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Lehren aus der Krise: Das große Kräftemessen zwischen Staat und Banken

Nach der Lehman-Pleite vor drei Jahren sollte die Finanzwelt umgebaut werden. Doch bislang ist keines der Ziele verwirklicht.

Im September 2008, als das globale Finanzsystem binnen weniger Tage an den Rand des Zusammenbruchs geriet, war das Erschrecken der Regierenden groß. Nach einem Jahrzehnt des Laissez-faire für die Finanzindustrie mussten sechs europäische Staaten sowie die USA mehr als 1000 Milliarden Dollar, Euro und Pfund aus Steuergeld aufwenden, um eine globale Massenpleite im Geldgewerbe zu verhindern.

Die gigantischen Ausgaben zugunsten einer privilegierten Branche und ihrer vermögenden Kunden brachten viele Bürger gegen ihre Regierungen auf. Umso eindringlicher versprachen sie daher, künftig alles besser zu machen. „Wir werden darauf beharren, dass wir wirklich eine neue Verfassung für die internationalen Finanzmärkte bekommen, damit sich eine solche Krise nie wiederholt“, versicherte etwa Kanzlerin Angela Merkel.

Über die Ursachen der Krise schienen sich die Regierungen auch weitgehend einig: Die amerikanisch-europäische Finanzindustrie hatte mit einer extremen Ausweitung der Kreditvergabe in den USA und anderen Staaten Spekulationsblasen für Immobilien und andere Vermögenswerte entfacht. Dazu nutzten sie Finanzgesellschaften, die außerhalb der behördlichen Aufsicht operierten, die sogenannten Schattenbanken. Diese investierten vorwiegend in komplexe Wertpapiere (Derivate), die keiner Aufsicht unterlagen. Dafür bescheinigten die Ratingagenturen eine überhöhte Bonität, um selbst daran zu verdienen. Als die Preise schließlich einbrachen und die Blasen platzten, blieben Schulden im Wert von vielen hundert Milliarden Dollar zurück, die nicht durch tatsächliche Werte gedeckt waren. Gleichzeitig waren zahlreiche Geldkonzerne aber so groß und so vernetzt, dass ihr Konkurs das Zahlungssystem und damit die ganze Wirtschaft zum Stillstand gebracht hätte.

Darum versprachen die Regierungen auf beiden Seiten des Atlantiks, künftig das System der Schattenbanken stillzulegen und alle Finanzinstitute selbst so sicher zu machen und so zu entflechten, dass eine Pleite keine Bedrohung mehr wäre. Zudem sollte der Handel mit Derivaten vollständig behördlich überwacht und der Einfluss der Ratingagenturen beschränkt werden.

Doch auch drei Jahre nach dem großen Knall ist keines dieser Ziele verwirklicht. Zwar wurden sowohl in Washington als auch in Brüssel umfassende Finanzmarktreformen auf den Weg gebracht. Aber die Reformer waren dem Widerstand der Finanzindustrie nicht gewachsen. Vorschläge für wirksame strukturelle Veränderungen von deren riskanten Geschäftsmodellen blieben auf der Strecke. Stattdessen verlegten sich die Regierungen darauf, lediglich die Aufsichtsbehörden zu stärken. Aber zweifelhaft ist, ob die Aufseher tatsächlich verhindern können, dass erneut überschuldete Banken freigekauft werden müssen. Denn zentrale Konstruktionsfehler des Systems sind nicht behoben, wie die folgenden Seiten zeigen.

"Too big to fail" - Megabanken mächtiger denn je

Als die Regierungen in Europa und den USA nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers die Gläubiger aller übrigen überschuldeten Banken mit dreistelligen Milliardensummen freikaufen mussten, brachte dies eine verblüffende Wahrheit ans Licht: Ausgerechnet auf den Kommandohöhen der Weltwirtschaft, bei den global vernetzten Finanzkonzernen, gelten die von Wirtschaftsführern so gern angeführten Regeln des Marktes offenkundig nicht. Anders als bei normalen Unternehmen mussten die Kreditgeber für ihre Fehlinvestitionen nicht haften. Stattdessen traten die Steuerzahler ein, die Gläubiger verloren keinen Cent.

