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Lehman-Urteile: Kläger müssen Revision abwarten

Für die Mehrzahl der klagenden Lehman-Anleger sieht es bislang ganz gut aus. Ob sie ihr durch die Pleite der US-Investmentbank verlorenes Geld tatsächlich wiedersehen, ist aber trotz gewonnener Prozesse nicht sicher.

„Bisher steht es 1:0 für die Anleger“, sagt Rechtsanwalt Walter Späth. Zwölf Urteile im Streit um die Entschädigung von Anlegern der zusammengebrochenen US-Bank Lehman Brothers gebe es bislang, die große Mehrzahl davon sei zugunsten der Kläger ausgefallen. Vorerst zumindest, denn die Urteile sind noch nicht rechtskräftig, die beklagten Banken haben Berufung eingelegt. Im Moment hat der auf Kapitalanlagerecht spezialisierte Berliner viel zu tun, allein 150 Lehman-Geschädigte vertreten er und seine Kollegen der Kanzlei Rohde & Späth bundesweit.

Wie die Chancen Lehman-Geschädigter vor Gericht stehen, lässt sich pauschal nicht sagen. Marco Cabras, Sprecher der deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in Düsseldorf, betont: „Die Profile der Anleger sind völlig unterschiedlich.“ Allerdings zeigten die bisherigen Urteile eine Tendenz auf: Die Anspruchsgrundlage erweitere sich. So hat das Landgericht Potsdam einem Anleger recht gegeben, der nicht auf die fehlende Einlagensicherung hingewiesen wurde. In Hamburg gaben die Richter einem Kläger recht, der nicht über die Provision des Bankers aufgeklärt wurde. Bleiben die Gerichte bei dieser Diversifizierung, könnten weitere Geschädigte profitieren. Die DSW hat mehrere hundert Einzelfälle auf mögliche Beratungsfehler prüfen lassen. Am Dienstag will die Vereinigung eine Zwischenbilanz ziehen. Bei den Prozessen geht es um unterschiedlich hohe Summen. 2000 Euro, 20 000 Euro, einer seiner Mandanten hat sogar 120 000 Euro in Lehman-Zertifikaten angelegt, erzählt Späth. Sie glaubten an eine sichere Investition.

Im September 2008 brach die US-Investmentbank Lehman Brothers zusammen. Schlagartig verloren die geschätzten 40 000 deutschen Anleger ihr Erspartes. Die Geschädigten werfen ihren Banken Falschberatung vor und verlangen ihr Geld zurück. Von einer Gesamtsumme von bis zu 700 Millionen Euro ist die Rede.

„Spätestens nach dem Zusammenbruch von Bear Stearns im März 2008 hätte einem Bankberater klar sein müssen, dass eine Investmentbank pleite gehen kann“, ist sich Späth sicher. „Je wahrscheinlicher die Verlustmöglichkeit, desto intensiver muss der Berater darauf hinweisen.“ All jene, die erst nach dem Bankrott der Investmentbank Bear Stearns Lehman-Papiere gekauft hätten, sollten sich in einem Prozess darauf berufen.

Frau G. könnte davon profitieren. Sie hat ihre Lehman-Zertifikate erst im Mai vergangenen Jahres gekauft. 40 000 Euro hatte sie von ihrem alten Arbeitgeber als Abfindung erhalten. Nach dem Tod ihres Mannes brach ihr Sohn sein Studium ab. Mit dem Geld wollte sie eine neue Ausbildung für ihn finanzieren und für’s Alter vorsorgen. Diese Geldanlage sollte sicher sein. Ihr Berater bei der Citibank habe das gewusst – und ihr empfohlen, das Geld in Lehman-Papiere anzulegen. „Ich habe ihm gesagt, ich möchte so etwas wie Festgeld“, erinnert sich die 65-Jährige.

Geklagt hat Frau G. noch nicht, sie ist auf der Suche nach einem geeigneten Anwalt. Mit Fassungslosigkeit gelesen hat sie eine Stellungnahme ihres ehemaligen Beraters. Auf mehreren Seiten schilderte der Banker nach Aufforderung der Finanzaufsicht Bafin das Beratungsgespräch aus seiner Sicht, von Fehl- oder gar Falschberatung keine Rede. „Alles gelogen“, behauptet G., „und ich kann das nachweisen.“

Den Nachweis einer Falschberatung muss der Kunde erbringen, jeder für sich. Eine Musterklage wie einst bei den Telekom-Geschädigten nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz ist nicht möglich. Rechtsanwalt Späth sieht darin auch einen Vorteil: „Bei einer Einzelklage sind die Chancen etwas besser, weil besser auf die individuelle Beratungsleistung eingegangen werden kann“.

Die nächsten Gerichtsurteile erwartet DSW-Sprecher Cabras im Wochenrhythmus. Anwalt Späth schätzt, dass die Urteile ein dreiviertel Jahr nach der Berufung rechtskräftig werden könnten. Eine Revision vor dem Bundesgerichtshof könne er nicht ausschließen. Für die Lehman-Kläger würde die Ausschöpfung des Rechtsweges vor allem eins bedeuten: lange Ungewissheit.

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