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Wirtschaft: Leitzinsen: Richtig zulangen oder Finger weg! (Leitartikel)

Die Erwartungen sind gespannt. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) entscheidet heute über eine Erhöhung der Leitzinsen.

Die Erwartungen sind gespannt. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) entscheidet heute über eine Erhöhung der Leitzinsen. Ob und wie viel, das sind die Fragen. Der schwache Euro und die Angst vor Inflation drängen angeblich auf einen mutigen Ruck nach oben. Ist das gut? Geldwertstabilität ist vor allem in Deutschland ein hohes Gut. Und deshalb ist selbst eine aktuelle Teuerungsrate von 2,4 Prozent Anlass zur wachsamen Sorge. Mit den Leitzinsen nimmt die Notenbank Einfluss auf den "Preis" für Geld. Je teurer, desto stärker wird die Nachfrage der Investoren und der Konsumenten nach Krediten gebremst. Nur Lehrbuchweisheiten? Alan Greenspan hat mit diesen Instrumenten die amerikanische Wirtschaft seit gut zehn Jahren nahezu inflationsfrei auf einem beeindruckend hohen Wachstumskurs gehalten. Aber die kräftigen Zinserhöhungen in den Vereinigten Staaten haben bisher wenig Wirkung gezeigt.

Was können die Ratsmitglieder der Europäischen Zentralbank daraus für ihre Entscheidung lernen? Stimmt etwas nicht mit der schönen Theorie? Würgt man in Europa die etwas müdere Konjunktur mit einer kräftigen Zinserhöhung nicht doch ab? Reagieren die beiden wichtigsten Preistreiber - die hohen Ölpreise und der niedrige Eurokurs - überhaupt auf höhere Zinsen? Und wenn teureres Geld die Konjunktur stärker bremst, wird dann der Euroraum international unattraktiver, der Euro noch schwächer und die Inflation stärker?

Tatsächlich hat die ganze Sache mit der Zinspolitik einige Haken. Eine wichtige Frage wird gern übersehen: Wie hoch ist die "wahre" Inflationsrate? Die Ökonomen sind sich darin einig, dass die heute gehandelten Raten um etwa 1,5 Prozent zu hoch ausgewiesen werden, weil sie Qualitätsverbesserungen ungenügend abbilden. Folglich kämpfen die Notenbanker teilweise gegen Windmühlen. Der zweite Haken liegt in der Unterscheidung zwischen "erwünschten" und "unerwünschten" Preissteigerungen. Wenn das grundsätzlich knappe Öl vom OPEC-Kartell teurer verkauft wird, dann wirken die Preissteigerungen ähnlich wie Ökosteuern. Die aber sollen Energie verteuern, um zu sparsamerem Verbrauch anzuregen. Dann ist es unsinnig, diese langfristig segensreiche Wirkung dadurch zu verhindern, dass die höheren Preise durch entsprechende Lohnanpassungen ausgeglichen werden. Der Effekt wäre verpufft. Also haben sich die Statistiker daran gemacht, die Inflation auch in einer Kernrate (ohne Öl und Nahrungsmittel) zu messen. Und siehe da, diese Inflation ist im Euroraum weiterhin bescheiden. Sie erreicht knapp 1,5 Prozent. Die "wahre" Inflation ist dann Null. Und dann bleibt die Frage, ob höhere Zinsen die Erdölpreise überhaupt nach unten drücken würden. Dafür gibt es kein Argument außer einem: dem Außenwert des Euro. Und der betrifft nicht nur das Öl, sondern die dramatisch steigenden Preise für alle Importe in den Euroraum. Ein höher gehandelter Euro würde die importierten Preissteigerungen tatsächlich zügeln. Aber bringt ein Zinsschritt nach oben von maximal 0,5 Prozentpunkten den Eurokurs wirklich dauerhaft auf neue Höhen? Das ist mehr als zweifelhaft, wenn man die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren betrachtet.

Eigentlich könnten die EZB-Ratsmitglieder in Frankfurt auch würfeln: Eine 0, 0,25 oder 0,5? Die Wirkungen ihrer Entscheidung kann keiner zuverlässig vorausschätzen. Dafür ist das System zu undurchsichtig und mehrfach bestimmt. Aber wenn man schon rät, dann zu null oder gleich einem halben Prozent. Ein nur kleiner Schritt verpufft schnell und schafft nur neue Unruhe.

Heik Afheldt

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