Die Begründung der verantwortlichen Politiker für diesen Sündenfall wider die Marktwirtschaft gipfelte stets in derselben Formel: „too big to fail“. Die freigekauften Geldhäuser waren zu groß, um sie in Konkurs gehen zu lassen, weil der Ausfall ihrer Schulden weitere Banken und Versicherungen in die Pleite getrieben hätte. Sie waren „systemrelevant“, wie die Aufseher sagen. Damit war plötzlich klar, dass alle großen Finanzkonzerne de facto eine implizite Staatsgarantie genießen und die Regierungen allein durch deren Existenz im Ernstfall erpressbar sind.

Dieses Privileg ist aber selbst eine der zentralen Ursachen für die Krisenanfälligkeit des Systems. Denn die Folge ist, dass Banken und Versicherungen sich umso billiger Kredite und Kapital verschaffen können, je größer sie sind, weil die Anleger wissen, dass sie ihr Geld nicht verlieren können. Das erzeugt einen permanenten Fehlanreiz: Das Kapital fließt nicht den best geführten Häusern zu, sondern den größten, die damit nachweislich auch umso höhere Risiken eingehen. Eine Untersuchung der Bank of England ergab, dass dieser Finanzierungsvorteil allein den 28 größten Banken der Welt einen Kostenvorteil von jährlich 250 Milliarden Dollar einbringt. Eine Forschungsgruppe der University of California fand zudem heraus, dass die meisten Bankenfusionen im vergangenen Jahrzehnt allein dazu dienten, die nötige Schwelle für diesen Vorteil zu überschreiten, die sie bei einer Bilanzsumme von etwa 100 Milliarden Dollar ansetzen. Zum Vergleich: Die Deutsche Bank weist sogar Anlagen im Wert von drei Billionen Dollar aus, dem 30-fachen dieser Summe.

Die so erzielte Staatsgarantie „erhöht die Risikobereitschaft und verzerrt den Wettbewerb“, befand auch Beatrice Weder di Mauro, eine der fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung. Und so forderten zahlreiche Politiker und Zentralbanker auf beiden Seiten des Atlantiks zunächst radikale Gegenmaßnahmen. „Too big to fail is too big“, proklamierte etwa der britische Notenbankchef Mervyn King und setzte genauso wie der Ex-Chef der US-Notenbank und Berater von Präsident Obama, Paul Volcker, auf die Verkleinerung der Megabanken. Und selbst Kanzlerin Merkel forderte, nie wieder solle eine Bank „so groß sein, dass sie den Staat erpressen darf“, dies sei „der wichtigste Punkt“.

Doch so klar die Forderungen waren, so schwach blieben die Taten. Die Branchenriesen konnten die Krise sogar nutzen, um noch größer zu werden. Die Deutsche Bank etwa übernahm die Postbank sowie die Bank Oppenheim, der US-Geldgigant JP Morgan schluckte neben Amerikas größter Sparkasse Washington Mutual gleich auch noch die Investmentbank Bear Stearns, während die Bank of America die drittgrößte Wall Street-Bank Merrill Lynch vereinnahmte. Das ging einher mit einer weiteren Vergrößerung des Einflusses der Finanzgiganten auf die Politik. In der Folge scheiterten alle politischen Initiativen für deren Teilung oder Schrumpfung auf ein marktverträgliches Maß.

Das zeigte sich etwa bei den Beschlüssen des „Basler Ausschusses für Bankenaufsicht“, in dem die Aufsichtsbehörden der G-20-Staaten die Mindeststandards für das Geldgewerbe festlegen. Die Aufseher hatten sich zunächst für die Einführung einer absoluten Obergrenze für die Menge an Fremdkapital ausgesprochen, mit der Banken operieren dürfen. Je größer dieser „Kredithebel“ ist, im Banker-Englisch „leverage ratio“ genannt, desto höhere Renditen auf ihr Eigenkapital können Banken erzielen. Aber umso höher ist auch das Risiko, weil nur wenig eigenes Geld zur Verfügung steht, um Verluste auszugleichen. Die logische Konsequenz der Krise wäre gewesen, eine solche Schuldenbremse für Banken umso härter zu gestalten, je größer ihr Anlagevolumen ist. Auf diesem Weg, so bestätigt die Bankenexpertin Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), könnten der Wert der impliziten Staatsgarantie ausgeglichen und die Marktregeln auch für Großbanken wieder eingeführt werden. Denn mit der Größe würde die Rentabilität abnehmen und damit der Zugang zum Kapital der Anleger erschwert.

