nicht genug ausbilden.

„Die Arbeitsmarktinitiative der Bundesregierung hat schon etwas gebracht, aber wir fürchten weiterhin, dass am Monatsende rund 150 000 Jugendliche ohne betrieblichen Ausbildungsplatz sind“, sagt Volker Scharlowsky, Leiter der Abteilung Bildung beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Rund 30000 davon werden nach Schätzungen des DGB eine Lehrstelle in einer öffentlich finanzierten Einrichtung finden. Ende August lag die Zahl der unversorgten Jugendlichen nach Schätzungen des DGB sogar noch bei 220 000.

Das Bildungsministerium ist optimistischer als der DGB – im Ministerium hofft man darauf, dass noch Stellen frei werden, die zuvor mehrfach besetzt waren. „Wir müssen damit rechnen, dass 20000 bis 40000 Jugendliche Ende September ohne Ausbildungsplatz sind“, sagt eine Sprecherin. Bis Ende des Jahres soll jeder von ihnen noch einen Ausbildungsplatz oder etwas Vergleichbares angeboten bekommen – also zumeist ein Berufsvorbereitungsjahr oder eine weiterführende Schulausbildung.

Vor allem die großen Unternehmen haben ihr Ausbildungsangebot zusammengestrichen, bei den meisten stagniert oder sinkt die Zahl der Lehrstellen. Die Lufthansa stellt in diesem Jahr mit 454 Azubis 161 weniger ein als im Vorjahr. Auch zusätzliche reguläre Kräfte brauche man derzeit nicht, begründet eine Sprecherin diese Zurückhaltung, außerdem bilde man nur für den eigenen Bedarf aus. Auch die Deutsche Post stellt in diesem Jahr mit 2500 Azubis 400 Berufseinsteiger weniger ein als im Vorjahr. „Früher haben wir über Bedarf ausgebildet und die jungen Leute anschließend übernommen. Das geht jetzt nicht mehr“, sagt ein Post-Sprecher.

Sparprogramme bei den Konzernen

Auch die ausgelernten jungen Leute bekommen die Krise auf dem Arbeitsmarkt zu spüren. So hatte der Reisekonzern Tui 2002 noch 65 Prozent der Absolventen übernommen. In diesem Jahr sind es nur noch 50 Prozent. Schuld daran ist die schlechte Situation des Konzerns und der Branche – deshalb will Tui bis Ende 2004 rund 2000 Stellen abbauen, und für die ausgelernten Jugendlichen kann Tui dann nichts mehr tun. „Wir gehen davon aus, dass die Ausbildung bei Tui eine gute Referenz ist und die Azubis, die wir nicht einstellen können, gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben“, tröstet Tui-Sprecherin Stefanie Rother.

Auch bei den Banken sieht es schlecht aus: Die Commerzbank übernimmt in diesem Jahr nur 222 von 512 Absolventen. „Der Personalabbau, der 2002 begonnen hat, drückt sich auch in diesen Zahlen aus“, räumt Sprecher Stefan Rohberg ein. 2002 hatte der Konzern noch 58 Prozent der Azubis übernommen, in den beiden Jahren zuvor sogar mehr als 80 Prozent. Auch beim angeschlagenen Maschinenbauer MAN werden in diesem Jahr 100 ausgelernte Azubis weniger übernommen. Von den 650, die in diesem Jahr fertig werden, bekommen 500 eine feste Stelle.

Die Deutsche Telekom hat sich etwas besonderes einfallen lassen: Alle Azubis, die bei der Telekom bleiben wollen, werden erst einmal in eine Personal-Service-Agentur übernommen. Von dort werden die Nachwuchskräfte innerhalb des Konzerns, aber auch an andere Firmen vermittelt. „Die Telekom bildet seit Jahren weit über den eigenen Bedarf aus“, sagt ein Sprecher. Auch aus politischen Gründen – immerhin gehören noch mehr als 40 Prozent der Telekom-Aktien dem Staat. Eigentlich hat die Telekom mehr als genug Personal und bräuchte deshalb nur wenige Lehrlinge pro Jahr – nämlich genau zwei.

Felizitas Thom

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