Aber während der Verhandlungen schrumpfte die geforderte Begrenzung des Kredithebels zu einer bloßen Kann-Bestimmung, die noch dazu das 33-fache des Eigenkapitals an Schulden zulässt – entsprechend dem Niveau des Lehman- Konzerns vor der Pleite. Die Abschaffung der Staatsgarantien durch die Begrenzung der Konzerngröße ist bei der Gesetzgebung und deren praktischer Umsetzung in Brüssel und Washington denn auch nicht vorgesehen. Stattdessen setzten US-Regierung und ihre EU-Partner nur auf die allgemeine Erhöhung des Eigenkapital-Polsters der Banken. Zudem soll es künftig möglich sein, Finanzinstitute, die in Schieflage geraten, zwangsweise in Staatshand zu übernehmen und – unter Beteiligung der Gläubiger – abzuwickeln.

So sollen alle Banken bis 2019 ihr verfügbares Eigenkapital im Verhältnis zu ihren „risikogewichteten“ Anlagen von bisher zwei auf dann sieben Prozent erhöhen. Die meisten Großbanken reklamieren, dass sie diesen Standard sogar schon jetzt erfüllen. Doch der Wert solcher Versicherungen ist fraglich. Denn die „Gewichtung“ ihrer Anlagen in Risikoklassen obliegt den Banken selbst. Staatsanleihen etwa werden mit „null“ gewichtet, müssen also gar nicht mit eigenem Kapital abgesichert werden. Auch das Ausfallrisiko anderer Wertpapiere wird oft nur mit 30 Prozent oder weniger angesetzt, wie es sich aus bankeigenen Modellrechnungen ergibt. So werden dann etwa bei der Deutschen Bank aus Anlagen von drei Billionen Dollar „risikogewichtet“ lediglich 337 Milliarden und prompt liegt das „Kernkapital“ der Bank bei über zehn Prozent – ein Wert, der nur scheinbare Sicherheit vermittelt. Denn im Krisenfall, so konstatierte die Wirtschaftsweise Weder di Mauro trocken, „sind die Risikomodelle wertlos“.

Erst recht unglaubwürdig ist das angekündigte Abwicklungsregime für angeschlagene systemrelevante Institute zulasten der Gläubiger, wie es die US-Finanzreform vorsieht und die EU demnächst einführen will. Denn auch eine solche vorsorgliche Krisenintervention der Aufsicht würde aller Erfahrung nach genau die Panik bei Anlegern auslösen, die verhindert werden soll. Sie würden massenhaft ihr Geld aus vergleichbaren Banken abziehen und die staatliche Feuerwehr würde zum Brandstifter. Der Systemexperte und frühere Chefökonom des IWF, Simon Johnson, hält das ganze Vorhaben daher für einen „Mythos“. Die geordnete Abwicklung werde erst glaubwürdig, wenn die Banken kleiner und einfacher würden. Angela Merkels „wichtigster Punkt“ bleibt auf der Agenda.

Schattenbanken - Risiko ohne Aufsicht

Sie sind der Schrecken der Bankaufseher: die Schattenbanken. Dazu zählen Hedgefonds für Großanleger und solche zum Kauf von Unternehmen auf Kredit („Private Equity“) sowie Geldmarktfonds, die auf kurzfristige Anlagen spezialisiert sind. Gemeinsam ist ihnen, dass sie zwar de facto Bankgeschäfte betreiben, also Geld von Anlegern und Kredite aufnehmen, um diese anzulegen. Aber trotzdem unterliegen sie keiner staatlichen Kontrolle, zumal sie in der Regel formal in Steuerfluchtzentren wie den Cayman Islands residieren, wo es gar keine arbeitsfähigen Aufsichtsbehörden gibt.

Weil die meisten Krisenbanken sich über solche Gesellschaften außerhalb der offiziellen Bilanz in die Pleite wirtschafteten, sollte es eigentlich „keinen Markt und keinen Akteur“ mehr geben, „der nicht reguliert wird“, wie Kanzlerin Merkel nach dem G-20-Krisengipfel im November 2008 erklärte. Aber daraus wurde bisher nichts. Zwar müssen alle Gesellschaften sich inzwischen registrieren lassen und den Behörden auf Nachfrage ihre Geschäftsmodelle offenlegen. Aber weder in den USA noch in der EU konnten die Reformer eine Begrenzung der Risiken durchsetzen, die Schattenbanken eingehen, und das obwohl sie schon wieder mehr Kredit verwalten als alle Banken zusammen, wie die US-Notenbank ermittelte. „Wer nichts gegen die Verlagerung von Risiken ins Schattenbankensystem unternimmt, darf sich nicht wundern, wenn dort die nächste Finanzkrise ausbricht“, warnte darum Jochen Sanio, der Chef der deutschen Aufsichtsbehörde Bafin.

Ratingagenturen - Einfluss per Gesetz

Eigentlich sollen Ratingagenturen vor schlechten Schuldnern warnen und so zur Sicherheit des Finanzsystems beitragen. Aber in der Praxis stiften sie mehr Schaden als Nutzen. Gleich ob bei Amerikas Hypothekenblase, ob beim Pleitekonzern AIG oder im Fall Griechenland: Stets vergaben sie ihre „Triple-A“-Note noch bis alles zu spät war. Die folgenden Herabstufungen verschärften dann die Krise noch. Die drei US-Firmen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch, die gemeinsam rund 90 Prozent des Ratingmarktes beherrschen, hätten „wesentlich zur finanziellen Kernschmelze beigetragen“, stellte die Untersuchungskommission des US-Kongresses fest.

Der übersteigerte Einfluss der Agenturen beruht jedoch vor allem darauf, dass ihre Noten Bestandteil der staatlichen Finanzaufsicht sind. Versicherer zum Beispiel sind gesetzlich gezwungen, ihre Anlagen nach den Kreditnoten der Agenturen auszurichten. Auch Banken müssen umso mehr Kapital vorhalten, je schlechter die Agenturen einen Schuldner bewerten. Sogar die Notenbanken folgen deren Urteil, wenn es um die Bewertung von Sicherheiten geht.

Um die Macht der Kreditprüfer zurückzudrängen, empfehlen Fachleute daher, den Bezug auf ihre Urteile aus allen öffentlichen Regelwerken zu tilgen. Vielmehr seien die Kreditnoten als das zu nehmen, was sie sind: unverbindliche private Gütesiegel. Aber trotz der verbreiteten Kritik an den Ratings hat bisher keine Regierung diesen Vorschlag aufgegriffen. Die Agenturen, die ihrerseits im Besitz großer Kapitalverwalter stehen, scheinen unangreifbar.

Derivate - In der Dunkelzone

Die größten Risiken für die Finanzstabilität liegen nach Meinung vieler Experten in den derivativen, von anderen Marktwerten abgeleiteten Wertpapieren, die außerhalb der Börsen „over-the-counter“ (OTC) gehandelt werden. Der Wert dieser von keiner Aufsicht erfassten Finanzwetten beträgt nach Behördenschätzung derzeit 20 000 Milliarden Dollar.

Besondere Sorge machen den Aufsehern die Credit Default Swaps (CDS), die Kreditausfallversicherungen, mit denen sich Banken und Fonds untereinander gegen die Pleite von Schuldnern absichern. Dabei geben Banken häufig CDS aus und kaufen gleichzeitig andere ein, um das Risiko weiterzugeben. Darüber entstehen lange Verkettungen, so dass niemand weiß, wer letztlich welche Risiken trägt. So stellte sich erst nach dem Platzen der US-Hypothekenblase heraus, dass allein der US-Versicherungskonzern AIG Ausfallrisiken von weit über 200 Milliarden Dollar übernommen hatte, die großteils auch fällig wurden, so dass Amerikas Steuerzahler mit 180 Milliarden Dollar einspringen mussten.

Darum vereinbarten die G-20-Regierungen, den Derivatehandel künftig über behördlich kontrollierte Clearingzentralen abzuwickeln, wo die Teilnehmer Sicherheiten einzahlen müssen. Die 2010 verabschiedete US-Finanzmarktreform sieht das auch vor. Aber die Umsetzung musste wegen des Widerstands der Wall Street bis Ende dieses Jahres aufgeschoben werden. Auch das entsprechende EU-Gesetz soll frühestens 2013 in Kraft treten. So tappen die Aufseher noch immer im Dunkeln. Die Folgen einer Staatspleite im Euroraum etwa seien wegen der CDS-Ketten „nicht zu kalkulieren“, sagt Raimund Röseler, Leiter der der deutschen Bankenaufsicht.

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